zum Hauptinhalt
In voller Fahrt. Die Piraten (Hier ein Bild aus dem Jahr 2009) nehmen inzwischen Kurs auf den Bundestag.

© dpa

Gastbeitrag: Dauermeckern der Piraten gegen "die da oben"

Die Anti-Parteienpolemik der Piraten schadet der Demokratie, meint der FU-Politologe Carsten Koschmieder. Denn die Gegenüberstellung von Volk und Politik fördere eine – teilweise ohnehin schon vorhandene – Parteienverdrossenheit.

Ein Beispiel von vielen: Am Montag nach der Wahl im Saarland erklärte der stellvertretende Parteivorsitzende den Erfolg der Piraten unter anderem damit, dass die anderen Parteien inzwischen alle gleich seien; zwischen ihnen gäbe es keine Unterschiede mehr, und nur die Piraten seien eine tatsächliche Alternative. Er freue sich, dass die Abgeordneten der Piraten Menschen geblieben seien, und bedauerte, dass die anderen Parteien das nicht geschafft hätten. Der Parteivorsitzende ergänzte, der Erfolg rühre auch daher, dass die anderen Parteien sich vom Volk abschotteten, wohingegen die Piraten Mitbestimmung ermöglichten.

Nun ist es kaum ungewöhnlich, dass Parteien ihre Konkurrentinnen in ein schlechtes Licht rücken; ferner verwundert es nicht, dass längst nicht immer alle erhobenen Vorwürfe stimmen. Und natürlich muss eine neue Partei erklären, warum sie gebraucht wird – die „etablierten“ Parteien können also nicht alles richtig gemacht haben.

Wenn aber die Kritik sich nicht auf bestimmte Politiker, konkrete politische Prozesse oder einzelne Parteien bezieht, sondern die anderen Parteien in Gänze ablehnt oder gar diffamiert, schadet die Partei damit der politischen Kultur. Die Gegenüberstellung von Volk und Politik, die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, die Parteien hätten nichts mehr mit dem Volk zu tun, fördert eine – teilweise ohnehin schon vorhandene – Parteienverdrossenheit.

Nun mag mancher meinen, es sei doch richtig, dass die Piraten über „die da oben“ meckern. Man selber habe doch auch oft das Gefühl, die Parteien hörten nicht mehr auf die „kleinen Leute“. Bei genauerer Betrachtung wird aber klar, dass es einen qualitativen Unterschied gibt zwischen, beispielsweise, der Kritik an der angeblich mangelnden Offenheit einer politischen Institution und der Behauptung, die Parteien würden sich von dem Volk abschotten – ganz so, als wären die immer noch über eine Million in den unterschiedlichen Parteien engagierten Menschen nicht Teil dieser Bevölkerung.

Pauschalisieren ist immer falsch – und auch in der Piratenpartei gibt es Stimmen, die vor einer solchen Rhetorik warnen. Die Frage ist also nicht, ob dieser absurde, aber oft gehörte Vorwurf falsch ist, sondern, welche negativen Auswirkungen es hat, wenn der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum und die ehemalige politische Geschäftsführerin Marina Weisband sich jeweils darüber freuen, dass die Mitglieder der Berliner Piratenfraktion „normale Menschen“ geblieben sind.

Die Piratenpartei kann für unser politisches System viel Positives bewirken: Sie kann neue Impulse setzen für stärkere innerparteiliche Mitbestimmung, und sie kann Unzufriedene wieder und junge Menschen neu für die Demokratie begeistern. So holte sie beispielsweise bei den männlichen Erstwählern im Saarland die meisten Stimmen. Das ist von den Piraten sehr verdienstvoll, hier liegt aber auch die Gefahr: Unzufriedene und junge Wähler sind eher empfänglich für die Anti-Parteien-Rhetorik der Piraten.

Der Autor ist Politologe an der FU Berlin.

© promo

Die Piraten sind zwar im politikwissenschaftlichen Sinne keine populistische Partei, schon weil ihnen die Ausrichtung auf einen charismatischen Anführer wesensfremd ist. Der konstruierte Gegensatz zwischen dem Volk und den abgehobenen Parteien – verbunden mit dem Hinweis, nur die eigene „Bewegung“ handele im Interesse des Volkes – ist aber eines der Kernelemente des demokratiegefährdenden Populismus; von der „Tea Party“ über die lateinamerikanischen Linkspopulisten bis Geert Wilders versuchen seine Vertreter so, das demokratische System verächtlich zu machen.

Die Piraten profitieren von dieser pauschalen Parteienkritik, weil sie so die von den übrigen Parteien Enttäuschten gewinnen können – dennoch sollten sie sich überlegen, ob sie mit ihrer Polemik nicht letztlich der Demokratie schaden, und ob nicht die von ihnen geforderte Sachlichkeit auch für den Umgang mit ihrer Konkurrenz gelten könnte.

Der Autor ist Politologe an der FU Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false