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Meinung: Blei und Blut

Eine israelische Politikerin, ein deutscher Oberst: Krieg befreit von nichts, auch nicht vom Recht. Der Westen muss sich an den Maßstäben messen lassen, die er selbst gesetzt hat.

Blei und Blut soll sie vergossen haben, die frühere israelische Außenministerin und heutige Oppositionsführerin Zipi Livni. In Großbritannien sollte sie dafür vor Gericht kommen, dort erließ die Justiz vorübergehend einen Haftbefehl, weil Livni im Kriegskabinett die Operation Gegossenes Blei im Gazastreifen mitbefehligte. Ausgerechnet sie, die die Gewalt in Nahost etwas differenzierter betrachtet als manch andere israelische Politiker, sie, die Tierschützerin und Vegetarierin. Sehen so Kriegsverbrecher aus? Jedenfalls: Der Haftbefehl ist kassiert und den Briten nun peinlich, der diplomatische Schaden da.

In der Tat hätte etwas Umsicht gutgetan, auch wenn das schlimme, große Wort vom Kriegsverbrechen sich in den Sprachgebrauch sogar bezüglich des deutschem Militärs zurücktasten muss, der Grund sind die Bomben von Kundus. Das Völkerstrafrecht, auf das sich auch die britische Justiz bezieht, soll Taten ahnden, die sonst nicht geahndet werden, und Täter verfolgen, die sonst niemand verfolgt. Logisch, dass es sich der ständigen Gefahr widersetzen muss, für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden. Die Grenzen sind fließend, es kommt auf den Einzelfall an.

Die deutsche Generalbundesanwaltschaft sollte einmal gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen der Folter im irakischen Militärgefängnis Abu Ghraib ermitteln. Nein, sagten die Deutschen und ließen der US-Justiz richtigerweise den Vortritt. Immerhin gab es Anklagen und Verurteilungen, wenn auch nicht die von Rumsfeld.

Livni ist ein formal ähnlicher und doch sachlich anderer Fall, was etwa die Norweger kürzlich veranlasste, von Strafverfolgung Abstand zu nehmen. Auch in Israel werden die Gazavorfälle untersucht; ob es ausreicht, wird sich zeigen. Haft und gar ein mögliches Verfahren in Großbritannien würden dagegen in jedem Fall unangemessen erscheinen. Dem Recht in Israel zur Durchsetzung zu verhelfen, würde es eher schaden.

Gleichwohl hat der Vorgang etwas Mahnendes. Wer Krieg führt, kann sich vom Recht und der Diskussion darüber nicht mehr lösen. Nicht einmal eine frühere israelische Außenministerin, auch wenn die amtierende Regierung das noch so sehr empören mag. Soldaten dürfen eben nicht mehr nur einfach den Feind unter Feuer nehmen – sie haben ebenso die Pflicht, Menschenleben zu schonen.

Und auch Deutschland führt Krieg, in der Sprache der Juristen einen „bewaffneten Konflikt“. Nach viel rhetorischer Gymnastik hatte sich die Regierung in einer Stellungnahme zum Kundus-Fall an die Dresdner Staatsanwaltschaft klar dazu bekannt. Bevor nun neue Optionen für Luft-, Boden- oder sonstige Vernichtungsschläge ausgelotet werden, sollte man nicht vergessen, weshalb die Bündnispartner einst nach Afghanistan gekommen waren. Der Westen muss sich an den Maßstäben messen lassen, die er selbst gesetzt hat und notfalls mit Waffengewalt verteidigen will. Ob Irak, Gaza oder Kundus: Die Feststellung, es sei Krieg, befreit von nichts.

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