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Jetzt ist das Bürgergeld da, doch eine Lösung der damit verbundenen Probleme liegt in weiter Entfernung.

© Foto: Imago Images /Gerhard Leber

Arbeitsmarkt und Arbeitlose: Überkommene Reflexe

Das Bürgergeld ist heute so falsch, wie Hartz IV vor zwanzig Jahren richtig war. Denn gebraucht wird eine Neufassung der Sozialpolitik.

Ja, das Wort „Bürgergeld“ hat einen schönen Klang. Es atmet „Respekt“ und „Augenhöhe" ganz aus sich selbst heraus. Endlich, was für ein Fortschritt! Doch das ist leider schon das Beste, was man zu den Reformplänen von Arbeitsminister Hubertus Heil sagen kann. In Wahrheit nämlich ist das Bürgergeld heute so falsch, wie Hartz IV vor zwanzig Jahren richtig war. Denn das Bürgergeld ist eine Arbeitsmarktreform. Gebraucht aber wird eine Neufassung der Sozialpolitik.

Für die erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger haben sich die Vorzeichen seit 2005 fundamental geändert. Nicht Arbeitslose müssen sich heute verzweifelt um einen Job bemühen. Die Arbeitgeber suchen händeringend nach Bewerbern. Das wird wohl in den kommenden Jahren so bleiben. Das neue Bürgergeld jedoch reflektiert diesen Wandel nicht.

Kümmerliche Restsanktionen

Es tut so, als sei das Problem immer noch Massenarbeitslosigkeit. In der Debatte werden die alten Zu-viel-zu-wenig-zu-hart-zu-schlapp-Reflexe bedient. Gestritten wird um die Frage, ob man mit 505 Euro im Monat genug Respekt ausdrückt. Oder, ob der kümmerliche Rest des Sanktionskatalogs wohl ausreicht, um hartnäckige Faulenzer aus ihren Betten zu treiben. Dabei sind Langzeitarbeitslose nur eine Minderheit unter den 3,7 Millionen HartzIV- und künftigen Bürgergeld-Beziehern.

Die Mehrheit besteht aus Menschen, die keine Arbeit annehmen können. Erwerbslose, die Angehörige pflegen zum Beispiel. Alleinerziehende mit ihren Kindern (die auch in der Statistik sind). Kranke und Erwerbsunfähige. Geringverdiener, die arbeiten, ihre Familie dennoch nicht aus eigener Kraft ernähren können. Hartz-IV-Bezieher über 59, die schon heute nicht mehr vermittelt werden. Zu Recht klagt diese Gruppe über Zynismus, wenn ihre Arbeitsmarkttauglichkeit öffentlich verhandelt wird, als säßen Millionen rauchende und trinkende Faulenzer im Park herum.

Für sie wäre es klüger, das Bürgergeld würde nicht von den Jobagenturen angewiesen, sondern (wie früher) von den Sozialämtern der Städte. Für die Kranken, Pflegenden, Alleinerziehenden und Alten besteht soziale Teilhabe nicht aus Erwerbsarbeit, Weiterbildung und Kollegen, sondern aus preiswerter Mobilität (9-Euro-Ticket), ortsnahen Treffpunkten, unkomplizierter Verbraucher- und Gesundheitsberatung, psychosozialer Betreuung, Quartiersmanagement.

Aufgaben für Hubertus Heil

Dafür die Voraussetzungen zu schaffen, kommunale, Landes- und Bundesangebote sinnvoll zusammenzubringen und die Türen aufzumachen, wäre eine gute Aufgabe für den Sozialminister.

Denn selbst für einen guten Teil der echten Langzeitarbeitslosen wäre damit mehr erreicht als mit dem Fallmanagement der Arbeitsagentur. Viele von ihnen wohnen am falschen Platz, sind zu alt oder zu krank. Niemandem im Ruhrgebiet oder in der Uckermark ist geholfen, zur Flughafenmitarbeiterin umgeschult zu werden, wenn ein neuer Job mit einem Umzug nach München, Hamburg, Frankfurt oder Berlin verbunden wäre.

Die Kosten der Unterkunft würden den Zugewinn an Geld, Teilhabe und Lebensqualität auffressen. Als erwerbsfähig eingestufte Langzeitarbeitslose mit chronischen Einschränkungen oder Suchterkrankungen brauchen oft eine Therapie, bevor sie überhaupt wieder arbeiten können.

Der Rest und die Probleme

Und dann ist da noch der winzige Rest. Die Faulen, für die ein Arbeitsvertrag ein verblasster Erinnerungsposten in der Familiengeschichte ist. Die Schwarzarbeiterinnen, die die Stütze, die amtlich finanzierte Sozialversicherung und den Mietzuschuss mitnehmen, und auch das neue Gesamtpaket auf keinen Fall gegen eine reguläre Beschäftigung tauschen würden. Die Frauen in Bedarfsgemeinschaften, die aus kulturellen Gründen und wegen ihrer Sprachprobleme nicht arbeiten.

Um diese Gruppe müssen sich die Jobcenter kümmern, intensiv, ermutigend, auf Augenhöhe.Alle anderen aber sind die B ürgerinnen, die keine Reform mit einem schönen Namen brauchen. Sondern langweilige, ordentliche Sozialpolitik.

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