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Flüchtlinge zeichnen sich an einer Holzwand am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin als Schatten ab.

© Foto: Paul ZInken/picture alliance/dpa

Ampelpläne für geduldete Flüchtlinge : Aufenthaltsrecht auf Probe ist ein Gewinn für alle - reicht aber nicht

Damit es wirklich zu nachhaltiger Verbesserung kommt, müssen Fristen verlängert und Stichtage verschoben werden. Das ist auch ein Wunsch der Wirtschaft. Ein Gastbeitrag.

Von Filiz Polat

Ihre Firma stelle Menschen mit Duldung nicht mehr ein, berichtete eine Managerin kürzlich Bundestagskolleg*innen und mir bei einem Treffen mit Unternehmensvertreter*innen; das Risiko sei einfach zu groß. Um sie herum Kopfnicken, ihre Erfahrung wird geteilt: Viele Firmen stellen Geflüchtete ein, sie sehen das als wichtige Integrationsleistung. Aber geduldete Personen, deren Abschiebung ausgesetzt ist? Nein. Zu groß die Sorge, dass der oder die Beschäftigte von einem Tag auf den anderen abgeschoben wird.

Daran zeigt sich, wie schwierig es für Geduldete ist, einen Job zu finden, sich in die Gesellschaft zu integrieren, ein Leben aufzubauen. Das gilt selbst für die wenigen, die keinem Arbeitsverbot unterliegen.

Filiz Polat

© Foto: picture alliance/dpa

Mit einer sogenannten Duldung leben in Deutschland aktuell 240.000 Menschen. Damit haben sie keine gültige Aufenthaltserlaubnis. Die Gründe dafür sind vielfältig: ein abgelehnter Asylantrag, der Verlust der Arbeit bei einem Arbeitsvisum oder auch, weil Menschen in eine Duldung hineingeboren werden, denn Kinder „erben“ den Aufenthaltsstatus ihrer Eltern.

Dass etwa ein Asylantrag abgelehnt wurde, heißt aber nicht, dass die betroffene Person abgeschoben wird. So wurden die Asylanträge von Afghan*innen in der Vergangenheit häufig abgelehnt – schließlich galt Afghanistan unter der Vorgängerregierung bis zur Machtübernahme der Taliban als „sicheres Herkunftsland“. Ein fataler Fehler, der nun in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet wird. Nicht wenige Landesregierungen allerdings, die in unserem föderalen System für Abschiebungen die Verantwortung tragen, sahen Afghanistan zurecht als nicht sicher an.

Die Folge dieser politischen Abwägungen ist, dass viele afghanische Staatsbürger*innen in Deutschland mit einem abgelehnten Asylantrag, aber einer Duldung leben. Die Gründe, warum ausreisepflichtige Menschen nicht abgeschoben und stattdessen geduldet werden, sind also vielfältig. Und für viele Menschen bedeutet dies, über eine lange Zeit hinweg in Perspektivlosigkeit und Unsicherheit zu leben, 130.000 von ihnen seit mehr als fünf Jahren – einige bereits seit über zehn Jahren.

Eine Duldung gewährleistet dabei keine Sicherheit, denn sie schützt in der Regel nur drei Monate vor Abschiebung. Danach wird eine erneute Duldung geprüft. Dieser entwürdigenden Praxis der Kettenduldung, die eine sichere Lebensplanung und oft auch die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft verhindert, stellen wir nun eine neue Perspektive entgegen: Mit dem Chancenaufenthaltsrecht erhalten geduldete Personen, die seit fünf Jahren straffrei in Deutschland gelebt haben, ein Aufenthaltsrecht von einem Jahr. Dadurch bekommen sie die Chance, in dieser Zeit die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis auf Dauer zu erbringen.

Wir gewinnen motivierte Arbeitskräfte.

Filiz Polat

Das ist ein Meilenstein, denn mit dem Chancenaufenthaltsrecht ermöglichen wir einen Spurwechsel: Personen, die zwar kein Asyl erhalten haben, aber seit Jahren in Deutschland leben, ebnen wir den Weg in unseren Arbeitsmarkt und eröffnen nicht nur ein Recht auf Zukunft in Deutschland, sondern gewinnen motivierte Arbeitskräfte.

Insbesondere Handwerksbetriebe, aber auch andere Branchen klagen über fehlende Arbeitskräfte und fordern unter dem Motto „Ausbildung statt Abschiebung“ einfachere Wege in ein Aufenthaltsrecht. Dem kommen wir mit dem Chancenaufenthaltsrecht nach.

Ein Jahr auf Probe könnte zu kurz sein

Entsprechend wurde der Gesetzesentwurf auch von den Unternehmensvertreter*innen begrüßt, die ich unlängst traf. Aber in einem Kritikpunkt sind sich alle einig: Ein Jahr auf Probe könnte zu kurz sein, um die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erfüllen. So müssten die Personen nach dem Jahr Sprachkenntnisse für eine Verlängerung nachweisen, bisher waren bundesfinanzierte Sprachkurse für geduldete Menschen aber nicht offen.

Gleichzeitig verfügt nur etwa ein Viertel der geduldeten Menschen über eine sogenannte Beschäftigungserlaubnis. Für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe benötigen sie aber einen Arbeitsplatz. Um die verschiedenen Anforderungen zu erfüllen, kann ein Jahr also knapp bemessen sein. Deshalb werben die Unternehmer*innen für eine Flexibilisierung der Frist: Wenn eine Person noch nicht alle Voraussetzungen für ein geregeltes Aufenthaltsrecht nach einem Jahr erfüllt, soll sie nicht wieder in die Duldung zurückfallen. Diesen Vorschlag haben wir bereits in den Koalitionsverhandlungen diskutiert und wollen ihn uns nun im parlamentarischen Verfahren nochmals genauer anschauen.

Identitätsnachweise sind oft schwer zu erbringen

Eine weitere Herausforderung ist die „Identitätsfeststellung“. So verbreiten besonders Konservative häufig das Narrativ, viele geduldete Menschen verschleierten ihre Identität. Dies ist schlicht und ergreifend falsch: Nur 6,5 Prozent der Personen mit ungeklärter Identität haben durch aktive Täuschung ihre Abschiebung verhindert.

Abschiebung

© Foto: picture alliance / Sebastian Willnow/dpa

Stattdessen haben die meisten Personen das Fehlen ihrer Identitätspapiere nicht selbst zu verantworten: So dauert die Beschaffung der erforderlichen Dokumente häufig viele Monate oder ist gar nicht möglich. Menschen, die aus Ländern ohne funktionierendes Dokumentenwesen kommen, können keine Geburtsurkunde vorlegen, weil diese schlicht nicht existiert.

Hierzu haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt, dass die Identitätsklärung, wenn andere Maßnahmen nicht erfolgreich sind, durch eine eidesstattliche Erklärung möglich werden soll. Dies wird eine wichtige Erleichterung in der Praxis und eine enorme Entlastung für unsere Ausländerbehörden bedeuten.

Für die Menschen, die die Voraussetzungen erfüllen, sollte das Chancenaufenthaltsrecht als Anspruch ausgestaltet werden. Dieser Anspruch gilt aber eben nur für die Personen, die die Voraussetzungen für das Chancenaufenthaltsrecht erfüllen, also vor mindestens fünf Jahren migriert oder geflüchtet sind. Dementsprechend ist auch das Narrativ steigender Geflüchtetenzahlen durch das Chancenaufenthaltsrecht für langjährig Geduldete völlig unbegründet.

Um Kettenduldungen entgegenzuwirken und einen zukunftsorientierten Spurwechsel zu schaffen, sollte das Chancenaufenthaltsrecht dennoch als stichtagsunabhängige Regelung ausgestaltet sein. So empfiehlt es auch der Fachausschuss des Bundesrats.

Mindestens aber werden wir eine Verschiebung des Stichtags auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes prüfen. Schließlich wirken sich Verzögerungen im parlamentarischen Verfahren unmittelbar auf die Personen aus, die das Chancenaufenthaltsrecht nutzen können.

So sollen möglichst viele Menschen von dem Paradigmenwechsel der Ampelkoalition in der Migrationspolitik profitieren, den wir mit dem Chancenaufenthaltsrecht anstoßen werden.

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