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Lauter Provisorien: In Berlins historischer Mitte dominieren Ausgrabungen und Baustellen das Bild.

© Thilo Rückeis

Jubiläum: 775 Jahre Berlin: Die Stadt braucht eine Mitte

Von wegen aufgeräumt zum Jubiläum. Berlin feiert seinen 775. Geburtstag, doch in der Mitte sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Und die Politik streitet darüber, wie viel Modernität und wie viel Bewahrung es geben soll.

Von wegen aufgeräumt zum Jubiläum. Berlin feiert seinen 775. Geburtstag – und in der Mitte sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa, wie der Berliner so gern sagt. Im weiten Feld zwischen künftigem Humboldt-Forum, Petriplatz und Marienkirche reihen sich die Grabungsstellen aneinander. Hier drängt die Geschichte gleichsam ans Licht, mit immer neuen und überraschenden Belegen dafür, wie besiedelt Berliner Grund schon im 12. Jahrhundert war.

Fast 23 Jahre nach dem Mauerfall ist Berlin immer noch dabei, sich das Zentrum der geeinten Stadt zu erschließen. An diesem Geburtstag, gerechnet von der ersten urkundlichen Erwähnung der einstigen Doppelstadt Cölln und Berlin an, ist deswegen nichts rund, nicht einmal das Datum. Deswegen wird auch mit kleiner Geste gefeiert, anders als 1987, als die Stadthälften wetteiferten: Die SED wollte die Hauptstadt der DDR selbstbewusst auf Augenhöhe mit West-Berlin präsentieren, während der Senat die kulturelle Lebendigkeit herausstellte. Das zum Stadtgeburtstag aufwendig erbaute Nikolaiviertel war die Trumpfkarte einer Diktatur, die sich mit dem humanistischen Erbe der deutschen Geschichte zu schmücken versuchte, während die Risse am Fundament spürbar wurden.

Je klarer Berlins Frühgeschichte zutage tritt, um so vordringlicher wird die künftige Gestaltung. Was Berlins gute Stube sein müsste, ist lediglich Objekt völlig unterschiedlicher Erwartungen. Bereits 1999 hat der damalige CDU-SPD-Senat sich Abwarten verordnet, auch fast 13 Jahre später ist man nicht viel weiter. Die Umsetzung konkreter Pläne haben die Koalitionäre auf die Zeit nach der Fertigstellung von Schloss und neuer U-Bahn 2019 verschoben – und sind sich ansonsten herzlich uneins, wie die Leerstelle zu füllen ist. Während die CDU für ein dicht bebautes Quartier auf historischem Straßenraster ficht – für das auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Sympathien zeigt –, verteidigen die Modernisten in der SPD auch die DDR-Platzgestaltung an Fernsehturm und Marx-Engels-Forum. Das Gezerre um den Neptunbrunnen, den Senatsbaudirektorin Regula Lüscher keinesfalls wieder zum ursprünglichen Standort am Schloss versetzen möchte, zeugt von den festgefahrenen Linien.

Vorwärts in die Vergangenheit? Das Nikolaiviertel beweist, trotz vielfacher Kritik an der historisierenden Form, dass ein solches Quartier funktionieren kann. Eine Blaupause für das hilflos Rathausforum genannte Gebiet zwischen Alexanderplatz und Schloss kann das nicht sein. Entschieden werden muss auch, wie die archäologischen Funde präsentiert werden sollen. Und an welcher historischen Schicht soll sich eine Neubebauung denn orientieren – die von 1945 oder 1870? Schließlich haben sich auch die Stadtväter vor 150 Jahren die Freiheit genommen, historische Straßen aufzubrechen und Flächen zu überbauen. Es fällt leichter, ideologisch abzurüsten, wenn man sich klarmacht, dass selbst bei der Orientierung an alten Parzellen dort Neubauten mit moderner Formsprache entstehen werden, und niemand ein pittoreskes Altstadt-Fake möchte.

Noch drücken sich SPD und CDU vor dem Streit, wie viel Modernität, wie viel Bewahrung es geben soll. Die Zeit aber drängt, den Berlinern statt urbaner Öde endlich wieder eine Mitte zu schenken. Bis zum nächsten runden Geburtstag Berlins darf das nicht dauern.

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