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Die schwule Community bringt der Kunstfigur Kylie bedingungslose Liebe entgegen.

© Erik Melvin

Kylies Pop-Sommer: Alterslos auf dem Dancefloor

Kylie Minogue drückt auf die Tube: Auf ihrem 16. Album „Tension“ beglückt der ewig junge Popstar wieder mit Hymnen der Nacht und Party-Bangern.

Kylie in Kreuzberg. Kreisch! Also Kylie, die Erste, Pop-Größe aus Australien, Nachname Minogue. Nicht Kylie, die Nachgeborene, Fernsehkleinigkeit aus Amerika, Clanzugehörigkeit Kardashian. Grün-schwarzes One-Shoulder-Kleid trägt die Sängerin im Club Prince Charles, hauteng, dazu schwarze Lackstiefel – und hat verdammt gute Laune. Die 55-Jährige betritt die winzige Bühne, um ihr neues Album „Tension“ (Werknummer 16) vorzustellen, oder besser: vorzutanzen. Man spürt viel Emotion, nur die titelgebende Anspannung eben gar nicht. Kylie kurvt eine Stunde lang mit knapp 50 Journalisten, Fans, Wegbegleitern über die Tanzfläche, sie lacht, schwitzt, zieht Schnuten. Alles an diesem kleinen Energiebündel scheint zu vibrieren.

Zehn Tage nach diesem bemerkenswerten Dienstagabend ist das Album nun erschienen. Elf Lieder, die vor allem einen Eindruck zementieren: Kylie drückt auf die Tube. Gerade einmal zwei Tracks bremsen ein bisschen den K-Express aus („Hands“, „Green Light“), ohne aber wirklich langsam zu sein. Und als sich bei „Things We Do For Love“ die Angst vor einer Ballade breitmacht, vertreibt ein House-Piano ganz schnell jegliche Befürchtungen. Von Miss Minogue will niemand Kuschelsongs hören, sondern Party-Banger.

Die BBC wollte „Padam Padam“ zunächst nicht spielen

Der Opener „Padam Padam“ hat diesen Anspruch bereits im Sommer formuliert und zu einer kleinen padam-ic auf TikTok und anderen Zerstückelungsplattformen geführt. Die House-Pop-Hymne schnellte in die britischen Top Ten, 2:45 Minuten sexy Beats und sinnfreie Strophen: also alles, was man sich als gestresster Hörer für den Club-Workout wünscht. Dass sich dieser Knaller an Edith Piafs „Padam Padam“ anlehnen soll – geschenkt. Dass BBC1 dieses Lied erst gar nicht spielte, weil die Sängerin über 50 ist – unverfroren. Nach einem viralen Aufschrei musste die Radiostation den Hit in ihre Playlist aufnehmen, um den Vorwurf der Altersdiskriminierung zu entkräften. 

Von einer gedanklichen Freiheit sei ihre Platte inspiriert, sagt die Künstlerin. Ihre letzten beiden Alben hatten musikalische Themen, zuerst beschenkte sie das Publikum mit einer verwirrenden Country-Platte, danach mit einer passenderen Disco-Ableitung. Nun bricht es förmlich aus Kylie heraus: Sie zelebriert dieses flirrende Gefühl zwischen Augenzwinkern-Flirt und erstem Körperkontakt. Keine Schwüre auf die ewige Liebe, viel Anmache auf 120 Beats pro Minute. „You look like fun to me“, heißt es programmatisch in ihrem Sommerhit. Das klingt nach einem flexiblen All-Time-Girl mit einer Menge Spaß.

Kylie, die wahre Pop-Queen, die ihre Oberflächlichkeit nicht verleugnet.

© Presse Peter / Edward Cooke

Der Club, die Diskothek, der Tanzboden. Das ist das Fluchtbiotop der meisten Minogue-Lieder – und gilt auch für das neue Album. Mitsingsongs mit generischen Titeln, die dazu auffordern, den Leib zu schütteln, zu drehen, zu schwingen, die Beats bis ins Mark zu spüren, eins zu werden mit der Nacht und ihren irren Kreaturen.

Die Feier der Oberflächlichkeit

Wobei Kylie natürlich selbst eine von ihnen ist: die freche, aber immer nette Durchgedrehte. Sie erinnert in ihren besten Momenten an Robyn („Hold On To Now“, in dem hinter klappernden Synthie-Regentropfen ein wenig Melancholie durchklingt), das Disco-Funk-Revival von Dua Lipa („Green Light“) oder die episch-verträumten Bassläufe der Pet Shop Boys („Vegas High“).     

In der schwulen Community erfährt die Popsängerin bedingungslose Liebe, was nicht nur damit zu tun hat, dass einige Londoner Gay-Bars Drinks eine Weile zum halben Preis verkauften, sobald ein Kylie-Song aus den Lautsprechern dröhnte. Sie hat ihre Fans mit Durchhaltehymnen getröstet („Your Disco Needs You“) und ihnen gleichzeitig in den Hintern gezwickt: Komm, jetzt renn wieder raus, dorthin, wo die anderen Halbnackten sind. Mach die Welt zu deiner Bühne!

Da überrascht es niemanden, dass sie ihr Repertoire für einige Wochen im November und Januar nach Las Vegas bringt. Sie gehört ins Rampenlicht, zu den Zähesten der Musikbranche, zu den Facharbeitern der Körperkultur. Dieses Album zeigt Kylie in Hochform, die wahre Pop-Queen des Moments, die ihre Oberflächlichkeit nie verleugnet, sondern zur Stärke erhebt. Madonna? Sorry, kein Kommentar.

Am Ende einer durchschwitzen Stunde in Berlin hat Kylie Minogue noch von einer „Love Affair“ gesprochen: mit ihrem Mikrofon. Sie hat sich während des ersten Lockdowns ein Studio aufgebaut, technische Geräte bestellt, es mithilfe von Youtube-Videos selbst eingerichtet und zu Hause Lieder eingesungen, bis sie durch die Kopfhörer die Vögel am Morgen zwitschern hörte. Es war besser als Sex!

Hat sie so zwar nicht gesagt, aber es scheint mitzuschwingen. Hört man sich die vorwärtstreibenden Elektro-Popsongs auf „Tension“ an, kann man nur zustimmen: komplette Ekstase, ein 60 Minuten währender Höhepunkt im Stroboskopgewitter. Danach muss man sich erstmal ein frisches T-Shirt anziehen.

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