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Raoul Coutard, Meister der Kamera.

© AFP

Zum Tod von Raoul Coutard: Welle und Stille

Er war der Kameramann der Nouvelle Vague, drehte "Außer Atem", "Jules und Jim" und "Die Verachtung". Zum Tod von Raoul Coutard.

Manchmal kommt mit den Bildern eines Kameramanns auch in Berührung, wer nie einen seiner Filme gesehen hat. In diesem Frühjahr war das in Cannes der Fall: Auch wer womöglich Jean-Luc Godards „Außer Atem“ noch immer nicht kannte und nicht François Truffauts „Jules und Jim“, zwei Filme, die Raoul Coutard schon ganz am Anfang seiner Karriere berühmt machten, fand eine seiner sublimen Einstellungen für immer fixiert auf dem Festivalplakat: Totale auf die Stufen, die die gesamte Rückseite einer futuristischen Villa ausfüllen. Dort unterwegs ist Michel Piccoli, elegant in Weiß: Gleich hat er die Dachterrasse erreicht und den weiten Blick übers Meer.

Es ist eine Szene aus dem legendären Skandalwerk „Die Verachtung“ (1963), dem bereits siebenten Film, den Coutard für Godard gemacht hat, und binnen kaum über sieben Jahren sollten es doppelt so viele werden. Fulminant angefangen hatte die kreative Symbiose mit „Außer Atem“ (1959), in dem Coutard mit Handkamera und bei natürlichem Licht arbeitete: Das war angesichts der chaotisch drehbuchlosen, zum chronologischen Weiterwursteln nötigenden Bedingungen am Set erst mal praktisch – und sogleich Prinzip. Aber auch ein Stil?

Die natürliche Schönheit des Tageslichts

Raoul Coutard hat über 60 Filme mit höchst unterschiedlichen Regisseuren gedreht, und er war in erster Linie deren geschmeidiges Auge. Wild und unruhig beim frühen Godard, gelasseneren Blicks bei Truffaut, mit dem er vier seiner schönsten Filme machte, angefangen mit „Schießen Sie auf den Pianisten“ (1960). Später kam, für „Z“ und „Das Geständnis“, Costa-Gavras hinzu: Das waren dann Jobs für den „großen Kinofilm“, aber nervös im kreativsten Sinne gab sich Coutards Kamera auch hier allemal.

Für den jungen Kriegsfotografen in Indochina wurde, zurück in Frankreich, Godard zur „entscheidenden Begegnung“. Und indem er vor allem für Godard und Truffaut, die beiden schon damals größten Namen der Nouvelle Vague, arbeitete und, mit über 70, noch ein paar Mal für ihren unterschätzten Nachläufer Philippe Garrel, blieb er deren auch visuell mitunter rohem Erkenntnisinteresse treu. Und zugleich der zarten Lust, die Bewegungen der Figuren mit der – wie er einmal sagte – „natürlichen Schönheit“ des Tageslichts auszuleuchten, bis hin in die unvermeidlichen Schattenzonen.

Am Dienstag ist Raoul Coutard nach langer Krankheit in Bayonne gestorben – eine Legende längst; nach „Sauvage Innocence“ (2001) für Garrel hatte er die Kamera aus der Hand gelegt. Aber reden wir nicht von Abschieden – denn was schließlich erwartet Michel Piccoli auf der Dachterrasse, hinter dem so schön geschwungenen, steinernen Paravent? Das Leben.

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