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Bertrand Tavernier setzte sich für die Erhaltung des französischen Filmerbes ein.

© Ian Langsdon/dpa

Zum Tod von Bertrand Tavernier: Der Träumer im Kino

Der französische Regisseur Bertrand Tavernier war in allen Genres zu Hause, seine Filme mit Philippe Noiret sind Klassiker. Jetzt ist er mit 79 Jahren gestorben.

Von Andreas Busche

Am Anfang war das Feuer. Doch der französische Kolonialbeamte, der die afrikanischen Kinder ans Lagerfeuer lockt, ist kein strahlender Vertreter der “Grande Nation”. Verschwitzt und runtergekommen sieht er aus, seine Frau betrügt ihn und selbst die Dorfbewohner nehmen den Polizisten nicht für voll. Philippe Noiret spielt ihn in der Krimikomödie “Der Saustall”, einer Adaption des Pulp-Autors Jim Thompson, mit einer zynischen Mischung aus Resignation und Pragmatismus.

Es ist eine seiner besten Rollen und der Höhepunkt der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Bertrand Tavernier, der am Donnerstag einen guten Monat vor seinem 80. Geburtstag starb.

Tavernier gehörte zur dritten Welle der Nouvelle Vague, der studierte Jurist nahm einen ähnlichen Werdegang wie die jungen Wilden des französischen Kinos in den Sechzigern. Er begann mit Filmkritiken, eine Leidenschaft, die er noch verfolgte, als er längst ein etablierter Regisseur war; regelmäßig schrieb er für die Filmzeitungen “Positif” und “Cahiers du Cinéma”.

Seine 1300 Seiten starke Enzyklopädie “50 Years of American Cinema”, die er mit Jean-Pierre Coursodon herausgab, gilt heute als Standardwerk. Am Gymnasium Lycée Henri IV lernte Tavernier Volker Schlöndorff kennen, der als Austauschschüler nach Paris gekommen war. Zusammen arbeiteten sie die Listen ihrer Lieblingsfilme ab. Seinen ersten großen Job beim Film gab ihm der Regisseur Jean-Pierre Melville, der wie Tavernier vom Film noir beeinflusst war.

Aus Liebe zum amerikanischen Kino

Das amerikanische Kino, die Kultur aus Übersee, war seine andere große Leidenschaft, sie prägte sein Werk bis zuletzt. Für das Drama “Um Mitternacht” (1986) über die Pariser Iazz-Szene der fünfziger Jahre konnte er Dexter Gordon, Herbie Hancock und Bobby Hutcherson gewinnen (Noiret spielte ebenfalls eine kleine Rolle).

Die Musiker dankten es ihm mit eindrucksvollen Performances, die die körperliche Kraft des Jazz spürbar machten. Sein letzter Film war die Screwball-Komödie “Quai d’Orsay” (2013) im französischen Polit-Milieu, mit der er seinem Vorbild Howards Hawks huldigte.

Kaum ein französischer Regisseur seiner Generation war in so vielen Genres so erfolgreich wie Tavernier. Er drehte Krimis, eine seiner Spezialitäten, Historienfilme, Liebesfilme, Literaturverfilmungen, sogar einen Science Fiction (mit Romy Schneider und Harvey Keitel). Vor allem historische Stoffe hatten es ihm angetan; für ihn seien sie eine Möglichkeit zu träumen, hat er einmal erzählt.

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Einen seiner schönsten Träume realisierte Tavernier 1984 mit “Ein Sonntag auf dem Lande”, ein stilles Künstlerporträt um die Jahrhundertwende, subtil und gleichzeitig bildgewaltig, das ihm Vergleiche mit Jean Renoir einbrachte. Tavernier hatte immer einen skeptischen Blick auf die moderne französische Gesellschaft, aber er kannte auch keine Berührungsängste mit einer klassischer Bildsprache.

Unpolitischer Filmemacher mit genauem Blick

Mit seiner ersten Regiearbeit “Der Uhrmacher von St. Paul”, einer freien Adaption von Georges Simenon, hatte Tavernier 1974 gleich auf der Berlinale debütiert, 21 Jahre später gewann er mit dem Gesellschaftsporträt “Der Lockvogel” über kleinkriminelle Pariser Jugendliche den Goldenen Bären. Politische und sozialkritische Töne waren in vielen von Taverniers populären Filmen zu finden, auch wenn er sich selbst immer als unpolitischen Filmemacher bezeichnet hatte.

Ihm ging es vielmehr darum, mit seinen Filmen die Wirklichkeit abzubilden. Dieser Ansatz stieß gelegentlich auf Kritik. In “Der Saustall” etwa verschwimmt der satirische Blick auf die französische Kolonialpolitik mit stereotypen Darstellungen von Afrika.

In den letzten acht Jahren hatte sich Bertrand Tavernier vom Kino zurückgezogen, nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert worden war. 2015 wurde er auf dem Filmfestival Venedig noch mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Dem “Zeit Magazin” erzählte er vor drei Jahren, dass ihn sein Optimismus und die Freude an der Arbeit geheilt hätten. Jetzt ist Bertrand Tavernier in Sainte-Maxime an der Côte d’Azur gestorben.

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