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Bernardo Bertolucci (1940-2018)

© dpa

Zum Tod von Bernardo Bertolucci: Unter roter Flagge

Skandalregisseur und Marxist: Zum Tod von Bernardo Bertolucci, einem der letzten Granden des europäischen Kinos.

Von Andreas Busche

Der italienische Regisseur Bernardo Bertolucci wird der Nachwelt auch wegen eines Stücks Butter in Erinnerung bleiben. Als Bilanz einer über 50 Jahre währenden Karriere wäre das natürlich etwas dürftig – hätte Bertolucci in seiner Karriere nicht noch einige andere Meilensteine der Filmgeschichte gesetzt. Zuallererst sicher die rekordverdächtigen neun Oscars für sein China-Epos „Der letzte Kaiser“ von 1987. Aber es ist doch dieses Stück Butter, das Marlon Brando im Skandalwerk „Der letzte Tango in Paris“ (1973) beim Sex mit der damals 19-jährigen Maria Schneider als Gleitmittel benutzt, über das jetzt noch einmal alle reden. Reden müssen. Am Montag ist der italienische Großregisseur, der letzte aus der Dynastie des italienischen Nachkriegskinos, im Alter von 77 Jahren in Rom an Krebs gestorben.

Viel ist geschrieben worden über die Sexszene zwischen dem damals schon gigantomanischen Brando und der jungen Schneider. Die amerikanische Kritikerin Pauline Kael lobte „Der letzte Tango“ als „einen eindrucksvollen Erotikfilm“ und prophezeite, dass dieser sich – vermutlich wegen seiner Darstellung ausschweifender Sexualität – einmal „als der befreiendste Film aller Zeiten“ erweisen könnte. Maria Schneider erzählte dagegen in Interviews, dass sie sich von Bertolucci und Brando „vergewaltigt“ gefühlt habe – ein Vorwurf, den sie kurz vor ihrem frühen Tod 2011 noch einmal bekräftigte.

Auf den Vorwurf angesprochen, entgegnete Bertolucci schuldbewusst, aber ohne Reue, dass er Schneider vor ihrem Tod gerne noch um Verzeihung gebeten hätte. Ihm sei die Szene damals spontan eingefallen, als er am Morgen mit Brando beim Frühstück saß und die knusprigen Baguettes und eine Schale Butter vor sich sah. Die beiden hätten sich stillschweigend darauf geeinigt, Schneider nicht einzuweihen. „Ich denke“, meinte er rückblickend, „sie hat am meisten getroffen, dass sie sich nicht richtig auf die Szene vorbereiten konnte. Aber ich wollte ihre Reaktion als Mensch, nicht als Schauspielerin.“

Sein MeToo-Moment, lange bevor es dazu einen Hashtag gab

Bernardo Bertolucci erlebte seinen MeToo-Moment, lange bevor der Hashtag in den sozialen Medien Verbreitung fand. Im Unterschied zu Kevin Spacey, John Lasseter und Brett Ratner beendete Bertoluccis Geständnis seiner Komplizen- beziehungsweise Mittäterschaft (wer außer den Gerichten kann bei Fällen von sexuellem Missbrauch die Grenzen ziehen?) nicht seine Karriere. Die war bereits viele Jahre zuvor ins Stocken geraten: erst beruflich, schließlich auch aus gesundheitlichen Gründen.

Kurz nach den Dreharbeiten zu seiner 68er-Fantasie „The Dreamers“ von 2003 hatte er sich einer routinemäßigen Bandscheibenoperation unterzogen, bei der es Komplikationen gab. Nach zwei Notoperationen teilten ihm die Ärzte mit, dass er für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen werde. Bertolucci verfiel in eine Depression, bis ihm 2010 Niccolò Ammanitis Roman „Io e te“ in die Hände fiel. „Ich und Du“, der 2012 in Cannes außer Konkurrenz lief, sollte seine letzte Regiearbeit werden. Gemessen an Bertoluccis Hang zur Opulenz war es ein fast bescheidener Film: Ein Teenager, der die Klassenfahrt schwänzt, und seine ältere drogensüchtige Schwester verstecken sich in einem Keller und verstricken sich in ein libidinöses Spiel mit wechselnden Rollen, das sich auch als zaghafter Versuch einer Reparation für die Misogynie in „Der letzte Tango in Paris“ lesen ließ. Was Bertolucci an Schuld nicht eingestehen konnte, konnte er vielleicht nur in Bildern sagen.

Diese Ambivalenz, die bei Bertolucci immer nur ästhetisch zum Ausdruck kommen kann, durchzieht im Grunde sein gesamtes Werk, in dem Vaterfiguren symbolisch getötet und historische Traumata verdrängt werden. Den Faschismus deutet es kurzerhand zur psychosexuelle Störung um. Der 1941 bei Parma geborene Bertolucci wuchs, wie er selbst sagt, in einem „Universum der Poesie“ auf. Sein Vater war ein bekannter Dichter, Kunsthistoriker und Filmkritiker – ihm verdankt Bernardo die Liebe zum Kino –, seine Mutter unterrichtete Literatur. In seiner Jugend versucht er sich zunächst als Schriftsteller, bis eines Tages Pier Paolo Pasolini, ein Freund der Familie, in der Tür stand. Für Bertolucci war die Begegnung prägend. Er arbeitet als Regieassistent an Pasolinis Debüt „Accattone“, und bald darauf haben sich seine Literatenträume endgültig erledigt. 1962 verfilmt er, gerade mal 21 Jahre alt, mit dem kaleidoskopartigen Krimidrama „La Commare Secca“ eine Geschichte Pasolinis.

"1900" floppte wegen seiner epischen Dimensionen

Sein zweiter Spielfilm „Vor der Revolution“ von 1964 behandelt gleich ein zentrales Thema im Frühwerk, das sich auch in seiner eigenen Biografie widerspiegelt: Lassen sich die Herkunft aus einem kleinbürgerlichen Milieu und überzeugter Marxismus überhaupt miteinander vereinbaren? Oder reicht es schon, ein guter Antifaschist zu sein?

In den folgenden Jahren geht Bertolucci dieser Frage weiter nach. In „Die Strategie der Spinne“, „Der große Irrtum“ – bei beiden steht Vittorio Storaro hinter der Kamera, mit dem zusammen er seine grandiose Bildsprache entwickelt, die ihnen später den Oscar einbringt – und natürlich im fünfstündigen Opus „1900“, seiner Visitenkarte für Hollywood. Robert De Niro und Gérard Depardieu spielen zwei Jugendfreunde, die den Aufstieg des Faschismus aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven erleben. Wie zuvor „Der letzte Tango“ sorgt der Film besonders in Italien wegen seiner Sexszenen für einen Skandal, doch er floppt letztlich aufgrund seiner epischen Dimensionen. Resigniert zieht sich Bertolucci nach Italien zurück, er fühlt sich, als „sei ihm jeder einzelne Knochen gebrochen“ worden. Sein Scheitern gibt ihm die Gelegenheit, mit „Die Tragödie eines lächerlichen Mannes“ (1981) über die Entführung des Sohnes eines Unternehmers seinen persönlichen Marxismus zu überprüfen.

Jean Luc Godard hatte bereits nach „Der große Irrtum“ (1970) mit Bertolucci gebrochen. Jean-Louis Trintignant spielt einen Mitläufer, der im Italien der dreißiger Jahre den Weg des geringsten Widerstands wählt und für die Faschisten seinen ehemaligen Professor ermorden soll. Nach der Premiere steckte Godard – mitten in seiner Mao-Phase – ihm wortlos einen Zettel mit den kryptischen Worten „Du musst gegen den Individualismus und den Kapitalismus kämpfen“ zu. Seine amerikanischen Kollegen zeigten sich deutlich beeindruckter: Francis Ford Coppola, Martin Scorsese und Steven Spielberg hielten „Der große Irrtum“ für den wichtigsten Film der Siebziger.

Bertoluccis persönliche Bilanz fällt in diesen Jahren ernüchternd aus. „Ich musste meine Ängste exorzieren“, erzählt er in einem Interview. „Ich war Marxist von ganzem Herzen – und mit all der Verzweiflung eines Bürgerkindes, das sich für den Marxismus entscheidet. In jedem Marxisten aus der Bourgeoisie steckt die Angst, irgendwann in sein Milieu zurückgesogen zu werden. Man wird da hineingeboren und es ist sehr schwer, dem zu entkommen.“ Wie als Echo auf Godards Zettel sagt er später, dass ihn am gesellschaftlichen Umsturz der individuelle Fortschritt interessiert habe, nicht die Verbesserung der Gesellschaft.

Sein Comeback feiert Bertolucci konsequenterweise mit dem denkbar unpolitischsten Historienkino, in dem noch die stille Faszination für den Kommunismus flackert, diese aber bereits einem inszenatorischen Bombast mit farbenfrohen Massentableaus und epischem Atem Bahn bricht. „Der letzte Kaiser“ war die Rückkehr des restaurativen Breitwandkinos eines David Lean; Bertolucci zeigte sich auch mächtig stolz, dass er als erster in der Verbotenen Stadt drehen durfte.

Mit Bernardo Bertolucci ist einer der letzten Intellektuellen einer libertären, revolutionären Ära des europäischen Kinos gestorben. Eine andere Revolution, die die Filmbranche und die gesamte Gesellschaft mit MeToo seit gut einem Jahr erfasst, kam für ihn allerdings zu spät.

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