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Ein wertvolles Gemälde der Bohorodchany-Ikonostase wird im Andrey Sheptytsky Nationalmuseum in Lwiw in Sicherheit gebracht.

© Bernat Armangue, picture alliance/dpa/AP

Update

Zerstörte Holzkirchen, bedrohte Archive: Ukrainisches Kulturgut in Gefahr

Museumssammlungen, Kirchen und  Wissenschaftseinrichtungen bangen um ihre Bestände. Man hofft auf Schutz durch die Haager Konvention.

Kaum hatte der russische Überfall auf die Ukraine begonnen, wurden alle Museen sofort geschlossen. Als vier Tage nach dem ersten Angriff das kleine Regionalmuseum in Ivankiw bei Kiew in Flammen aufging, in dem Gemälde der in der Ukraine sehr verehrten Malerin Maria Primachenko (1909 – 1997) hingen, die nur zum Teil von der Bevölkerung gerettet werden konnten, war das für die Museumsdirektoren im Land das Signal, dass Kulturgüter nicht verschont werden würden.

Das größte Museum des Landes, das Andrey Sheptytsky Nationalmuseum in Lwiw, das 1905 als Kirchenmuseum gegründet worden war, trommelte Freiwillige und Mitarbeiter zusammen, um die 12 000 Objekte der Dauerausstellung zu verpacken und zu sichern. Er hätte zuvor keinen Moment damit gerechnet, dass die Kunstwerke wirklich in Gefahr geraten könnten, zitiert das niederländische „NRC“ Museumsdirektor Ihor Kohzan.

Man nutzte alles, was man finden konnte, sagt er. Eine tausend Jahre alte Bibel sei zusammen mit alten Manuskripten in einer Bananenkiste aus dem Supermarkt gelandet. Auf Fotos ist zu sehen, wie Skulpturen verpackt werden, Gemälde abgenommen und Vitrinen mit Klebeband verklebt werden. Teile der Barocksammlung wurden – wie bei einem Umzug – in Kartons verpackt.

Konservatorische Hilfsgüter benötigt

Helfen könnte jetzt eine Spende in Höhe von zwei Millionen Dollar von ALIPH (Internationale Allianz für den Schutz des Kulturgutes in Konfliktgebieten), wie die französische Zeitschrift „Le Point“ meldet. Mit dem Geld sollen vor allem Verpackungsmaterial, Dokumentation und Transport bezahlt werden. Das Londoner Institute of Conservation hat jetzt eine Liste mit den dringendst benötigten konservatorischen Hilfsgütern veröffentlicht und bittet um Spenden (Kontakt: icon.org.uk).

Am Mittwoch rief die Denkmalschutzorganisation „World Heritage Watch“ in Berlin Museen, Ausstellungshäuser und Galerien dazu auf, Verpackungsmaterialien zu spenden. Man habe Kontakt zu einer Initiative in Lwiw, die Spenden verteilen könnte – so lange die Städte noch zu erreichen sind.

Der „Guardian“ berichtet, dass der Direktor des Nationalen Historischen Museums der Ukraine in Kiew, Fedir Androschtschuk, in einer E-Mail an einen schwedischen Kollegen mitgeteilt habe, dass es vier Museen – in Winnyzja, Schytomyr, Sumy und Tschernihiw – gelungen sei, ihre wichtigsten Ausstellungen abzubauen und zu schützen. „In Winnyzja wird das Museumsgebäude jetzt teilweise für Binnenflüchtlinge genutzt.

Ein Werk der Bohorodchany-Ikonostase wird im Andrey Sheptytsky Nationalmuseum in Lwiw gesichert.
Ein Werk der Bohorodchany-Ikonostase wird im Andrey Sheptytsky Nationalmuseum in Lwiw gesichert.

© Bernat Armangue, picture alliance/dpa/AP

Bisher habe ich noch nicht gehört, dass eines der genannten Museen geplündert oder angegriffen wurde“, schreibt Androschtschuk, warnt aber auch vor möglichen Plünderungen bei einer Besetzung durch russische Truppen: „Es gibt keine Garantie, dass das ukrainische Kulturerbe nicht geplündert und in russische Museen gebracht wird, zumal Kiew in Putins Interpretation der russischen Geschichte und ihrer Wurzeln einen besonderen Platz einnimmt. Viele Funde, die um 1800 und Anfang 1900 in der Ukraine gemacht wurden, befinden sich heute in den beiden besten russischen Museen. Und es gibt auch Hinweise darauf, dass Objekte aus archäologischen Ausgrabungen auf der Krim an die Eremitage in St. Petersburg geschickt wurden.“

Brennende Holzkirchen, zerstörte Gotteshäuser

Sorgen macht sich Androschtschuk auch um drei bedeutende Kirchen in der Nähe seines Museums, da sich auch der Ukrainische Sicherheitsdienst und die Grenztruppen als mögliche Ziele russischer Angriffe in der Nachbarschaft finden.

Brennende Holzkirchen, zerstörte Gotteshäuser mit goldenen Kuppeln, auch diese Fotos finden sich in den sozialen Netzwerken, verstörende Fotos aus Dörfern in der Umgebung der Städte im Norden und Osten. Aber es gibt auch Fotos, auf denen ukrainische Soldaten zu sehen sind, die mehrere Feuerlöscher im Inneren der mit Schnitzereien reich verzierten Kirchen deponieren, eine bescheidene Vorsichtsmaßnahme angesichts der drohenden russischen Feuerkraft.

Ein Angriff auf Kirchen ist in einem religiös geprägten Land auch ein Angriff auf die Seele der Nation genau wie der auf das nationale Kulturgut.

Büsten der sowjetischen Ikonographie werden im Andrey Sheptytsky National Museum in Lwiw gelagert.
Büsten der sowjetischen Ikonographie werden im Andrey Sheptytsky National Museum in Lwiw gelagert.

© Bernat Armangue, picture alliance/dpa/AP

Präventiver Schutz, wo er noch möglich ist, ist daher das Gebot der Stunde. Schon bevor die Ukraine bombardiert wurde, hat etwa Hayden Basset, Archäologe und Direktor des Cultural Heritage Monitoring Lab am Virginia Museum of Natural History in den USA, mit Hilfe von Satellitenbildern die kulturell bedeutenden Stätten der Ukraine kartiert – die Kathedralen von Kiew, die historischen Gebäude von Lemberg, die Museen im ganzen Land und die antiken Grabstätten in den Steppengebieten.

Über diese Inventarisierung des ukrainischen Kulturgutes könnten im Kriegsfall besser Schutzmaßnahmen getroffen werden, etwa die Kennzeichnung mit dem „Blauen Schild“ gemäß der „Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ von 1954. Von der Unesco heißt es, erste Blaue Schilder seien angebracht worden. Man sei im Kontakt mit den Behörden vor Ort.

Kartographierung per Satellit

Blue Shield Deutschland, ein 2017 gegründeter Verein, der sich dem Schutz von kulturellem Erbe vor allem in Konflikt-, Katastrophen- und Notfallsituationen verschrieben hat und das deutsche Nationalkomitee von Blue Shield International bildet, sammelt ebenfalls Informationen zur Ukraine aus allen verfügbaren Quellen und koordiniert die Hilfe. Dabei geht es vor allem um spezielles Verpackungsmaterial, das auch eine lange Lagerung von Artefakten in nichtklimatisierten Räumen ermöglicht. Dabei arbeite man auch mit den internationalen Museumsverbänden zusammen, sagte Alexander Gatzsche von Blue Shield Deutschland dem Tagesspiegel.

Wichtig sei es, dass auch Museen über die Unesco offiziell mit dem Blue Shield markiert würden, dann könne man im Falle eines Angriffs diesen auch als Kriegsverbrechen werten. Gatzsche erinnert daran, dass das Blue Shield gleichwertig mit dem Roten Kreuz sei und internationalen Schutz garantiere.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

Angesichts der heftigen Bombardierung ukrainischer Städte kommt zur Sorge um das unermessliche Leid der Zivilbevölkerung auch die um die Architektur der Städte. Teile dieser Architektur gehören zum Weltkulturerbe wie die historische Altstadt von Lemberg sowie die Sophienkathedrale und das Höhlenkloster Lawra Petschersk in Kiew. Als die deutschen Besatzer 1941 die berühmte Uspenski-Kathedrale sprengten – die 1998 bis 2000 wieder in aller Pracht aufgebaut wurde – sagte der damalige Reichskommissar Erich Koch getreu der Nazi-Doktrin, dass identitätsstiftende Kultstätten der unterworfenen Völker zu beseitigen seien. Ob Putin, der der Ukraine das Recht auf Eigenstaatlichkeit abspricht, diese Karte spielen wird, ist offen. Einen ähnlich zerstörerischen Beschuss von Kiew und Odessa wie in Mariupol und Charkiw möchte man sich nicht vorstellen.

Mit Hilfe von Satellitenaufnahmen will die in Paris ansässige Unesco beobachten, welchen Schäden es an den Kulturgütern in der Ukraine gibt. Die UN-Kulturorganisation bekräftigte außerdem, sich für Kulturschaffende in der Ukraine einsetzen zu wollen. Auch die für Kultur zuständigen Ministerinnen und Minister der Europäischen Union hatten Hilfe für ukrainische Journalisten und Künstler zugesichert. Man werde Einrichtungen unterstützen, die sich dazu bereiterklären, diese Berufsgruppen aufzunehmen, damit sie weiter aktiv sein können.

Hilfe für geflüchtete Kulturschaffende

Museen und Forschungseinrichtungen in Deutschland erreichen Hilfegesuche aus der Ukraine und auch aus Russland. Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, berichtete gegenüber dem Tagesspiegel etwa von einem Kollegen, der wichtige Teile der Sammlung seines Museums auf die Flucht mitgenommen und dafür auf persönliches Gepäck verzichtet habe. Das Museum werde Geflüchteten auch Arbeitsmöglichkeiten anbieten, so Vogel.

Laut der Sprecherin der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung mit Hauptsitz in Frankfurt, Judith Jördens, hätten etwa „Senckenberg am Meer“ in Wilhelmshaven und die „Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen“ in Dresden „enge Kontakte“ zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Ukraine.

„Wehrfähige Männer können ja aktuell leider nicht das Land verlassen – es sind also überwiegend Wissenschaftlerinnen und deren Kinder, die fliehen“, so Jördens. Ihnen würden Gästezimmer sowie die Nutzung der Labore und Ähnliches angeboten. Es gebe auf privater Ebene auch Bemühungen, Kolleginnen bei der Flucht zu unterstützen. Zudem biete man als Teil der Leibniz-Gemeinschaft „ausreisenden Studierenden und Wissenschaftler*innen Unterstützung in Form von Stipendien mit Matching-Funds an“. (mit dpa;epd;rif)

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