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Liz Vliegenthart, Christoph Ulleweit, Paula Isabel Glamann, Otto Brink, Christine Jung und Nina Müller (v.l.): die Tagesspiegel-Leserjury 2024. Nummer sieben, Torben Schläger, steckte beim Fototermin leider im Stau.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Zehn Tage Festivalmarathon : Unsere Berlinale-Leserjury stellt sich vor

Im Gespräch erzählen die Tagesspiegel-Leserjuror:innen, wann sie zuletzt im Kino geweint haben, was ihr Lieblingsfilm ist und mit welchen Stars sie sich gerne mal auf ein Glas treffen würden.

15 Filme aus der Sektion „Encounters“ sehen die sieben Mitglieder der diesjährigen Tagesspiegel-Leserjury in den nächsten Tagen, bevor sie gemeinsam entscheiden, welchen Film sie zum Gewinner küren. Das wird dann bei der Preiverleihung der Unabhängigen Jurys am Samstag, dem 24. Februar, bekannt gegeben.

So vielseitig wie die Encounters-Reihe ist auch die Zusammensetzung der Gruppe von Filmbegeisterten. Hier stellen wir Ihnen die sieben Juror:innen vor.

1 Christine Jung

„Seit 1969 gehe ich regelmäßig zur Berlinale“

Christine Jung besucht seit über 50 Jahren die Berlinale. Von der Tagesspiegel-Leserjury weiß sie dank ihrer Tochter.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Die Mathematikerin Christine Jung entschied sich 2005, noch einmal an die Uni zu gehen und Psychologie zu studieren. „Ich habe gedacht, Psyche und Geist sind zwei komplementäre Aspekte, notwendig, um die Welt ganz zu verstehen.“ Zuvor war sie von 1982 bis 1986 in den USA an verschiedenen Universitäten als Dozentin für Mathematik tätig. 1969 zog die gebürtige Ostberlinerin wieder zurück nach Berlin, seitdem geht sie regelmäßig zur Berlinale.

Über 50 Festivals hat die heute 77-Jährige schon mitgemacht – das ist Rekord bei den Lesejurys des Tagesspiegels. Jung erinnert sich an einen Besuch des Zoo Palasts im Juni 1973, als die Berlinale noch im Sommer stattfand und man nicht stundenlang in der Schlange des Ticketcounters stehen musste, um eine der heiß begehrten Karten zu ergattern: „Früher konnte man einfach vorbeigehen und gucken, ob es Karten gibt. Die gab es oft auch, jedenfalls am Nachmittag. Einfach so. Und das im Wettbewerb!“ Christine Jungs Lieblingskino ist aber nicht der luxuriöse Zoo-Palast, sondern das kleine, charmante Bundesplatz-Kino.

Wenn sie es sich aussuchen könnte, würde sich die Berlinerin gerne mit dem deutschen Regisseur Andreas Dresen unterhalten, oder mit Carlo Chatrian, dem scheidenden künstlerischen Leiter des Festivals. Zumindest Chatrian hat sie beim Warming-up im Tagesspiegel-Verlagshaus schon einmal kurz kennengelernt.

2 Paula Isabel Glamann

„Mit Sandra Hüller oder Vivian Perkovic würde ich gerne mal einen Gin Tonic trinken“

Paula Isabel Glamann spricht fünf Sprachen. Am liebsten schaut sie Filme im Yorck-Kino in Kreuzberg.

© David Heerde für den Tagesspiegel

„Sprache, Sprache, Sprache und Musik.“ So beschreibt die 35-jährige Historikerin aus Friedrichshain ihre Leidenschaften. Paula Isabel Glamanns Leben findet auf Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch und Türkisch statt. Und wenn sie nicht gerade Hebräisch lernt, beschäftigt sich Glamann passioniert mit Filmgeschichte.

Die Jurorin, die sich selbst als queer*/bisexuell bezeichnet, schätzt an der Berlinale besonders die „Möglichkeit und Chance, anspruchsvolles und diverses Kino von allen Kontinenten erleben zu können und zugleich mit der dazugehörigen, der Sprache mächtigen Crowd in Kontakt zu treten“. Hassfilme hat Glamann, die seit 2021 die Berlinale besucht, keine. Die vergisst sie nämlich sehr bald nach dem Anschauen schon wieder. An die Filme, die ihr zuletzt besonders gut gefallen haben, erinnert sie sich dafür umso besser, an die finnische Tragikomödie „Fallende Blätter“ von Aki Kaurismäki und Justine Triets Thriller „Anatomie eines Falls“ mit der oscar-nominierten Sandra Hüller.

„Ich lache häufig im Kino. Aus positivem Impuls wie aus negativem“, sagt Glamann, die am liebsten ins Yorck-Kino am Kreuzberger Mehringdamm geht. Dass beim Anschauen eines Films Tränen fließen, passiert ihr hingegen seltener. Bei „La memoria infinita“, einem chilenischen Dokumentarfilm über einen Dissidenten, der Alzheimer hat, und seine ihn bei der Krankheit begleitende Frau, allerdings schon. „Die Analogie des Auslöschens von Erinnerung in einer Diktatur und in der Demenz hat mich sehr berührt.“ Vor allem die Dialoge des Paars im chilenischen Spanisch: Da ist sie wieder, Glamanns Liebe zur Sprache.

3 Otto Valentin Brink

„Mein Traum ist es, an einer Filmhochschule zu studieren“

Otto Brink will sich seinen Traum erfüllen: an einer Filmhochschule studieren.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Der 25-jährige Otto Brink, der im Einzelhandel arbeitet, war schon als Kind Feuer und Flamme fürs Kino. Gerne erinnert er sich an sein erstes Kinoerlebnis im Jahr 2009 zurück: „Ich habe „Willi und die Wunder dieser Welt“ im Colosseum gesehen. Anschließend gab es noch ein Q&A. Ich war total begeistert.“

Zuletzt im Kino gelacht hat der Berliner bei der Science-Fiction-Komödie „Poor Things“. Gut gefallen hat ihm Ulrich Seidls Hybridfilm „Models“. Das provokante Porträt aufstrebender Models im Wien der 1990er Jahre, angesiedelt an der Grenze zwischen Doku und Fiction, stammt aus dem Jahr 1999.

Die Vorfreude, jetzt 15 Berlinale-Filme sehen zu dürfen, ist bei dem jungen Mann, besonders groß. „Ich gehe jedes Jahr zur Berlinale. Aber normalerweise reicht es finanziell und zeitlich immer nur für ein bis zwei Kinobesuche pro Festival“, sagt Brink. Auch seinem Traumberuf kommt er so vielleicht näher: „Aktuell stecke ich wieder in der Bewerbungsphase für ein Studium an einer Filmhochschule.“

4 Nina Müller

„Jedes Jahr an Weihnachten schaue ich alle ,Herr der Ringe’-Folgen“

Nina Müller ist Fan von „Fight Club“, Martin Scorsese, Robert De Niro und dem Zoo Palast.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Nina Müllers absoluter Lieblingsfilm? „Fight Club“ von David Fincher. „Ich hab ihn neulich nochmal geguckt, weil ich Angst hatte, dass ich ihn nicht mehr mag. Aber das war unbegründet, ich finde ihn immer noch toll.“ Inzwischen ist die 43-Jährige aber auch großer Fan der Marvel-Reihe. Grund dafür ist ihr 13-jähriger Sohn. „Durch ihn lerne ich viele Filme kennen, die ich mir ansonsten eher nicht angucken würde. Das ist ungemein reizvoll“, sagt Müller.

Auch ein filmisches Weihnachtsritual hat die Marketing- und Sales-Expertin: „Ich gucke jedes Jahr an Weihnachten alle Teile von ,Herr der Ringe’, gerne in der extended version.“ Auch findet sie, dass sie trotz der Vorliebe für bestimmte Schauspieler:innen oder Regisseur:innen bei deren Filmen keineswegs unkritisch werden muss. „Ich mag Scorsese und Robert De Niro sehr, aber ,The Irishman’ hat mir trotzdem überhaupt nicht gefallen“, sagt Müller.

Wenn sie ins Kino geht, dann am liebsten in den Zoo Palast, wegen seiner Eleganz und der bequemen Sitze – „obwohl das Popcorn dort unverschämt teuer ist“. Auch das Hackesche Höfe Kino mag Müller gerne; „weil es so heimelig ist und viele Filme in der Originalsprache zeigt“. Das sei einfach besser als die synchronisierte Version.

5 Christoph Ulleweit

„Ich bin großer Fan des unabhängigen Kinos“

Jedes Jahr besucht der Filmlehrer Christoph Ulleweit mit seinen Schüler:innen das Kurzfilmprogramm der Berlinale.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Christoph Ulleweit ist dieses Jahr das einzige Jurymitglied, das sich auch beruflich viel mit Film auseinandersetzt. Der 52-Jährige aus Prenzlauer Berg ist seit zwölf Jahren Filmlehrer an einer internationalen Schule in Berlin. Zuvor hat er viele Jahre an solchen Schulen im Ausland gearbeitet, ist also schon viel in der Welt herumgekommen.

Mit seinen Schüler:innen, die aus Indonesien, Vietnam, Thailand, dem Sudan, Russland und vielen weiteren Ländern stammen, besuchte er in den letzten Jahren gerne das Kurzfilmprogramm der Berlinale. „Natürlich bin ich sehr an Filmen aus anderen Kulturen mit neuen Perspektiven interessiert“, sagt Ulleweit. Der ambitionierte Lehrer freut sich, als Jurymitglied nun nicht nur als gewöhnlicher Zuschauer am Festival teilzunehmen, sondern aktiv an der Berlinale mitzuwirken. Sein bisher eindrucksvollstes Erlebnis bei den Filmfestspielen? „Ein Screening von ,The Unknown Known’ mit anschließendem Q&A mit Errol Morris, einer echten Legende des Dokumentarfilms“, sagt der Arthouse-Liebhaber.

Privat besucht Christoph Ulleweit am liebsten das Kino International. „Da bleibe ich gern auch nach dem Film, um noch etwas zu trinken und durch die Glasfenster auf den Fernsehturm zu schauen.“

6 Liz Vliegenthart

„Versehentlich bin ich in Jogginghose zu einer Filmpremiere gegangen“

Die gebürtige Niederländern Liz Vliegenthart lebt seit drei Jahren in Berlin-Wedding. Ins Kino geht sie mindestens einmal die Woche.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Die Niederländerin Liz Vliegenthart reiste im Jahr 2020 das erste Mal für die Berlinale in die deutsche Hauptstadt. Zuvor hatte sie schon das IFFR in Rotterdam besucht und damit eine neue Leidenschaft gefunden. „Filmfestivals sind irgendwie mein Ding, mein Hobby. Ich habe eine Liste mit Filmfestivals, die ich in meinem Leben unbedingt noch besuchen möchte“, sagt Vliegenhart.

Die 26-Jährige, die jede Woche mindestens einmal ins Kino geht (aber nie in einen Horrorfilm), liebt das Schönberger Odeon Kino, weil es klein und gemütlich ist. Und sie ist Fan des Delphi Filmpalasts. „Dieses Kino ist so wunderschön, dass ich ein bisschen weinen musste, als ich das erste Mal dort war.“

Ihren allerersten Berlinale-Besuch wird Vliegenthart nicht vergessen. Sie hatte Tickets für eine Premiere im Zoo Palast und keine Ahnung, dass es sich um eine Gala-Vorstellung handelte. „Deshalb bin ich in Jogginghose ins Kino gegangen. Ich weiß noch, wie irritiert ich war und mich gefragt habe, warum alle Leute so schick gekleidet sind“, sagt Liz Vliegenthart. Heute kann sie über die damals unangenehme Situation lachen.

Was ihre diesjährige Berlinale rundum perfekt machen würde? Mit US-Schauspielerin Kristen Stewart, die für das Festival nach Berlin reist, etwas trinken gehen – „sie ist einfach toll!“

7 Torben Schläger

„Der Disney-Klassiker ,König der Löwen’ war mein erster Kinofilm“

Der Filmwissenschaftler Torben Schläger, Mitglied der Tagesspiegel-Leserjury 2024.

© Christiane Peitz

Torben Schlägers Leidenschaft für den Film erkennt man bereits an der Wahl seines Studienfachs: Er ist Alumni der Filmuniversität in Babelsberg, an der er einen Abschluss in Medienwissenschaften machte. Obwohl der 35-Jährige im Film und Medienbereich bereits als Redakteur, Autor, Lichtträger und, wie er selbstironisch sagt, „Motivator und Blödelbacke“ tätig war, war er noch nie auf der Berlinale.

Die ersten Berliner Filmspiele, und dann direkt als Mitglied einer Jury – könnte es einen besseren Einstieg für eine ab jetzt vielleicht alljährliche Passion geben? Auch wenn Schläger erst am 26. Februar einen Haken hinter den Stichpunkt „Berlinale“ in seiner Bucket List machen kann, kann er bereits auf Erfahrungen bei anderen Filmfestivals zurückblicken. „2019 war ich Mitglied des Programmteams des Potsdamer Studierenden-Filmfestivals Sehsüchte und eines kleinen Kurzfilmfestivals in Kreuzberg“, sagt der Juror.

Schläger, der zuletzt beim Anschauen von Andreas Dresens Tragikomödie „Halbe Treppe“ aus dem Jahr 2002 geweint hat und als hochgewachsener Mensch die Beinfreiheit in den Kinosälen des Zoo Palasts zu schätzen weiß, sieht die Berlinale als Chance: „Wissenshunger, Neugierde und Humor treiben mich an. Neues ist immer gut“.

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