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Der kontroverse Filmemacher Y (Avshalom Pollak) will sich nicht zensieren lassen.

© Grandfilm

„Aheds Knie“ im Kino: Wut auf Israel

Der israelische Regisseur und Bären-Gewinner Nadav Lapid kritisiert in „Aheds Knie“ die Politik seiner Regierung. Ein Film wie eine Schocktherapie.

Von Andreas Busche

Aus der Luft sieht das Land ganz harmlos aus, als hätte es mit dem eigenen Leben nichts zu tun. Die Maserung der Wüste, die schroffen Felsformationen besitzen beim Blick aus dem Fenster eine abstrakte Schönheit. Aber schon der Innenraum der kleinen Chartermaschine, die den Filmemacher Y (Avshalom Pollak) an einen Außenposten Israels befördert, entlarvt die Unschuld des Augenblicks: Das Flugzeug transportiert auch eine Gruppe junger Soldaten. Man wird dieses Land, das sich seit seiner Gründung im Kriegszustand befindet, nie los.

In Nadav Lapids „Aheds Knie“ fällt ein Satz, der lange nachhallt: „Am Ende gewinnt immer die Geografie.“ Y erinnert sich bei einer seiner Wutausbrüche an den Spruch seiner Mutter, der wiederum ein Lieblingssatz von Haïm Lapid war – der Mutter des israelischen Regisseurs. Die eigene Herkunft lässt sich nicht einfach so abstreifen; sie kann auch zum Fanal werden. Es ist ein wiederkehrendes Motiv in den Filmen von Nadav Lapid.

Im Mittelpunkt von „Synonymes“, der 2019 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, steht ein junger Israeli auf der Flucht vor seiner Kultur. Um dem Fluch der Muttersprache zu entkommen, geht Yoav (Tom Mercier) – so wie der junge Lapid in seinen Zwanzigern – nach Paris. Er paukt französische Vokabeln: obszön, verabscheuenswert, böse, barbarisch. Worte, die ihm in den Sinn kommen, wenn er an sein Heimatland denkt.

Auch in „Aheds Knie“, der in Cannes vergangenes Jahr den Preis der Jury gewann, ringt der Protagonist mit Israel, nur lässt er seine schlechte Laune diesmal ungefiltert an seiner Umwelt aus. Y steckt in den Vorbereitungen für einen Film über die junge palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi, die 2018 Weltberühmtheit erlangte, als sie mit bloßen Händen einen israelischen Soldaten angriff und dafür zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Das Knesset-Mitglied Bezalel Smotrich, ein Hardcore-Zionist, erklärte damals, dass Tamimi eher einen Knieschuss verdient gehabt hätte.

Umstellt vom eigenen Land

„Synonymes“ besaß noch eine musikalische Anmut, die „Aheds Knie“ nun vollkommen abgeht. Eine Schauspielerin, die für die Rolle von Ahed Tamimi vorspricht, singt zum räudigen Hardrock von Guns N’ Roses, ein bizarres Burlesk-Theater in Militäruniformen endet in einem Pogo zu einem israelischen Punksong. Und wenn Y zu Vanessa Paradis’ Pophit „Be My Baby“ einsam in der Wüste tanzt, schlägt die Kamera wildeste Pirouetten. Musik ist in „Aheds Knie“ eine Übersprunghandlung, so wie auch die gehetzten Kameraperspektiven ständig nach einem Subjekt oder wenigstens einer räumlichen Verortung zu suchen scheinen. Manchmal rückt die Kamera den Menschen fast übergriffig auf den Leib, in extremen Close-ups. Der Frontalangriff fungiert als Lapids Modus Operandi.

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Y ist kein Sympathieträger. Yahalom (Nur Fibak), die junge Angestellte des israelischen Kulturministeriums, die ihm die Vorführung in einer entlegenen Siedlung in der Arava, einer wüstenartigen Senke an der Grenze zu Jordanien, arrangiert hat, behandelt er herablassend. An einer der Sehenswürdigkeiten in der Wüste pinkelt er in den Staub. Die Geografie siegt immer: Der kleine Bungalow, den Y bei seinem Besuch bezieht, besitzt zwei Glasfronten; durch das Fenster blickt man direkt auf die Berge im Hintergrund. Das Land hat den Protagonisten von „Aheds Knie“ förmlich umstellt.

Die Paranoia ist in Lapids Film greifbar: durch die Reißschwenks in den Gesprächen zwischen Y und Yahalom, die eher an Verhöre erinnern; in Flashbacks aus seiner eigenen Militärzeit, die allmählich in die Handlung einsickern; in der wachsenden Frustration mit einer staatlichen Politik, die unmittelbar in das kulturelle Leben eingreift. In der jungen Ministerialangestellten, die eigentlich nur ihrem Lieblingsregisseur einen Auftritt ermöglichen wollte, sieht Y die Stellvertreterin eines repressiven Systems.

Lapid lässt kaum Zeit zum Luftholen

Denn bevor er sein Honorar erhält, druckst sie herum, müsse der kontroverse Filmemacher noch einwilligen, dass er in der anschließenden Publikumsdiskussion nur über vertraglich festgelegte Themen spricht: die Vielfalt der jüdischen Kultur, jüdische Identität, Antisemitismus, die ewige Hauptstadt Jerusalem. Das Leben in den besetzten Gebieten, die Unterdrückung der arabischen Minderheiten stehen nicht auf dieser Liste. Die darauf folgende Tirade, in die sich Y hineinsteigert, ist in ihrem selbstgerechten Furor sehenswert: „Ich kotze Israel aus mir heraus, in das Gesicht deines Kulturministers!“

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, versinnbildlicht im titelgebenden Knie der Aktivistin, wird indirekt auch zum Motiv des Films. Avshalom Pollaks Vergangenheit als Choreograf – auch „Synonymes“-Darsteller Tom Mercier kommt ursprünglich vom Tanz – ist kein Zufall. Man kann die Vitalität von Lapids Ästhetik wohl nur als direkte Reaktion auf die Verhältnisse verstehen: politisches Affektkino, das in seinem appellativen Charakter zur Zumutung wird.

(In den Berliner Kinos Filmkunst 66, Brotfabrik, fsk, Passage, Tilsiter Lichtspiele, Wolf, auch OmU)

Dass die Politik männlicher Körper – noch zarter, verspielter in „Synonymes“, diesmal frontal – nur bedingt als Antwort auf staatliche Aggressionen hilft, geht in Lapids Abrechnung mit seinem Geburtsland gelegentlich unter. Denn zum Luftholen kommt „Aheds Knie“ kaum, auch darum irritiert Ys Breitbeinigkeit vor dem Wüstenpanorama in einem der kontemplativeren Momente. Noch dazu in einem Film, der einer jungen Frau gewidmet ist.

Als ungefilterter Ausdruck des gegenwärtigen israelischen Kinos lässt sich „Aheds Knie“ allerdings nur schwer abschütteln. Vielmehr verwundert es, gerade vor Lapids vehementer Kritik an der israelischen Kulturpolitik, dass sein Film mit staatlichen Geldern gefördert wurde. Er musste „Aheds Knie“ offensichtlich aus dem System kriegen, wie einen persönlichen Exorzismus. Man spürt dem Film diese Dringlichkeit an. Zwei Wochen schrieb Nadav Lapid an dem Drehbuch, erstmals ohne Hilfe seine Mutter Haïm, die vor zwei Jahren verstarb. Unmittelbarer kann Kino kaum sein. Und selten war die Floskel vom Politischen im Privaten so zutreffend wie in diesem Konvolut unverarbeiteter Gefühle.

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