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Kultur: "Wonder Boys": Verrückt nach Michael

Die größte literarische Neuerung des vergangenen Jahrhunderts brachte wahrscheinlich weder der Surrealismus mit seiner écriture automatique noch Dada noch das absurde Theater, sondern das creative writing. Vor gut zehn Jahren traten in Amerika junge Leute auf den Plan, die das Schreiben von der Pike auf gelernt hatten - an der Uni, in Kursen, gemeinsam.

Die größte literarische Neuerung des vergangenen Jahrhunderts brachte wahrscheinlich weder der Surrealismus mit seiner écriture automatique noch Dada noch das absurde Theater, sondern das creative writing. Vor gut zehn Jahren traten in Amerika junge Leute auf den Plan, die das Schreiben von der Pike auf gelernt hatten - an der Uni, in Kursen, gemeinsam. Sie fabrizierten Texte, die, oberste Regel, von vielen gelesen sein wollten; Handwerk galt mehr als Inspiration, und schon war auch die Literatur endlich einmal auf der sicheren Seite. Vielleicht betrieben die meisten dieser neuen Autoren ja, weder trivial noch genial, die écriture automatique auf ihre Weise: als muntere Schreibautomaten, justiert darauf, ihr Publikum stets zu unterhalten, niemals jedoch existenziell zu behelligen.

Michael Chabon, geboren 1963, ist einer der ersten Wonder Boys dieser neuen Literaturszene, die das "kreative Schreiben" bald weltweit salonfähig machte. Seine Diplomarbeit, "Die Geheimnisse von Pittsburgh", die er mit Mitte Zwanzig veröffentlichte, wurde ein Bestseller. Ein paar Jahre später erschien sein Campus-Roman "Wonder Boys", erneut in Pittsburgh, Pennsylvania, spielend - und soeben hat ihn Curtis Hanson verfilmt. Das Buch handelt, geradezu davonfließend flüssig geschrieben, von der Schreibkrise eines "Creative Writing"Professors in seinen mittleren Jahren - und auch der Film des selbst eher spät zum Regisseur berufenen Curtis Hanson, der mit dem Neo-Noir "L.A. Confidential" 1997 seinen Durchbruch feierte, ist ebenso routiniert wie wohltemperiert geraten.

"Pures Vergnügen", "superb inszeniert", sekundierten sogleich die amerikanischen Rezensenten, "ein Feuerwerk an respektloser Komik und berührendem Ernst" - nur: tönen diese Zitate, vom deutschen Verleih stolz aufs Titelblatt des Pressehefts gehoben, nicht irgendwie selbst wie auf Taste gelegte Jubelrufe von Leuten mit Diplom im kreativen Filmkritikschreiben?

Michael Douglas gibt diesen Literaturprofessor Grady Tripp, dem so manches abhanden kommt an einem langen, kurzen Wochenende: die dritte Ehefrau, die verliebte Bewunderung seiner "Creative Writing" studierenden Untermieterin, der Job (schließlich hat er entschieden zu viel kalifornisches Marihuana in den Haarspitzen), sein unvollendeter Roman namens "Wonder Boys" (eine Windbö zerstreut ihn erbarmungslos), ja, fast auch die Liebe der von ihm geschwängerten Frau seines Chefs. In erster Linie aber befreit er sich von seiner bis in die mittleren Fünfziger bewahrten Restjugend, und das ist gut so. Professor Tripp wird erwachsen: Er legt sich einen Laptop zu, statt seine Texte ohne Kopie auf einer alten Schreibmaschine runterzudonnern, er lernt, wie man so die Liebe erklärt, dass auch gestandene Frauen Vertrauen fassen - und, vor allem, er verzichtet endlich darauf, Leuten das Schreiben beibringen zu wollen.

Der Film könnte eine schöne Satire sein: auf die ewige Pubertät an der Uni (mit Michael Douglas, zehn Jahre älter besetzt als die Figur im Buch), auf die Rivalitäten des Literaturbetriebs (es gibt da diesen jungen James, der einen dollen Roman geschrieben hat) - und ist es doch nicht. Soll es wohl auch nicht. Manche werden gerade das mögen. Für andere aber bleibt die Geschichte zwei Stunden lang im Angespielten hängen; im Bermuda-Dreieck zwischen dem zärtlicheren, genaueren Woody Allen und seinen chronisch unfertigen Innenwelten, den schrilleren Farrelly-Brüdern, die mit toten Hunden ganz andere, unvergessliche Scherze treiben, und den Coens, die das Abgründige und das Alberne unübertrefflich zu vereinen wissen. "Wonder Boys" aber ist "Little Lebowski" ist "Der Campus-Neurotiker" ist "Verrückt nach Michael". Wenn man denn nach Michael verrückt sein kann.

Sehen wir also den Schauspielern bei der Arbeit zu. Curtis Hanson hält sie alle fein am Zügel, also sehen ihre Pirouetten besonders schön aus. Vor allem ist dies der Film eines Michael Douglas, der sich vorsichtig neu erfindet, endlich mal nicht die Sehnsucht nach dem tough guy, sondern ein vorruheständlerisch derangiertes, sympathisch verschludertes Mannsbild in den fast noch besten Jahren. Frances McDormand als Geliebte, Tobey Maguire als Literaturtalent und Robert Downey Jr. als schwuler Lektor geben Prisen ihres Könnens dazu, ohne Douglas den Auftritt zu verwürzen.

In eine merkwürdig wattierte Schneekugelwelt führt dieser vorwinterliche Film, mit dem man sich "einen schönen Abend noch" machen kann. Natürlich hat er ein Happyend nach der Katastrophe, ein eher breites als hohes oder tiefes. Es musste nicht nach den in Amerika üblichen test screenings extra rangeschrieben werden. Es steht schon so bei Michael Chabon. Schließlich hat der Mann sein Handwerk gelernt.

In 14 Berliner Kinos; Originalversion im Odeon und im Cinemaxx Potsdamer Platz

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