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In der Fremde kann es auch ein Zuhause geben: Loris Cecchinis transparente Wohnwagen.

© Mathias Schormann

Berlin Art Week: "Xenopolis": Wo wir fremd sind

Was die Ferne von der Heimat erträglich macht: In "Xenopolis" zeigen sieben Berliner Künstler ihre Interpretationen des Fremdsein in der Großstadt und zeigen, dass auch sie einmal fremd waren.

Wie gut passt dieses Thema in die Zeit! „Xenopolis“ heißt die Ausstellung, welche die Kunsthalle der Deutschen Bank zum Themenschwerpunkt „Stadt /Bild“ der Art Week zeigt. Mit ihrer Eröffnung sind allein in diesem Jahr über 20 000 Flüchtlinge in Berlin eingetroffen. „Polis“, das ist die Stadt freier Bürger, „Xenos“ bedeutet „der Fremde“. Und noch ist offen, ob sich Berlin den Neuangekommenen auf Dauer als Xenopolis präsentiert – oder als Kosmopolis, als Weltstadt von Weltbürgern.

In „Xenopolis“ zeigen sieben Berliner Künstler ihre Interpretationen des Fremdseins in einer Großstadt: Laurence Bonvin, Loris Cecchini, Theo Eshetu, Anri Sala, Jan-Peter E. R. Sonntag und das Duo Mwangi Hutter. Auch sie waren einmal fremd hier, kamen ursprünglich aus Kenia, Italien, der Schweiz, Albanien, Großbritannien und der alten Bundesrepublik. Zur Ausstellung eingeladen hat sie der Kurator Simon Njami, und damit hängt die Messlatte hoch. Denn Njami hat 2014 Aufsehen mit der Großschau „Die Göttliche Komödie“ in Frankfurt am Main erregt. Über 50 Afrika eng verbundene Künstler kommentierten Dante und Europa, Himmel, Fegefeuer, Hölle und Christentum. Von diesem Feuerwerk ist „Xenopolis“ weit entfernt, und das tut Njamis neuem Thema gut.

Der Fremde kennt die Einsamkeit

Die sieben Beiträge hat Njami so luftig platziert, dass für Besucher Raum bleibt, sich in das Fremdsein hineinzudenken. So lässt sich aufmerksam den schrägen Klängen eines alten Berliner Leierkastens zuhören, die Jan-Peter E. R. Sonntag in Mexiko aufnahm, bei einem Drehorgelspieler, der Spaziergänger vergeblich um Münzen bittet, wie seine Filmcollage zeigt. Auch lässt sich noch einmal Anri Salas Film von 2005 sehen, in dem der Jazz-Musiker Jameel Moondoc Saxofon spielt – gefährlich weit draußen vor dem obersten Stockwerk eines Hochhauses im Märkischen Viertel. Und so lässt sich versuchen, die Plastik von Mwangi Hutter tatsächlich zu enträtseln. Ihre halb fertige Figur erinnert zugleich an Mariendarstellungen und Folteropfer von Abu Ghraib. Xenos, der Fremde, kennt die Einsamkeit, das Grauen und den Tod.

Doch in der Fremde kann es auch ein Zuhause geben. Das behaupten die zwei den Saal beherrschenden Beiträge. Loris Cecchinis transparente Wohnwagen beherbergen neben einem schmalen Bett auch Kakteen und Sukkulenten. Die Topfpflanzen immer dabei: So ließe sich wunderbar umherziehen, würde nicht die Sonne durch die Plastikwände brennen und man in den Kurven in Kaktusstacheln kippen. Wanderschaft birgt Gefahren und Schmerzen.

Essen und Musik machen das Fremde vertaut

Laurence Bonvins große Fotoinstallation lässt das fast körperlich spüren. In gleißendem Sonnenlicht liegen die Hütten von Blikkiesdorp, einer Retortensiedlung in Südafrika, in der rund 12 000 Menschen leben, teils Flüchtlinge aus Nachbarländern, teils entwurzelte Kapstädter, die den Prestigebauten für die Fußball-WM 2010 weichen mussten. Bis zum Horizont ziehen sich die Behausungen, immer eine Tür, ein Fenster, ein Wasserhahn, dazwischen Staub. Doch in ihrem Nachbau einer solchen Hütte zeigt Bonvin einen Film vom Leben dort: Auch in Blikkiesdorp beziehen Frauen Betten frisch, spülen Geschirr, kochen und backen. Vor dem Fenster singen Mädchen Abklatschverse.

Essen und Musik scheinen es zu sein, die das Fremdsein erträglich und die Fremde vertraut machen. Theo Eshetus filmisches Tagebuch zeigt auf 18 Flachbildschirmen rhythmisch choreografierte Impressionen aus Berlin, einer Stadt reich an Wald, Wasser und an Menschen, die tanzen, Cello spielen, ernste Lieder singen, auf dem Rummel feiern. Ist Berlin wirklich so? Dann hätte es das Potenzial zur Kosmopolis.

DB Kunsthalle, Unter den Linden 13/15, bis 8. 11.; Mo bis So 10 – 20 Uhr

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