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Kreiselnde Kuppel. Blick in Rebecca Horns Spiegel-Installation "Glowing Core" (2006/2018), die die Kuppel der St. Hedwigs-Kathedrale reflektiert.

© Uwe Gaasch

Rebecca Horn in Sankt Hedwig: Wo der Kirchraum zum Kunstraum wird

Erstmals nimmt das Erzbistum Berlin damit an der Art Week teil. Rebecca Horns Installation „Glowing Core“ wirkt wie gemacht für die St. Hedwigs-Kathedrale.

Wo, wenn nicht im sakralen Raum, liegt in der Vertikale ein Versprechen? Das Versprechen einer Achse zum Himmel, einer Verbindung zum Göttlichen. Diese erhabene Aura ist es, die den Kirchraum zum Kunstraum prädestiniert. Wie gut sie funktioniert – das zeigt die Baustellenbespielung in der seit Anfang des Monats geschlossenen und leer geräumten St. Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz. Erstmals nimmt das Erzbistum Berlin damit an der Art Week teil.
Rebecca Horns theatralische Installation „Glowing Core“ wirkt wie gemacht für den dem Pantheon in Rom nachempfundenen Kuppelbau. Dabei war ihr Zentrum, eine Kombination von Trichtern und Spiegeln mit dem Titel „Das Universum in einer Perle“, schon vor zwölf Jahren in der letzten großen Berliner Ausstellung der Künstlerin im Martin-Gropius-Bau zu sehen.
16 kreisförmig um das Hauptwerk angeordnete Installationen und eine von Obertongesang und Sphärenklängen dominierte Soundkomposition des neuseeländischen Musikers Hayden Chrisholm ergänzen das „Universum“. Auf Wunsch der 1944 geborenen Bildhauerin ist die Präsentation erst nach Sonnenuntergang in der dunklen Kathedrale zugänglich. Hinein geht es ausnahmsweise von hinten durch den Sakristei-Eingang.

Totenschädel, Speere, Kakteen

Vor Jahren habe Horn zusammen mit dem damaligen Leiter der Berliner Festspiele Joachim Sartorius ein Opernprojekt mit Sir Simon Rattle in Sankt Hedwig geplant, erzählt der auf Kunstausstellungen in Kirchen spezialisierte Galerist Alexander Ochs. Er hat die Präsentation zusammen mit dem Kunstbeauftragten des Erzbistums, Jesuitenpater Georg Maria Roers, kuratiert. Aus der Oper wurde damals nichts. Stattdessen darf sich nun die 1773 geweihte klassizistische Kathedrale, die im Stadtbild nach der ewigen Staatsopern-Baustelle glücklich wieder aufgetaucht ist, um für mutmaßlich fünf Jahre jetzt selbst in der Baustellen-Versenkung zu verschwinden, dank Horns Prominenz einiger Anziehungskraft gewiss sein.
Mögen die aus eisernen Totenschädeln, Spiegeln, Speeren, Leuchten, Wasserschalen und Kakteen gebildeten Skulpturen auch ein reichlich plakativer Mix aus Vanitas-Motiven sein, so ist der Tiefensog der von Blau- und Goldtönen dominierten zentralen Licht- und Spiegelsäule im Zentrum schon ziemlich irre.
Die berückend grafisch wirkende Konstruktion der mit einem sechs Meter breiten gläsernen Auge bekrönten, 36 Meter hohen Kuppel von Sankt Hedwig betont diesen Effekt. Die kinetische Mystikerin Horn verstärkt die durch die Kuppelöffnung symbolisierte göttliche Unendlichkeit durch eine weitere Ebene unendlicher Spiegelungen. Das Gold der von der Decke baumelnden Trichter und der Speere, die den Totenschädeln beigesellt sind, korrespondiert darüber hinaus mit den Goldbändern der Kuppel und Säulen des Kirchenbaus.

Da, wo das Loch war, ist nun Kunst

Genau da, wo jetzt das Spiegelpodest steht, auf dem ein weiterer beweglicher Spiegel montiert ist, und wo nach dem umstrittenen Umbau der Kathedrale der Altar stehen soll, klaffte bis vor Kurzem das Loch des Anstoßes. Hier führte eine Treppe in die Krypta, die Unterkirche des nach Kriegszerstörungen von Hans Schwippert zu DDR-Zeiten ausgestatteten Rundbaus. Gegen die derzeit nur provisorische Schließung und die Neugestaltung des denkmalgeschützten Kirchraums haben die Nachfahren des Architekten und andere damals beteiligte Künstler – unterstützt von Denkmalschützern und den „Freunden der Hedwigs-Kathedrale“ – nach jahrelangem Streit Klage eingereicht. Dass die Kathedrale, deren anstehende Kuppelsanierung sich wegen eines noch ausstehenden Förderbescheids verzögert, nun mit Kunst statt mit katholischer Liturgie bespielt wird, haben einige der Umbaukritiker im Vorfeld sogar als „Profanierung“ gegeißelt. Domprobst Tobias Przytarski hofft dagegen, dass die Kraft der Installation die Gegner des zentrierten Altars überzeugt. Allerdings kann es Rebecca Horns Voodoo mittels ausgeklügelter Apparaturen, Lichtwirkungen und Zeichensysteme nicht mit dem spirituellen Gehalt einer katholischen Messe aufnehmen. Ein Raumerlebnis und Weihespiel, das zudem an etlichen Abenden mit Gratis-Nachtmusiken zelebriert wird, ist es aber allemal.

St. Hedwigs-Kathedrale, Bebelplatz, Mitte, bis 11. 11., tgl. von Sonnenuntergang bis 23 Uhr, Di, Do, Sa Nachtmusik um 22 Uhr, Eintritt frei

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