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Die Installation "Untitled: 100banners2015" der britischen Künstlerin Phyllida Barlow.

© Norbert Miguletz / Schirn Kunsthalle Frankfurt

Politische Kunst in Frankfurt/Main: Wir sind gegen alles

Was kann Kunst politisch bewirken? Die Ausstellung „Power to the People. Politische Kunst jetzt“ in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt/Main.

Der Abstimmungserfolg für den Brexit kam zustande, so heißt es, weil ein Großteil der jüngeren Generation Großbritanniens nicht wählen ging. Man hielt die Sache für entschieden – gegen den Ausstieg aus dem vereinten Europa, versteht sich. So stand es tausendfach in den Social Media zu lesen. Aber das Smartphone ersetzt nicht die Wahlkabine. Noch nicht.

Insofern kann der Auftakt der Ausstellung „Politische Kunst jetzt“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt durchaus unterschiedlich verstanden werden. Der Belgier Guillaume Bijl, geboren 1946, hat ein „Wahlkabinenmuseum“ eingerichtet und in den dunklen Raum ein halbes Dutzend Wahlkabinen aus verschiedenen Ländern, von Marokko bis Finnland, von Österreich bis Japan gestellt. Als Einzelobjekt wirkt eine jede der Kabinen, die ohnehin zumeist nur Sichtblenden sind, zufällig und billig, dem Vorgang ganz unangemessen, der in ihr stattfindet und doch den Kern der Demokratie ausmacht: den Wahlakt des Souveräns, des Wahlvolks.

Andererseits lässt der Gedanke an die Wechselfälle von Wahläußerungen, ob Brexit-Abstimmung oder Parlamentswahl, diese Kabinen als etwas Kostbares erscheinen, als Inbegriff gelebter Demokratie, wie sie im Internet-Zeitalter nicht zuletzt aus Bequemlichkeit zu verschwinden droht.

Die Ausstellung hat etwas Spielerisches, Ironisches

„Politische Kunst jetzt“ ist zu jeder Zeit an die jeweilig aktuellen Probleme und Konflikte gebunden. Das macht ihren Charakter als Stellungnahme bis hin zur Handlungsaufforderung aus. Im Ausstellungskatalog, der passenderweise im Zeitungsdruck hergestellt wurde, wird ein Kunstkritiker der „New York Times“ zitiert, der den einen Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump in mehreren Städten der USA abgehaltenen „Women’s March“ als das „größte Werk politischer Performancekunst, das es je gegeben hat“, bezeichnete und damit die Grenze verwischte, die es zwischen Kunst und politischer Aktion denn doch gibt.

So weit geht die Frankfurter Ausstellung nicht; sie hat etwas Spielerisches, durchaus Ironisches. Dennoch, politische Kunst will etwas bewirken. Was sie am ehesten bewirken kann, ist die Verbreitung unterdrückter Information, ist Aufklärung im wörtlichen Sinne.

Dazu eignet sich insbesondere das Video; wenn etwa die israelische Gruppe Forensic Architecture aus dem Material von Überwachungskameras den Tod eines palästinensischen Demonstranten durch ein Gummigeschoss des Militärs rekonstruiert. Video kann aber genauso gut distanzierend sein; so, wenn der in Berlin lebende Nasan Tur, 1974 in Offenbach geboren, in seiner 6-Kanal-Installation „Preparation No. 1“ die klandestinen Vorbereitungen einer Demo zeigt, ohne dass im Entferntesten ersichtlich würde, zu welchem Zweck da Ziegelsteine zerkloppt, Stoffbahnen an Latten getackert oder Megaphone batteriebefüllt werden. Ebenso wenig ersichtlich ist der Zweck der bunten Fahnen, der „100banners2015“, die die Engländerin Phyllida Barlow, 1944 geboren, so dicht zusammengeschoben hat, dass sie zu einem einzigen Farbwald verschmelzen. Jetzt stehen sie unter der Eingangsrotunde der Schirn, als handele es sich um Baustellenabsperrungen auf einem Betriebshof. Auch die Plakate des in Berlin lebenden Jens Ullrich, Jahrgang 1968, zielen auf keinen bestimmten Missstand, doch sie „entstanden“ – erläutert der Künstler – „in direkter Verbindung mit dem lebenslangen Engagement meiner Eltern gegen alles, was mit nuklearer Technologie zu tun hat“.

Skeptische Distanz zu eindimensionalen Protestgehabe

„Gegen alles“ ist vielleicht ein gemeinsamer Grundzug der hier gezeigten Kunst: nicht „für etwas“, sondern „gegen alles“. In dem diffusen Gefühl, dass dem Einzelnen politische Partizipation immer weniger möglich ist und immer mehr entgleitet. Julius von Bismarck und Santiago Serra haben in einer Gemeinschaftsaktion auf das Foto von einem Papstbesuch einfach ein riesiges „No!“ projiziert.

Ausstellungskuratorin Martina Weinhart lässt in ihrer Zeitung kritische Denker zu Wort kommen, und nicht zufällig stößt man auf Jürgen Habermas und ein Zitat aus dessen Buch, „Protestbewegung und Hochschulreform“ von 1968: „Die neuen Demonstrationstechniken treffen die einzig schwache Stelle des legitimationsbedürftigen Herrschaftssystems, nämlich die funktionsnotwendige Entpolitisierung breiter Bevölkerungsschichten.“

Gut gebrüllt, Löwe! Der Behauptung der Entpolitisierung kann man gewissermaßen dauerhafte Aktualität bescheinigen, so gut, wie auch das Gegenteil zutreffen dürfte, angesichts der auf- und abschwellenden Debatten, die in den zurückliegenden 50 Jahren ausgetragen wurden. Was die Kunst – jedenfalls die in Frankfurt gezeigte – weitgehend eint, ist eine skeptische Distanz, zur offiziellen Politik sowieso, aber auch zu jedem eindimensionalen Protestgehabe.

Der Besucher als Teil des Kunstwerks

Am besten bringt es der Weltbürger Rirkrit Tiravanija, Jahrgang 1961, der in Bangkok, Berlin und New York lebt, zum Ausdruck. „Freedom cannot be simulated“, steht in Großbuchstaben auf einer Reihe von Seiten der Zeitung „South China Morning Post“ aus den Tagen, als in Hongkong die „Regenschirmrevolution“ vonstatten ging, ein Massenprotest gegen die Beschneidung des Wahlrechts, das die ehemalige britische Kolonie gegenüber Festlandschina noch besaß. Dasselbe Motto ließ der Künstler auf T-Shirts drucken, die zum Mitnehmen ausliegen (sollten) – der Besucher als Teil des Kunstwerks.

Dass die Arbeit Tiravanijas bereits zuvor in einem Museum ausgestellt war, ja gezielt für eine Ausstellung in New York angefertigt wurde, mag nebensächlich erscheinen, sagt aber viel über den Charakter politischer oder sich als politisch verstehender Kunst heute: Sie ist und bleibt Teil des Betriebs.

Frankfurt/Main, Schirn Kunsthalle, Römerberg, bis 27. Mai. Ausstellungszeitung 4,20 €.

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