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SCHREIB Waren: Wir sind dann mal weg

Steffen Richter packt seinen Koffer und flüchtet auf die Azoren.

Fußballmuffel hatten es früher leichter. Stand im Juni ein großes Turnier an, konnte man sich mit der Tour de France im Juli trösten. Aber Profiradsport in der Post-Fuentes-Ära? Schwierig. Alternativ bieten sich die Olympischen Sommerspiele im August an. Aber Olympia in Peking, nach Tibet? Auch schwierig. Wenn die Gefahr am größten ist und Rettendes von allein nicht wächst, muss man eben selbst aktiv werden. Die Lösung heißt: Weg hier! Der Lesebetrieb, wo er trotz EM nicht eingestellt wurde, macht schon mal auf Tourismusberatung.

Ein verlockendes Angebot sind die Azoren. Die neun Inseln, seit ihrer Besiedlung im 15. Jahrhundert ein Relais zwischen Alter und Neuer Welt, gehören zu Portugal. Deswegen wollte man den aus Amerika zurückkehrenden Kolumbus, unterwegs im Dienste der rivalisierenden Spanier, auf den Azoren kurzerhand festnehmen. Auch war das Wetter ziemlich mies. Denn ein Hoch über den Azoren sorgt zwar in Westeuropa für stabile Witterung, sagt aber nichts über die wechselhaften Verhältnisse auf den "Habichtsinseln" selbst. Dass viele Bewohner die Azoren verlassen, hat allerdings eher mit Vulkanismus oder der Suche nach einem besseren Leben anderswo zu tun. Meist sucht man in den USA. Onésimo Teotónio Almeida etwa wurde auf der größten Azoren-Insel S. Miguel geboren und ging über Portugal nach Amerika. Dort unterrichtet er an der Brown University in Providence und schreibt Kurzgeschichten, Stücke und Essays. Sie erforschen eine spezifische Form der "Portugalidade" - die Identität ausgewanderter Azorianer. Mit Almeida unterhält sich am 11.6. (20 Uhr) der aus dem Hessischen gebürtige Reiseschriftsteller und Ethnologe Ralph Roger Glöckler, der mit seiner Azoren-Trilogie ("Madre", "Corvo", "Vulkanische Reise") als ausgewiesener Spezialist gilt. (Literaturwerkstatt, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg).

Anbieten würde sich auch ein Trip nach Dublin: Man wappne sich mit einem hellen, breitkrempigen Hut und begebe sich am 16. Juni zum Joyce Tower von Sandycove. Dort wird man andere "Ulysses"-Leser treffen, die den Weg nachvollziehen, den James Joyce seinen Protagonisten Leopold Bloom am 16. Juni 1904 nehmen lässt. Nicht selten endet der Bloomsday in einem gründlichen Trinkgelage. Das allerdings bekommt man preiswerter, wenn man am 16.6. (20 Uhr 30) den kurzen Weg zum Buchhändlerkeller (Carmerstr. 1, Charlottenburg) nimmt, wo anlässlich des Bloomsday Joyce für jedermann auf dem Programm steht. Anschließend kann man sich in die Charlottenburger Lokale begeben.

Der spektakulärste Weg, dem Fußball zu entfliehen, wäre allerdings eine Fahrt mit der Turkestanisch-Sibirischen Eisenbahn. Die Route führt von Russland nach Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan. Und sie führt durch belastetes Gelände: von Radioaktivität und dem Kommunismus. So erzählt es Lutz Seiler, der mit "Turksib" im letzten Jahr souverän den Bachmannpreis gewonnen hat und am 12.6. (20 Uhr) in den Literarischen Salon der Allianz kommt (An den Treptowers 1). Das ist wirklich ein starker Text, ihn zu lesen, geht schneller als eine reale Reise und man ist zum Endspiel garantiert wieder zurück.

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