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Noelle Haeseling als Lotte und Maximilian Gehrlinger als Werther in der Inszenierung von Rebekka David.

© Jakob Fliedner

Wie aktuell ist Goethes "Werther"?: Heirate dich doch selber!

An der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" katapultieren sieben Studierende einen deutschen Klassiker lustvoll ins Heute.

Ist das jetzt der Durchbruch? Kündigt sich da eine neue Generation von Regisseurinnen und Regisseuren an, die in ihren Inszenierungen endlich wieder ohne Gebrüll auskommen? Rebekka David jedenfalls verzichtet in ihrer Diplominszenierung an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" völlig auf unmotivierte phonstarke Entäußerungen. Und das hat überhaupt nichts Altmodisches. Weil dadurch tatsächlich der Text in den Vordergrund rückt. Und man als Zuschauer Lust bekommt, genau hinzuhören.

Sehr frei und sehr eigenständig ist Rebekka Davids Adaption von Goethes "Werther", für die sie mit dem Bühnenbildner Florian Kiehl eine minimalistische szenische Lösung gefunden hat: ein paar Blumentöpfe, eine Schießbude und eine Disco-Kugel, das reicht, um Atmosphäre zu schaffen für ein inspirierendes, heutiges Spiel des Lebens.

Ganz selbstverständlich arbeitet die Regisseurin mit Elementen von Dokumentartheater und Performance, ja es gibt sogar eine bühnenreife Musical-Gruppenchoreografie. Souverän bewegt sich die fünfköpfige Darstellertruppe durch die diversen Stilebenen, wobei der Originaltext aus dem 18. Jahrhundert immer nur als Zitat aufblitzt zwischen den alltäglichen Diskursen junger Intellektueller aus den urbanen Gentrifizierungsgebieten.

Am Ende erschießt sich nicht Werther, sondern Lotte

Auf keinen Fall ein Paar sein, bloß nicht in die Falle des heteronormativen Glücksversprechens in monogamen Zweierbeziehung tappen - darum ringen Lotte und Werther. Selbstverständlich kommt sie in ihrem Privatleben auch ohne sein emotionales Cheerleading klar, selbstverständlich wird er niemals Liebe mit Besitzanspruch verwechseln! So reden diese Mitte-Hipster, und sie versuchen auch verzweifelt so zu handeln. Was natürlich nicht funktioniert. Wegen der blöden Gefühle.

Noelle Haeseling ist die verlockend-lockige Inkarnation der Lotte, Maximilian Gehrlinger ein Werther, dessen Augen blitzen, wenn er ins Schwärmen gerät, wie die des blutjungen Ethan Hawke im "Club der toten Dichter". Doch gerade vor dem Zuneigungsüberschwang Werthers nimmt die Angebetete Reißaus, vermählt sich spontan mit der Erstbesten, mit Alberta nämlich, - und wird natürlich schrecklich unglücklich. Am Ende bringt sie sich um, nicht er.

Mit dieser melodramatischen Volte aber endet der Abend natürlich nicht, dazu haben die Akteure noch viel zu viel mit ihren Regisseurin zu besprechen, die jetzt unerwartet auf die Spielfläche tritt. Über das Leben, so wie sie es sich erhoffen. Goethe war gut, keine Frage - wie sich aber Liebe leben lässt, im Berlin des Jahres 2019, das müssen sie schon selber herausfinden (weitere Aufführungen am 10., 11., 13., 14 und 15. September).

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