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Preisgekrönt. Elke Erb.

© Gerald Zoerner/dpa

Wichtigster deutscher Literaturpreis: Warum der Büchner-Preis für Elke Erb überfällig war

Mit der 82-Jährigen hat eine Geheimfavoritin die wichtigste Literaturauszeichnung des Landes gewonnen. Ein Porträt.

Nicht nur im Sport, auch in der Literatur gibt es so etwas wie Geheimfavoriten für Auszeichnungen. Dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nun die 1938 geborene, in Berlin und in der Lausitz lebende Schriftstellerin Elke Erb mit dem mit 50 000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis und mithin mit der nach wie vor bedeutendsten Auszeichnung seiner Art im deutschsprachigen Raum ehrt, ist überfällig.

Das wäre es allerdings auch im Falle anderer Autorinnen und Autoren gewesen, doch die hin und wieder erratischen Entscheidungsprozesse innerhalb der Deutschen Akademie haben immerhin dafür gesorgt, dass beispielsweise ein Peter Kurzeck büchnerpreislos gestorben ist.

Es wäre also keine Überraschung gewesen, wenn auch Elke Erb leer ausgegangen wäre. Nun bekommt sie den Preis, und es lässt sich aus dieser Entscheidung eine so schöne wie seltsame Kontinuität ableiten: Vor knapp drei Wochen wurde die 1940 geborene Helga Schubert beim virtuellen Klagenfurter Wettlesen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, auch sie eine Schriftstellerin, die mit der Bezeichnung „DDR-Autorin“ so simpel wie nur zum Teil zutreffend umschrieben wurde.

Das gilt erst recht für Elke Erb. Geboren 1938 in dem Eifeldorf Scherbach, wuchs sie in Armut und mit den Entbehrungen der Kriegszeit auf und übersiedelte 1949 mit ihren Eltern in den neuen deutschen Staat, die DDR. Erb studierte Germanistik und Pädagogik in Halle, absolvierte das Lehrerexamen und arbeitete bis 1965 als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag, bevor sie sich freie Schriftstellerin nannte. Von 1967 bis 1978 war Erb mit dem Lyriker Adolf Endler verheiratet.

Das Schlagwort des Eigensinns, das sich auf das Werk jedes ernst zu nehmenden Schriftstellers beziehen lässt, trifft auf Elke Erb gleich im doppelten Sinne zu: Zum einen legte sie sich in den 1980er-Jahren mit der Staatsmacht an, indem sie als Herausgeberin der Anthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ mit Gedichten von Autoren aus der Prenzlauer-Berg-Szene fungierte. Der Band konnte 1983 nur im Westen erscheinen; der Vorstoß von Hermann Kant, Erb aus dem Schriftstellerverband der DDR auszuschließen, scheiterte allerdings.

Prozessurales Schreiben als eigene Kunstform

Zum anderen ist es Erbs widerständiges, verspieltes, auf totale Freiheit basierendes Schreiben selbst, das sie zu einer Ausnahmeerscheinung hat werden lassen, die für Lyrikerinnen und Lyriker mehrerer Generationen zum Orientierungspunkt geworden ist.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnet, so der Begründungstext, eine Lyrikerin aus, deren Gedichte „sich durch eine prozessuale und erforschende Schreibweise aus, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung ist. Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert.“

Wie die verknappte, präzisierte Sprache sowohl Material bleiben und zugleich in einem Werk geformte Gestalt werden kann, zeigt sich vor allem daran, dass es bei Elke Erb nicht ungewöhnlich ist, dass ein kurzes Gedicht von ausufernden Selbstkommentaren über viele Seiten hinweg ergänzt wird.

Dieses „prozessuale Schreiben“, wie sie es nennt, ist weder Selbstzweck noch Selbstkorrektur, sondern eine eigenständige Kunstform, die Elke Erb perfektioniert hat. Sie ist Ausdruck der Erkenntnis, dass das Gedicht keine abgeschlossene Form darstellt, sondern Ausdruck ist eines permanenten Wandels und einer Abbildung von Bewusstsein, das nicht linear, nicht geordnet und nicht homogen strukturiert ist.

Durchsetzt von verblüffendem Humor

In einem bemerkenswerten Kurzfilm aus dem Jahr 2013, den der Filmemacher Frank Wierke für die Literaturwerkstatt Berlin gedreht hat, zeigt Elke Erb ihr mit Büchern bedecktes Bett („Da ich immer wieder schlaflos bin, habe ich jede Nacht freie Arbeitszeiten“) und sagt dann den Satz: „Du musst das unter dem Bewusstsein liegende Ich sprechen lassen.“

Früher, so erzählt Erb, habe sie Kinder dazu aufgefordert, zwölf selbstgewählte Wörter auf ein freies Blatt zu schreiben – „da bekommst du von jedem Kind eine Charakteristik seiner selbst. Und da ist schon eine wirkliche, ursprüngliche Kraft von Poesie.“

In dem 2008 in der Urs Engeler Edition erschienenen Band „Sonanz“ sind Erbs so genannte 5-Minuten-Notate gesammelt. Über drei Jahre hinweg hat Erb jeden Tag fünf Minuten lang in ihr Notizbuch geschrieben, was ihr gerade einfiel. Diese Selbsterkundungen sind vor allem Spracherkundungen, durchsetzt auch immer wieder von einem verblüffenden Humor.

Ein Preis, und vor allem der Büchner-Preis, ist auch ein Signal. Elke Erb ist eine Schriftstellerin mit einem Lebenswerk, genauer: mit einem erlebten Werk. Ob die in der Satzung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung festgelegte Beschreibung, man wolle mit dem Büchner-Preis Schriftsteller auszeichnen, die „durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben“, noch zeitgemäß ist, darf diskutiert werden.

Die Schriftstellerin Nora Bossong twitterte vor drei Tagen: „Mir ist es völlig wurscht, ob ein*e Autor*in gern Netflix sieht. (...) Ich bin für Elke Erb dieses Jahr. Gelebt in drei Staaten, früh emigriert in die Lyrik.“ Elke Erb schreibt in einem 1998 erschienenen Gedicht: „Freilich können Langsame auch/schnell sein, Schwung nehmen,/tun ja nichts anderes all die Zeit, als/ihre Karrenochsenfasern auf!!/zu wiegeln.“ Es hat einige Jahrzehnte gedauert. Nun hat die Geheimfavoritin gewonnen.

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