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There will be Blood

© Buena Vista

Wettbewerb: Dunkel das Leben, dunkel der Tod

Diese Berlinale beginnt mit Paukenschlägen. Einer davon: "There Will Be Blood", Paul Thomas Andersons Drama um einen Öl-Magnaten.

Welche Wucht! Welche Kälte! Welche – auch selbstzerstörerische – Gewalt! Welch abgrundtiefe Einsamkeit!

Diese Berlinale beginnt mit Paukenschlägen. Mit dröhnendem Rock nebenan bei den Stones, und mit donnernden Bildern aus einer Welt vor 100 Jahren, zu denen erst einmal eine Viertelstunde lang kein Wort gesprochen wird; auf der Tonspur nur ein Böses verheißendes, dissonantes Sirenenheulen, komponiert vom Radiohead-Gitarristen Johnny Greenwood. Ein Silberminenbesitzer allein in seinem Schacht, dünnflackernde Lichtfetzen sickern von der Leinwand in den Kinosaal, Abstürze, Unfälle, Sprengungen, Rückschläge, unbeugsames Weitermachen, emotionales Dauerfortissimo, Pflöcke sausen in die düstere Tiefe, und plötzlich brodelt eine schwarze Pfütze: Öl! Und eine große Geschichte fängt an.

Daniel Plainview heißt der hellsichtige lonely rider, der da 1898 im kalifornischen Südwesten das Beste aus dem aberwitzigen Zufall macht: Vom Silbersucher steigt er auf zum frühen Tycoon eines US-Staats, der bald zwei Drittel des Ölbedarfs der damaligen Welt deckt, bis die Quellen abgepumpt und ausgelaugt sind – und ein Glücksritter bleibt Daniel doch. Einer, der immer auf eigene Rechnung handelt. Und übervorteilt. Und betrügt. Und demütigt. Und mordet. Nur um reicher und reicher zu werden und schließlich, fast 30 Jahre später, in seinem eigenen Luxus-Xanadu, dem Suff und dem Wahn anheimzufallen und dem endlichen Gott- und Weltverlassensein.

Eine Saga aus den Anfängen des Kapitalismus erzählt der 38-jährige Visionär Paul Thomas Anderson in seinem fünften Film; ein kafkanisches Seelendruckkammerspiel und zugleich eine hochtheatrale Shakespeare’sche Versuchsanordnung mit überlebensgroßen Figuren in immer wieder neu arrangierten überlebensgroßen Situationen, imponierend, großartig, ermüdend und gleich wieder großartig. Und einen 158 Minuten langen verspäteten Western steckt er ins Gewand des Archaischen: kein Duell zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Bösen. Zwischen menschlich bankrott und teuflisch bigott. Zwischen zweien, die die Geldgier treibt, der Triebstoff des Kapitalismus – und die in den Klauen dieser Sucht bedenkenlos selbst konservative Werte wie Familie und Glaube zerstören.

Ausgerechnet ein junger Prediger der evangelikalen „Kirche der Dritten Offenbarung“ ist es, der sich dem monströsen Allesfresser Daniel in den Weg stellt, um doch bald bloß sein Teil vom Erfolg des Ölmannes abzuschöpfen. Auf leisen Sohlen – und mit leiser Stimme – tritt Eli Sunday ins Geschehen: Zwillingsbruder jenes Jungen, der Daniel erst in das Wüstenkaff Little Boston lockt, unter dem ein „Ozean von Öl“ verborgen liegt. Für ein Almosen gibt die Familie Sunday ihr Land weg, und Daniel glaubt im Überschwang erster Bohrerfolge, sich die von Eli geforderte Demut vor Gott sparen zu können. Wozu auch, wenn schwarzes Gold und schmutziges Geld die neuen Götzen sind? Also wird Eli, ein Machtmensch von der lauernden Art, Daniel bei nächster Gelegenheit demütigen. Also wird Daniel seinerseits auf Rache sinnen und den Augenblick grausam zelebrieren: in einem alttestamentarischen Auge um Auge und Schädel um Schädel.

Geld gegen Gott, Raffgier gegen Heuchelei, Ego gegen Ego: Aus diesem Duell, dem der zu Recht vielgelobte Daniel Day-Lewis als der Geschäfts- und der gar nicht genug zu lobende Paul Dano als der durchtriebene Glaubensmann hochmarkantes Profil verleihen, nährt der Film seine unerschöpflich glühende Kälte; zwei weitere packende Kämpfe aber sind es, die Daniel Plainviews Restmenschlichkeit zerbrechen. Da ist der vermeintliche Halbbruder Henry (Kevin O’Connor), der Daniel zum einzigen und umso eruptiver dahergeschleuderten Bekenntnis seines Weltenhasses verführt; und da ist das sich schmerzhaft wandelnde Verhältnis zum angenommenen Sohn (Dillon Freasier): Der still-kindliche Zeuge bei Geschäftsabschlüssen, der das Vertrauen in den „Familienmenschen“ Daniel fördern soll, wird eiskalt abgeschoben, nachdem er bei der Explosion einer Ölquelle das Gehör verliert. Als junger Erwachsener wagt er, sich vom Ziehvater zu lösen – und lädt den wohl grausamsten Fluch auf sich, den ein Mensch vom anderen erfahren kann.

Upton Sinclair, dessen Roman „Öl!“ (1927) Paul Thomas Anderson als Motivsteinbruch fürs eigene Drehbuch diente, verknüpft die Charaktere systemisch: Er verbündet den verlorenen Sohn mit dem jungen Priester und gibt so dem monomanischen Geldmann, der ohne jedwede Liebe auszukommen meint, den Rest. Anderson dagegen genügt die Serie unbarmherziger Separatduelle, bei denen es erst um ökonomischen Gewinn, dann um unmoralische Siege und schließlich um Leben und Tod geht. So wird der faszinierte – und immer wieder abgestoßene – Zuschauer zum Zeugen einer tragisch sich selbst in den Boden rammenden Biografie, der zum Trost nur mehr das Bad im Geld bleibt: tote Libido des Kapitals.

Die eigentliche Moral der oberflächlich historischen Story aber liegt weniger in den Quittungen, die die tobenden Männer sich unermüdlich ausstellen, sondern in der Prophetie ihrer Bilderwelt. Immer wieder zeigt die Kamera (Robert Elswit) die skrupellos zernutzte, von Öltürmen und Pipelines verunstaltete Erde. Zeigt die schwarzen Geysire, die in den Nachthimmel hochschießen und sich in Feuersäulen verwandeln. Zeigt das Öl, das Höllenmagma, das die industrialisierte Menschheit mobil und modern und reich gemacht hat und doch schleichend vernichtet, das Öl, dessen Verbrennungsreste die Atmosphäre zerstören, das Öl, das bis heute immer wieder Kriege entfesselt. Und zwischen den brodelnden Rohstoffschlämmen und dem vergifteten Himmel taumelt die Menschheit voran, tumb wie immer. Da tönt der Titel „There Will Be Blood“ auf einmal fast biblisch: Was, wenn die Apokalypse längst im Gange ist?

Heute 19 Uhr (Berlinale Palast), 9.2., 12 Uhr (Urania) u. 22.30 Uhr (International)

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