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Kultur: "Wer viel geweint hat, kann auch viel lachen" Berlin im Stummfilmfieber

1925 wurde in Berlin der Stummfilm "Die freudlose Gasse" uraufgeführt.In einer Szene ist Renate Brausewetter als Komparsin zu erblicken.

1925 wurde in Berlin der Stummfilm "Die freudlose Gasse" uraufgeführt.In einer Szene ist Renate Brausewetter als Komparsin zu erblicken.Die Bühnen- und Filmschauspielerin, die 1905 auf Malaga geboren wurde, wo ihr Vater als Arzt praktizierte, machte im Berlin der zwanziger Jahre auf sich aufmerksam.Heute lebt sie 93jährig in Linz bei Koblenz.Mit zehn Jahren kam sie zusammen mit ihrem Bruder Hans Brausewetter, der in den dreißiger Jahren zum beliebten UFA-Star aufstieg, nach Berlin.Zunächst fing sie eine Ausbildung zur Gärtnerin an.Während dieser Zeit nahm sie Schauspielunterricht bei Ilka Grüning und Lucie Höflich.Großen Eindruck machten auf sie die Generalproben der Inszenierungen von Max Reinhardt im Deutschen Theater, die sie als Schauspielschülerin regelmäßig besuchte.

1925 gab ihr der Regisseur Gerhard Lamprecht in dem Streifen "Hanseaten""ihre erste Rolle.Ihr Partner war Andreas Bull, mit dem sie während einer Drehpause am Jungfernstieg in einem Café einen Imbiß nehmen wollte."Aber wir wurden nicht bedient", erzählt sie schmunzelnd, "denn man hielt uns wegen der starken Filmschminke für Angehörige der Reeperbahn."" Als sie nach Berlin zurückkehrte, lief die Plakatwerbung für "Hanseaten" auf vollen Touren.

In kürzester Zeit gehörte sie in den brodelnden zwanziger Jahren als "junge Naive mit Charakter""zur Garde aufstrebender Schauspielerinnen.Sie war zusammen mit Elisabeth Bergner in "Die treue Nymphe" zu sehen, sie spielte mit Ralph Arthur Roberts und Reinhold Schünzel.Befragt nach ihrer schönsten Rolle verweist sie auf die Hedwig in Ibsens "Wildente", die sie zusammen mit einem erlesenen Ensemble - Lucie Höflich, Ilka Grüning, Albert Steinrück und Lothar Müthel - spielte.Ihre wichtigste Filmrolle war nach eigenem Bekunden das Dienstmädchen in "Geheimnisse einer Seele", den Georg Wilhelm Pabst basierend auf den Studien von Sigmund Freud drehte.Im Gespräch mit Renate Brausewetter ist auch einiges über die Dreharbeiten zu Stummfilmen zu erfahren: "Wir konnten in den Szenen ja reden was wir wollten, denn es gab keinen Ton.Doch während ich meine Sätze auf die jeweilige Situation abstellte, sprach mein Kollege Aribert Wäscher selbst in ernsten Momenten oft vom Wetter, worüber wir lachen mußten.Einmal beschwerten sich sogar Taubstumme über unsere merkwürdigen Dialoge.Manchmal spielte ein Grammophon romantische Musik, damit wir in Stimmung kamen." Die Kostüme mußten die Schauspielerinnen beim Film selbst mitbringen.Da die Gagen nicht sehr hoch waren, wurde auch schon mal ein Kleid mit Käthe Haack getauscht, an deren Seite Renate Brausewetter in dem Film "Menschen untereinander" zu sehen war.Das Publikum war von ihrem ausdrucksstarken Gesicht und ihrer frischen Erscheinung fasziniert.Bei der Kritik gewann sie wachsende Anerkennung.

1928 heiratete Renate Brausewetter den Chemiker Hubert Wagner.Das bedeutete nach damaligem bürgerlichem Verständnis das Ende ihrer Karriere.Sie bekam zwei Kinder.Nach 1933 versuchte sie ein Comeback, aber die Nationalsozialisten erkannten den Unterricht bei einer jüdischen Lehrerin nicht an und verlangten von der professionellen Schauspielerin eine erneute Ausbildung.Schweren Herzens verzichtete sie darauf.1941 wurde noch ein Sohn geboren.Dann folgte ihr schwerster Lebensabschnitt.1944 starb ihre Mutter, sie ließ sich scheiden, ihre drei Kinder wurden aufs Land evakuiert: 1945 mußte sie den Tod ihres Bruders durch einen Artilleriebeschuß erleben.

Nach dem Krieg stand sie vor den Trümmern ihrer beruflichen und privaten Existenz.Doch wie Millionen anderer Deutsche krempelte sie die Ärmel hoch und eröffnete in ihrer großen Berliner Wohnung eine Künstlerpension.Die Gäste schickte ihr Boleslaw Barlog.Um ihre Rente zu sichern, arbeitete sie in den sechziger Jahren bei einem medizinischen Verlag, an dem sie schließlich sogar eine Fachzeitschrift für Ärzte herausgab.Nach einer Erkrankung siedelte sie 1972 nach Linz über, wo sie umhegt von ihren Kindern und acht Enkeln lebt."Wer viel geweint hat, kann auch viel lachen", lautet ihr Motto, und noch heute liest sie Kindern Märchen vor, betreut Schulaufführungen, geht leidenschaftlich gern ins Theater und steht mitten im Leben.Jetzt ist sie 93 Jahre alt und mit faszinierender Energie erzählt sie von ihren vielen Lebensabschnitten: "Ich habe mich nie gelangweilt.Ich habe mich immer mit Menschen umgeben, hingehört und hingeguckt.Das ist mein Lebensrezept."

JÜRGEN GAUERT

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