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Der Schriftsteller Martin Walser, der am 24. März 90 Jahre alt wird.

© dpa

Martin Walser veröffentlicht neuen Roman: Wenn die Fesseln fallen

Erst kommt mit "Statt etwas oder Der letzte Rank" ein neuer Roman, dann feiert er seinen 90. Geburtstag: 2017 gibt es wieder Martin-Walser-Festspiele.

Die Post aus der Verlagswelt kam, wie so häufig in den Wochen vor Weihnachten, mit dem Vermerk „noch nicht angekündigt“ oder „kurzfristig ins Programm genommen“. In diesem Fall vom Rowohlt Verlag, der verkündete, dass er Anfang 2017 einen neuen Roman von Martin Walser veröffentlichen werde, „Statt etwas oder Der letzte Rank“, so der seltsame, seltsam kryptische Titel, „der Höhepunkt“ in Walsers Alterswerk, wie es heißt, „ein neuer Roman als Summe und Bilanz“.

Etwas verwundert fragte man sich: Hatte Martin Walser mit „Ein sterbender Mann“ nicht vor Jahresfrist erst einen Roman veröffentlicht? Und steht in diesem, unabhängig vom Titel, nicht auch Bilanzierendes? Unvermittelte und aus dem Romangeschehen fallende Sätze wie in Walsers Tagebüchern oder seinen drei „Meßmer“–Notizbüchern, Gedanken und Sentenzen über Alter und Tod? Zum Beispiel: „Geistige Vorbereitung nützt nichts. Also weiterleben, so tun, als sei man unsterblich“. Oder: „Nichts zu sagen lernen ist schön“.

Walser hat sich beim Wort genommen. Das Weiterleben, das ihn, wie es scheint, selbst so erstaunt, ist für ihn sowieso gleichbedeutend mit dem Weiterschreiben, es hat ja seinen Grund, dass die Tagebücher „Leben und Schreiben“ heißen. Schreiben heißt bei Walser inzwischen jedoch nicht mehr, Romane wirklich zu konstruieren, sich um sinnfällige Romanhandlungen zu scheren, gar literaturkritischen Anforderungen zu genügen (wenngleich er genau verfolgt, wie die Literaturkritik mit ihm umgeht), sondern zu schreiben, wonach ihm ist, was er für Gedanken hat, womit er sich beschäftigt. Man denke an seine Rechtfertigungsversuchung oder das Buch über den jiddischen Dichter Sholem Yankev Abramovitsh.

Der Verlag feiert das Buch "am Rand der Formlosigkeit"

Insofern weiß man allein bei den Worten, die der Verlag Walsers Roman mit auf den Werbeweg gegeben hat, dass bei „Statt etwas oder Der letzte Rank“ nicht von einem herkömmlichen Roman die Rede sein kann: „So nah am Rand der Formlosigkeit, ja so entfesselt hat Martin Walser noch nie geschrieben.“ Trotzdem steht „Roman“ drauf. Am Ende soll es eben kein weiterer Meßmer-Band sein, sondern irgendetwas statt etwas, gewissermaßen. Statt eines Romans womöglich: ein letzter Rank. Der ist ein Begriff aus dem Schweizerischen, der eingangs mit einem Auszug aus dem Grimmschen Wörterbuch erklärt wird: „Rank, männlich, Wendung, Drehung“. Der letzte Rank, eine letzte Wendung, Lebenswendung? „Ums Ganze“ gehe es in Walsers neuem Roman, so der Verlag, darum, „wie aus Erfahrungen Gedanken werden“, und natürlich sind in dieses Buch die Erfahrungen von Martin Walser aus den vergangenen Jahren eingeflossen.

Zum Beispiel die Bekanntschaft mit der in München lebenden Sinologin Thekla Chabbi, die die Ko-Autorin von „Ein sterbender Mann“ gewesen ist und mit der Walser, nach einer Weile eines zur Diskretion zwingenden Egoismus’, auch auf Lesereise war. Sie ist vermutlich eine Art neue Lebensabschnittsgefährtin. Sehr schön jedenfalls hebt „Statt etwas oder Der letzte Rank“ an. Der erste Satz lautet: „Mir geht es ein bisschen zu gut. Seit dieser Satz mich heimsuchte, interessierte ich mich nicht mehr für Theorien“.

Jeder Spruch hat seine Bedeutung

Dieses Gutgehen, so viel soll an dieser Stelle verraten werden, zieht sich leitmotivisch durch Martin Walsers formloses, entfesseltes Buch. Das sich jedoch letztendlich nicht als einzige Offenbarung in eigener Sache darstellt. Denn Walser ist ein Meister darin, sich verbergend zu entblößen. Oder: sich entblößend zu verbergen, je nach Gusto.

Wie auch immer: Das kommende Jahr wird es Walser-Festspiele geben. Ende März feiert er seinen neunzigsten Geburtstag, und die eine oder andere weitere Veröffentlichung dürfte es zu diesem Jubiläum noch geben. „Statt etwas oder Der letzte Rank“ liest man dagegen am besten, so wie Martin Walser die Bibel Ende der fünfziger Jahre gelesen hat. Heißt es doch in seinen Tagebüchern aus dieser Zeit: „Wenn eine Bibel auf dem Nachttisch lag, öffnete er sie immer wahllos und dachte, der Spruch, den er jetzt fände, müsse Bedeutung haben für ihn.“

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