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Alles dreht sich um sie: Megan Harry (Mitte) als Müllerin Rachelina.

© Uwe Hauth

Wenn der Wahnsinn siegt: Paisiellos Oper „La Molinara“ in Rheinsberg

Sie war zur Entstehungszeit rasend populär, doch heute kennt niemand mehr „La Molinara“ von Giovanni Paisiello. Jetzt hat die Kammeroper Schloss Rheinsberg das Stück präsentiert.

Die Geschichte ist alt und doch immer wieder neu: Ein fremder, attraktiver Mensch kommt in eine bestehende Gemeinschaft, etwa eine Familie, und verdreht allen Mitgliedern nacheinander gehörig den Kopf – so lange, bis nichts und niemand mehr so ist wie vorher. Pasolini hat den Stoff in seinem Film „Teorema – Geometrie der Liebe“ durchgespielt; gerade hatte die Bühnenfassung von Giorgio Battistelli Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin. Ein anderer Italiener, Giovanni Paisiello, hat schon viel früher eine Oper daraus gemacht, sie heißt „La Molinara“ („Die Müllerin“), soll zu ihrer Entstehungszeit rasend populär gewesen sein und einen deutschen Dichter, der auch noch Wilhelm Müller hieß, zu seinen dann von Schubert vertonten Versen inspiriert haben. Und doch ist sie heute komplett vergessen. Die Kammeroper Schloss Rheinsberg hat jetzt den Schritt gewagt, das Stück wieder aufzuführen, als zentrale Produktion der diesjährigen Spielzeit. 

Verschlungene Wege der Musikgeschichte

Verschlungene Wege der Musikgeschichte: Paisiello (1740-1816) war Zeitgenosse Mozarts, den er auch in Wien getroffen hat, seine bekannteste Oper ist „Der Barbier von Sevilla“, eine Vertonung des ersten Teils von Beaumarchais berühmter Komödie; Mozart hat dann mit der „Hochzeit des Figaro“ die Fortsetzung besorgt. Und Rossini, man glaubt es kaum, hat aus Respekt vor Paisiello bis zu dessen Todesjahr gewartet, um seine eigene, heute fast ausschließlich gespielte Version des „Barbiers“ zu präsentieren.  

„La Molinara“, uraufgeführt 1788 in Neapel und danach häufig umgestellt und umarrangiert, beruht auf einem Libretto des Vielschreibers Giuseppe Palomba. Die schöne junge Müllerin Rachelina, bei der Premiere am Freitagabend gesungen von der tatsächlich sehr attraktiven Amerikanerin Megan Henry, scharwenzelt quasi arglos in eine Gruppe hinein und scheint keine Ahnung zu haben, was sie anrichtet.

Das Geschehen ist gleichzeitig banal und komplex, versuchen wir eine Zusammenfassung: Baron Don Calloandro (Maximilian Vogler), Gouverneur Rospolone (Johann Kalvelage) und Notar Pistolfo (Friedemann Gottschlich) verfallen Rachelina der Reihe nach, während die Baronin Eugenia (mit herrlich ausdrucksvollem Mienenspiel: Marta Fridriksdottir), Cousine von Calloandro, allen Grund hat, sauer zu sein. Denn sie würde gerne ihren Cousin heiraten, der aber, wie gesagt, nur noch Augen für die Müllerin hat; während die Baronin selbst Mühe hat, sich vor einem anderen Verehrer, Don Luigiono (Francis Ng) in Sicherheit zu bringen. Und Zofe Amaranta (Valerie Pfannkuch) fegt auch noch über die Bühne. 

Gewöhnliche Menschen als Protagonisten

Buffa-Opern wie diese, in denen gewöhnliche Menschen wie ein Barbier oder eine Müllerin – und eben keine Götter oder antike Helden – zu Protagonisten werden, nehmen natürlich die gewaltigen gesellschaftlichen Umbrüche vorweg, die sich dann in der Französischen Revolution und später entladen und die Entmachtung des Feudalismus einläuten. Alle Figuren in „La Molinara“ entstammen der Tradition der Commedia dell’arte, besonders prägnant gesungen und verkörpert von Maximilian Vogler, der die Gockelhaftigkeit seines Barons immer wieder mit feiner Ironie und lächerlich langen Rüschen an den Manschetten (Kostüme: Barbara Krott) aufspießt – und dessen Wahnsinn die ganze zweite Hälfte des Stücks dominiert. Aber dazu kommen wir noch.  

Auch Johann Kalvelage beweist Rampensau-Qualitäten. Der Gouverneur, den er singt, ist schon etwas tattrig („Altes Holz brennt schneller als junges“), was er mit prägnant vorgeschobener Unterlippe im Habsburger-Stil zum Ausdruck bringt. Zudem hat ihm der Librettist Sätze in die Kehle geschrieben, die mit heutigen Maßstäben ein echter Hammer sind: „Ein Mann gewinnt im Alter an Weisheit, die Frau zerknittert und verliert den Verstand.“ 

Der Schlosshof in Rheinsberg

© Uwe Hauth

Georg Quander, Künstlerischer Direktor in Rheinsberg und Regisseur des Abends, hat sich entschieden, in einer Guckkastenbühne links im Schlosshof zu spielen, sodass der Blick auf den See im Sonnenuntergang frei bleibt. Da die absolut notwendigen Untertitel seitlich platziert sind, muss der Blick leider ständig hin und her wandern. Die beherzt Paisiellos schöne Duette, Terzette, Sextette intonierende Akademie für Alte Musik mit Leiter Bernhard Forck sitzt noch weiter links, sie ist nicht immer gut zu hören – Kompromisse, die man wohl eingehen muss, wenn man in diesem herrlichen Ambiente im Freien spielt. Immerhin, die Premiere wird nicht wie im vergangenen Jahr nach der Pause abgebrochen, als sich die Luft zu sehr abgekühlt hatte für die empfindlichen Instrumente. 

So lauscht man dieser gefälligen, streckenweise aufregenden Musik und gerät ins Grübeln. Einerseits ist es wagemutig und verdienstvoll von Quander, solche Stücke wieder zu präsentieren. Andererseits hört man natürlich ganz deutlich, dass es eben kein Mozart, kein Rossini ist, dass deren Stücke doch in einer anderen Liga spielen, sowohl was den musikalischen Gehalt als auch die inhaltliche Substanz angeht. Ein Zwiespalt, den man aushalten muss und vielleicht auch produktiv lösen kann.

Und im letzten Drittel wird sowieso alles anders. Da löst sich „La Molinara“ von allem, was man bisher aus dem 18. Jahrhundert kannte und erwartet hat, das Stück gewinnt eine völlig eigenständige, absurde, fast dadaistische Qualität. Allein mit welcher Radikalität das Lieto fine, das Happy End, verweigert wird und die Oper das Publikum quasi in die offene Nacht hinausschmeißt, ist fassungslos modern. Wer das erleben möchte: Bis 5. August gibt es noch acht Aufführungen in Rheinsberg. 

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