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Bekannt wurde Knausgård durch seine autofiktionale Reihe „Min Kamp“.

© AFP/Federico Gambarini

Knausgård schreibt über Munch: Wenn das Ich malt

Karl Ove Knausgård hat eine Ausstellung mit unbekannten Werken von Edvard Munch kuratiert. In seinem neuen Buch sinniert er über den norwegischen Großkünstler.

Als Karl Ove Knausgård 2015 vom Munch-Museum in Oslo die Anfrage bekam, eine Ausstellung zu kuratieren, sagte er sofort zu – obwohl, so erzählt es Knausgård in seinem Buch „So viel Sehnsucht auf kleiner Fläche“, er sich nur dadurch qualifiziert hatte, „dass ich mir gern Gemälde ansah und häufig in Kunstbildbänden blätterte“. Ob das Munch-Museum zumindest davon wusste?

Es ist kokett, wenn der norwegische Schriftsteller von seiner „Hybris“ schreibt und dass er das Ausmaß des Ganzen nicht begriffen habe, hatte er doch eigentlich erst zwei Jahre zuvor eine Rede zu Munchs 150. Geburtstag gehalten.

Und war ihm überhaupt, so wie jede Norweger, jeder Norwegerin, der weltberühmte Maler schon in der Schule nahegebracht worden. „Besser als alles andere“ seien Munchs Bilder gewesen, so Knausgård, als er als Gymnasiast erstmals in Oslos Nationalgalerie war: „Hatten die vorherigen Bilder sich geöffnet und meines Blickes angenommen, war es bei Munchs Bildern umgekehrt, es war, als kämen sie mir entgegen, als wären sie aktiv und der Blick passiv. Eine solche Intensität, dass ein Bild einen Raum in Besitz nehmen und ihn prägen kann, hatte ich nie zuvor erlebt. Sie vibrierten ja!“

Ein paar Jahre später hatte er dann in Bergen die „Thüringer Schneelandschaft“ gesehen und war den Tränen nahe gewesen. So scheint der zur Innerlichkeit neigende, diese in seinen Büchern aber gern zur Schau tragende Schriftsteller geradezu prädestiniert gewesen zu sein für einen Maler, in dessen Bildern das Leben und das Leiden, ja, das Autobiografische stets gegenwärtig sind.

Für die Ausstellung, die anlässlich des Gastlandauftritts Norwegens bei der Frankfurter Buchmesse auch in Düsseldorf in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu sehen ist, hat Knausgård größtenteils Bilder ausgewählt, „die einen nicht an Munch denken ließen“, weil eben Munch so berühmt ist, seine Werke ikonischen Charakter haben.

Es sind alles Bilder, die aus dem riesigen, über tausend Gemälde und zwanzigtausend Drucke beherbergenden Depot des Munch-Museums stammen: Munch war nicht nur ein überaus produktiver Maler, er bewahrte auch alles auf, was er produzierte. Vieles davon ist überhaupt noch nie ausgestellt worden.

Hilfe von Künstlern wie Anselm Kiefer

Karl Ove Knausgård versucht, Munch so unbefangen wie möglich gegenüberzutreten, ihn abseits seiner Klassiker wie „Der Schrei“, „Melancholie“ oder „Vampir“ zu sehen. Als wär es das erste Mal, gerade mit größtenteils unbekannten Bildern; und er hat sich auch die Hilfe anderer Künstler geholt und mit denen über Munch gesprochen: mit Anselm Kiefer, den norwegischen Malerinnen Vanessa Baird und Anna Bjerger, dem Filmemacher Joachim Trier, dem Kunsthistoriker und -theoretiker Stian Grogaard und dem britischen Fotografen Stephen Gill.

Erstaunlicherweise hält sich der mit dem schonungslos autofiktionalen Großwerk „Min Kamp“ bekannt gewordene norwegische Schriftsteller in seinem Munch-Buch sehr zurück mit Beschreibungen aus seinem eigenen Leben. Er beginnt mit einem schlichten Bild, das 1915 entstand, „Kohlacker“. Munch hatte zu dem Zeitpunkt einen psychischen Zusammenbruch hinter sich und gerade seinen Landsitz in Ekeley am Rand von Oslo erworben, wo er bis zu seinem Tod 1944 leben sollte.

Künstlerisch bewegte er sich von seinem Inneren wieder mehr nach außen und malte, „was er in der sichtbaren Welt sah“, so Knausgård. „Magisch“ komme ihm das Kohlfeld vor, so der Schriftsteller weiter, „als würde etwas in mir zerbrechen“. Dann beschreibt er Farben und Formen des Bildes und interpretiert darin die Sehnsucht des Malers, „zu verschwinden in der Welt“.

Recherche in Munchs Geburtshaus

Diesen Zweischritt von Bildbeschreibung und Bildwirkung setzt Knausgård fort. Er schaut sich „Garten mit rotem Haus“, „Das kranke Kind“, „Inger Munch in Schwarz“ und „Frühling im Ulmenwald“ an und betrachtet sie allesamt auch unter biografischen Prämissen, unter Berücksichtigung der künstlerischen Entwicklung Munchs und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Fragestellung, was Kunst eigentlich ist. Wie moralisch muss sie sein, worin besteht ihr Zweck, ihr Ziel? Für Knausgård ist es klar, dass Kunst zu sich selbst findet, wenn sie jenseits von Zeit und Ort „zum Wahren“ vorstößt, wie immer sich dieses Wahre schließlich darstellt, wie schemenhaft – ob in der Malerei oder der Literatur,

Es ist der Vorzug dieses Buches, das es so schön mäandert, dass der Schriftsteller sich Munch von vielen Seiten nähert. „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche“ ist weder eine Biografie noch eine allein kunsthistorische Betrachtung, sondern die persönliche Erzählung Karl Ove Knausgårds darüber, wie er sich Munch nähert, er seiner kuratorischen Tätigkeit Substanz gibt. Er besucht das Geburtshaus von Munch, schaut sich in Ekeley um, schildert, wie er im Depot steht und wie das ist, hier Hunderte Bilder zu sehen, ganz ohne die Aura, die ihnen ein Ausstellungsraum verleiht, „als wären sie nackt oder ungeschützt“.

Knausgård berücksichtigt Munchs familiäre Traumata, die Verluste und Todesfälle, die den Maler, der 1856 geboren wurde, früh zu einem verschlossenen, anderen Personen gegenüber vorsichtigen Menschen werden ließen (der später trotzdem vielfältig Verbindungen in die Welt hatte). Die serielle Malerei Munchs kommt zur Sprache, seine Neigung, Bilder wieder und wieder zu malen, Motive selbst nach Jahrzehnten noch einmal aufzunehmen.

Vergleiche mit Knut Hamsun

Und es geht in dem Buch auch immer wieder durch die einzelnen Phasen des Werks mit ihren verschiedenen Bildsprachen: die Anfänge, Lehrjahre, die ersten Brüche; dann die Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts, in der Munch seinen Gefühlen vermehrt eine malerische Form gab, in denen „seine Bildwelt explodierte und die Bilder, die wir in erster Linie mit ihm in Verbindung bringen, in einer ungeheuren Eruption aus Kraft und Radikalität gemalt wurden“.

Da kommt dann auch der Vergleich mit Knut Hamsun, der nur vier Jahre älter war und mit „Hunger“ die Literaturwelt radikal veränderte – so wie Munch Realismus und Naturalismus überwunden hatte, unter anderem mit dem ewig gültigen, für Knausgård „aus einer völlig anderen Welt“ stammenden Bild „Der Schrei“. Und schließlich das Spätwerk, ein Bild wie das wirklich wunderbare „Maler an der Hausfassade“, das nie ausgestellt worden ist, ein Bild „voller Lebensfreude und Humor“, und auch mit „einer untergründigen Strömung von Melancholie“.

[Karl Ove Knausgård: So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche. Edvard Munch und seine Bilder. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand Verlag, München 2019. 286 Seiten, 22 Euro. – Die Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 in Düsseldorf ist bis zum 1. März 2020 zu sehen.]

Obwohl er dabei dezent bleibt, zögert Knausgård bisweilen nicht, die eigene Poetik mit in sein Malerporträt zu bringen. Insbesondere wenn es um die Erinnerung geht, um die Macht, die die Erinnerung ausübt, und wie man diese künstlerisch umzusetzen versucht.

Wenn er schreibt, dass Munch seine Erinnerungen gemalt und damit versucht habe, „die Gefühle von Neuem zu erschaffen, die sie einst in ihm ausgelöst hatten“, dann hat man den Eindruck, Knausgård schreibt über sich als Schriftsteller und seine literarische Motivation: „Munchs Ziel war es, die Erzählung vom Ich zu malen“. Oder: „Das Ich ist ein work in progress, es versteht sich selbst durch die Erinnerung, lebt sein Leben jedoch zwischen ihnen, stückweise und aufgeteilt, in Gegenwart und Vergangenheit, in Gefühlen und Gedanken.“

Den Bildern mit Worten beikommen

Das ist eine gute Beschreibung für das Ich, das in sechs „Min Kamp“-Bänden das Sterben des Vaters schildert, das liebt, spielt, lebt, träumt und kämpft. Und wie in „Min Kamp“ ist es hier manchmal so, dass einfache Naturbeschreibungen etwas Munchhaftes bekommen. Zum Beispiel wenn Knausgård seine Kinder von der Schule abholt und bemerkt, dass auf den Feldern „die Dämmerung wie ein Meer lag“.

Ja, und am Ende scheinen der Schriftsteller und der Maler endgültig eins geworden zu sein. Knausgård ersteigert für viel Geld einen Druck von Munch, ein Frauenporträt aus dem Jahr 1904. Trotz seines schlechten Gewissens überkommt den Schriftsteller auf einmal eine große Ruhe – und die Erkenntnis, dass alle Worte nichts sind, sie ihre Gültigkeit verlieren in dem Moment, „in dem der Blick der Leinwand begegnet“. Karl Ove Knausgård hat trotzdem versucht, Edvard Munch mit seinen Worten beizukommen, und es ist ihm mit „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche“ gelungen.

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