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Handtasche und Historie. Was auf diesem Foto von 1925 zusammengehört, bringt ein Modelabel nun mit aller Gewalt zusammen.

© imago

 Weltgeschichte als Accessoire: Der Taschentrick einer Modefirma

Ein Luxushersteller von Lederwaren vermarktet historische Briefe von Prominenten als Schnipsel. Was das über unsere Zeit aussagt.

Von Caroline Fetscher

Anspruchsvolle Frauen sollen sich „für besonders hochwertige Handtaschen begeistern, die ein echtes Stück Weltgeschichte in sich verbergen“. So bewirbt die die Firma Mystery Bag International GmbH ihre neuen, schwarzen Lederprodukte. Unter die Verschlusslasche jeder Tasche ist das winzige Fragment eines originalen Autografs eingelassen, versiegelt mit einem Acrylplättchen.

Damit trägt die Dame von Welt ein Spurenelement berühmter Persönlichkeiten mit sich herum, ein paar Buchstaben aus der Feder von Brigitte Bardot oder Marlene Dietrich, das Bruchstück eines Satzes von Charles Dickens oder Queen Victoria. Kosten können die Luxusartikel mit dem krass echten Teil Geschichte rund 7000 Euro.

Die Idee für den Taschentrick hatte ein Marketingmann namens Huber, umgesetzt wird das Konzept in einem Startup-Hub im ostwestfälischen Herford. Dort wird produziert, was dieses „Alleinstellungsmerkmal“ enthält, und so wird dieser ohnehin triste Begriff hier vollends entlarvt. Also: Die Hersteller der Marke „Sekrè“, eine Verballhornung des englischen wie französischen „secret“ kaufen historische Handschriften auf Auktionen oder von Sammlern, sie geben dafür viel aus, 140 000 Euro etwa für einen Brief von Casanova von 1791.

Sie lassen sich die Echtheit der Blätter zertifizieren – um sie dann, wie sie sagen, „im Beisein eines Notars in einzelne Stücke zu zerschneiden“. Diese Schnipsel kommen in die Akrylkapseln und werden wie Markenlogos aufs Leder genäht. Jede Handtasche, wird sich der Marketingmann gedacht haben, hat ihre Handschrift! Genial, oder? Kann er zu seinen Compagnons gesagt haben.

Grace Kelly, Charles Lindbergh, Fürst Metternich oder Kaiserin Maria Theresia werden beim Verfassen ihrer Notiz oder ihres Briefes kaum geahnt haben, dass ein Fetzen ihrer Schrift eines Tages neben Lippenstift und Smartphone einer Maklerin oder Industriellengattin durch Shopping-Malls ziehen würde.

 Authentizität wird zum Fetisch

Alte Handschriften sind unter anderem deshalb kostbar und werden rar, weil mit der digitalen Epochenwende das Schreiben von Hand durch das Tippen auf Tastaturen abgelöst wird. Oft lässt sich in Handschriften lesen wie in Gesichtszügen, beim Schreiben gibt jemand Teile von sich zu erkennen. Vor allem aber sind alte Handschriften historische Quellen, sie transportieren Inhalte, die Aufschluss geben über Vergangenheit, ohne die Gegenwart nicht verstehbar wird.

Wenn die Werbung beteuert, durch das „Fragment einer Original-Handschrift einer weltbekannten Persönlichkeit“ stecke in jeder Mystery Bag „ein echtes Stück Weltgeschichte“ ist das wahr, allerdings auf abgründige Weise. Jede so gefertigte Tasche dokumentiert eine echte Attacke auf echte Geschichte und damit einen Impuls unserer Zeit, die sich weder historisch einordnen kann noch wissen will, dass sie einmal Geschichte sein wird. Jenseits der Entrüstung über Dekadenz, Verschwendung, Angeberei und so weiter, lassen sich im Treiben dieser kapitalen Zeitgenossen signifikante Symptome der Gegenwart ablesen.

Eins zu eins demonstrieren die Händler der Briefbruchstücke, wie Texte aus Kontexten gerissen werden. Ihr willentliches Zerstückeln historischer Quellen spiegelt wieder, was etwa im Entertainment der Fall ist, wenn in Quizshows und ähnlichen Wettbewerben sinnentleertes Wissen belohnt wird. Maximal konkret führt der Mystery-Taschentrick vor, wie Authentizität zur Ware, zum Fetisch wird, während heute historische Objekte und Dokumente pauschal in die Kategorien „Retro“ oder „Vintage“ fallen.

Aus dem „Dings vom Dach“ lässt sich „Bares für Rares“ herausschlagen, aus der Vergangenheit funkelt es wie aus einer lukrativen Abrisshalde. Die „Mystery-Bags“ enthalten kein Geheimnis außer dem leicht zu lüftenden, dass sie neben so vielen anderen Phänomenen für den modischen Verrat an Erkenntnisinteresse stehen.    

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