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Gerhard Richter hängt ein Bild an die Wand seines Kölner Ateliers, 1990.

© Henning Lohner

Gerhard Richter-Schau: Wellen, Wolken, Berge

Die Stiftung Brandenburger Tor gibt Online-Einblicke in Gerhard Richters Atelier.

Gerhard Richter steht mit dem Rücken zur Kamera und arbeitet an dem Bild von seiner Tochter Betty, die sich gerade umblickt. Zwei Generationen schauen zurück. Die Szene ist Teil eines Experiments des Filmkomponisten und Medienkünstlers Henning Lohner. Der Deutsch- Amerikaner arbeitete in Hollywood mit Hans Zimmer zusammen, drehte mit John Cage und komponierte die Kennmelodie für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“.

Gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Kameramann Van Carlson erfand Lohner die Serie „Active Images“. Die Idee dahinter: Die Bilder bewegen sich aktiv, die Kamera bleibt still. Auf diese Weise beobachtete Henning Lohner Anfang der neunziger Jahre den Malprozess von Gerhard Richter.

Weil den Künstler das Ergebnis nicht überzeugte, blieben die Aufnahmen bisher unveröffentlicht. In der Stiftung Brandenburger Tor sind sie jetzt erstmals zu sehen und ergänzen die furiose Schau „Atlas-Übersicht 1:2 (2016)“, eine Folge des Zyklus’ „Im Atelier Liebermann“. Die Ausstellung gehört unbedingt auf den Post-Lockdown-Merkzettel. Sie ist bis zum 8. August verlängert worden, hat also Chancen zu öffnen.

Bis dahin gilt es, die Flamme am Leben zu halten. „Art Break“ heißt das Format der Stiftung Brandenburger Tor. Mit kurzen Videos weist die Ausstellungsreferentin Evelyn Wöldicke auf einzelne Aspekte der Schau hin. Keine leichte Aufgabe in diesem Fall. Sowohl die Filme als auch die verkleinerten Tafeln von Gerhard Richters Materialsammlung im Atlas sperren sich gegen das Medium YouTube.

Zumal Gerhard Richter, der letzte Woche seinen 89. Geburtstag feierte, der Kamera am liebsten den Rücken zudreht. Interessant an den Bewegtbildern ist die Geschmeidigkeit des Künstlers, der stille Tanz, die intuitive Konversation mit dem Motiv.

Viel Material

Der Atlas zeigt dann die andere Seite von Richters Arbeit, die systematische Recherche, das akribische Studium von Variationen. Schon während seiner Studienzeit Anfang der Sechziger begann Richter Material für seine Bilder zu sammeln – Landschaftseindrücke, Seestücke, Fotos aus Illustrierten, private Aufnahmen und historischen Dokumente.

In der Stiftung Brandenburger Tor ist die verkleinerte Reproduktion seines Bildarchivs zu sehen, „Atlas-Übersicht 1:2 (2016)“. Die überbordende und doch geordnete Schau bietet einen Rundgang durch den Kosmos von Gerhard Richter, einen Blick auf sein Augentraining, eine Begegnung mit seinen Lieblingsorten.

[„Atlas-Übersicht 1:2 (2016)“, bis 8. August Stiftung Brandenburger Tor; Art Break: www.stiftungbrandenburgertor.de]

Die Bergformationen von Sils-Maria etwa tauchen immer wieder auf in allen Nuancen, die von der Natur gestaltet werden. In den Seestücken greift Richter in das Werkstattmaterial ein. Er beschneidet die Horizontlinie und experimentiert mit unterschiedlichen Wellen- und Wolkenvariationen.

Im Atlas mischen sich auch Politik und Privates. Gerhard Richters neunjähriger Sohn Theodor schneidet 24 verschiedene Grimassen. Er bläst die Backen auf, fletscht die Zähne, verdreht die Augen, streckt die Zunge raus. Sein Vater archiviert liebevoll jede Variante des Kindergesichts.

Die Filmführungen können nur neugierig machen

Zwischen den Momenten des Glücks tauchen auch die Schatten der Grausamkeit auf. Immer wieder hat Gerhard Richter Fotos aus der NS-Zeit gesammelt, da erspart sich der 1932 geborene Künstler kein Detail.

In einer zweiten YouTube-Führung erklärt Evelyn Wöldicke, wie diese Bilder in Gerhard Richters große Arbeit im Deutschen Bundestag einfließen. Zunächst wählte er Fotografien aus Auschwitz, verwarf sie, experimentierte mit den Farben der Flagge und entschied sich schließlich für eine strenge, senkrechte Anordnung von Schwarz, Rot, Gold. In den Farben enthalten ist der gesamte künstlerische Prozess.

Die beiden kurzen Filmführungen können nur neugierig machen, den Ausstellungsbesuch ersetzen sie nicht. Höchste Zeit also, dass die Museen wieder öffnen dürfen.

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