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Weltbürgerin. Brittani Sonnenberg wurde in Hamburg geboren und verbrachte ihre Kindheit in Philadelphia, London, Minneapolis, Schanghai und Singapur.

© Promo/Alex Trebus

Brittani Sonnenberg und ihr Roman "Heimflug": Weil wir alle Suchende sind

Brittani Sonnenberg wuchs als Tochter von Business-Nomaden auf. In Berlin hat sie Ruhe gefunden – und einen Roman geschrieben.

Brittani Sonnenberg wäre gern Chinesin geworden. Es hätte auch fast geklappt. Sie lebte nach dem College wieder in Schanghai, willens, sich vollkommen zu integrieren, Teil der dortigen Kultur zu werden. Eines Abends ging sie mit einem befreundeten chinesischen Paar aus. Die beiden zeigten ihr, wie man nach Art der Einheimischen Reis isst. Nicht nur die Stäbchenhaltung, auch, wie man die Schüssel dicht vor den Mund führt. Am Ende lobten sie, Brittani wirke ja unglaublich chinesisch. „Es war, als hätte ich einen Preis gewonnen“, sagt Sonnenberg, „genau danach hatte ich mich jahrelang gesehnt“.

Später aber, wieder zu Hause, fühlte sie sich seltsam leer. „Wie nach einer Theatervorstellung.“ Die Bühnenlichter lange erloschen, das Geräusch des Applauses noch im Ohr. „Ich war keine Chinesin, ich war immer noch ich selbst.“ Und allein mit der Frage: „Für wen spiele ich eigentlich?“

Brittani Sonnenberg ist das, was die Soziologen ein „Third Culture Kid“ nennen. Gemeint sind damit die Kinder der expats, jener Business-Nomaden, die im Auftrag ihrer Firmen auf Zeit in fremde Länder ziehen. Deren Kinder wachsen mit der Herkunftskultur ihrer Eltern sowie den Einflüssen der wechselnden Wahlheimaten auf – und fühlen sich mit ihrer zusammengepuzzelten Identität oft nirgendwo wirklich zugehörig. Sie gelten als bindungsgestört, aber auch als extrem anpassungsfähig.

Sonnenberg hat jetzt ihren ersten Roman veröffentlicht, „Heimflug“. Im Original heißt das Buch etwas mehrdeutiger „Home Leave“. Das meint den Heimaturlaub, der expats meist einmal pro Jahr gewährt wird, damit sie den Kontakt zu Vaterland und Muttersprache nicht verlieren. Ihr Debüt erzählt von Elise und Charles Kriegstein, die mit ihren Töchtern Leah und Sophie von Kontinent zu Kontinent ziehen. Sie sind Entwurzelte, deren einzige Konstante der Familienzusammenhalt ist. Aber auch der zerbricht, als Sophie in Singapur an einem unentdeckten Herzfehler stirbt.

Brittani Sonnenberg fand ihre Freiheit in der Fiktion

„Heimflug“ basiert auf Sonnenbergs eigenen Erfahrungen. Zuvor hat sie vor allem Kurzgeschichten geschrieben, „deren Figuren nicht viel mit mir zu tun hatten“. Eine handelte von einem malaiischen Barbesitzer und Crossdresser, der sich in einen Jungen verliebt. Eine andere von einer Chinesin, die während der Kulturrevolution der Roten Garde angehörte und heute ihre Taten bereut. „Heimflug“ sollte ursprünglich eine pure Autobiografie werden. „Aber das Ergebnis war frustrierend“, erzählt die Autorin. „Einfach nicht interessant und nicht gut geschrieben.“ Sie entschied sich schließlich, mit dem Material etwas dichterischer umzugehen und fand, wie sie sagt, „die Freiheit in der Fiktion“. Die persönliche Seele der Geschichte, die passend zum Thema des Unbehausten und Sprunghaften aus ständig wechselnder Perspektive erzählt ist, bleibt dennoch auf jeder Seite spürbar.

Brittani Sonnenberg wurde 1981 in Hamburg als Tochter amerikanischer Eltern geboren. Ihr Vater war CEO (Chief Executive Officer), also Geschäftsführer eines großen Unternehmens, die Familie blieb nie lange an einem Ort. Philadelphia, London, Minneapolis, Schanghai und Singapur waren Stationen ihrer Kindheit. In Singapur starb ihre Schwester Blair.

Sie mag Berlin "wegen der großen Gemeinschaft der Suchenden"

Heute lebt Sonnenberg als Schriftstellerin und Journalistin die meiste Zeit des Jahres in Berlin, wo sie unter anderem für den amerikanischen Sender „National Public Radio“ arbeitet. In der Reihe „Berlin Stories“ sind da präzis-amüsante Stadtbeobachtungen von ihr zu hören. Über Krawall-Teenies am Schlachtensee. Über den obskuren Charme der Berliner Graffiti. Über die Eigenart, eine Neuköllner Gymnastikbude „American Fitness“ zu nennen. Sie mag die Stadt, sagt Brittani Sonnenberg, „wegen ihrer großen Gemeinschaft der Suchenden“.

Das Gespräch mit ihr findet per Skype statt. Sie besucht gerade Freunde in Mississippi. Das Kosmopolitische, vielleicht auch Rastlose ist ihr geblieben. Zwei Monate des Jahres verbringt Sonnenberg in Hongkong, wo sie an der Universität als Gastdozentin Kreatives Schreiben lehrt. Die Sprache könnte ein Zuhause sein für ein „Third Culture Kid“, aber auch das ist in ihrem Fall schwierig. „Wenn ich in den USA bin, verändert sich sofort mein Akzent“, erzählt sie. Und fügt auf Deutsch hinzu: „Ich habe keine Ur-Muttersprache“. Keinen Zungenschlag, der sie irgendwo auf der Welt wie eine Einheimische klingen lasse. „Manchmal verursacht mir das existenzielle Panikattacken“.

Auf der anderen Seite fühlt sich Brittani Sonnenberg nicht heimatlos. Auf die Frage, ob sie ein Elternhaus habe, entgegnet sie ohne lange zu überlegen: „Ja, das Haus meiner mittlerweile verstorbenen Großmutter in North Georgia“. Sie hat dort viele Sommerferien verbracht, fährt noch immer regelmäßig hin. Der Geruch der Pinien und der Blick von der Veranda auf die sanft geschwungenen Berge bedeuten Zuhause. Auch wenn es eins von vielen ist.

Sonnenberg hat all die prägenden Orte ihrer Kindheit später wieder besucht. Und oft Vertrautheit gefunden. Nur in Singapur verlief sie sich, in der unerträglichen Mittagshitze, auf der Suche nach der vormaligen Familienresidenz. „Ich wusste nicht, ob ich mich in der Adresse geirrt hatte oder ob das Haus in der Zwischenzeit abgerissen wurde“, erzählt sie. „Das war sehr verstörend.“

„Heimflug“ ist ein großartiges Buch über den Verlust. Von Halt und Wurzeln. Von einem geliebten Menschen. Sie selbst hätte nach dem Tod ihrer Schwester Trost in der Literatur gefunden, erzählt Sonnenberg, in Judith Guests „Eine ganz normale Familie“ etwa. Jetzt bekommt sie viele Mails von Menschen, die sich in dem Schmerz, den sie ganz unsentimental, wahrhaftig und auch wütend beschreibt, wiederfinden können.

Und von anderen „Third Culture Kids“, die eine diffuse Community der Chamäleons bilden. Berlin, wo Sonnenberg im Kreuzberger Graefekiez wohnt, ist ja voll von solchen flüchtigen Existenzen. Sie beschreibt das in „Heimflug“: „Die U-Bahn klang wie der Turm zu Babel. Es gab praktisch niemanden, der aus Berlin stammte. Dennoch, oder deswegen, war jeder darauf erpicht, eine Art von Zugehörigkeit zu demonstrieren (man erinnere sich an John F. Kennedys berühmten Satz).“

Könnte sie sich ein Leben in Berlin vorstellen, ganz ohne gelegentliche Ausreißer in die USA oder nach Asien? Brittani Sonnenberg lacht im fernen Mississippi auf die Frage. Nein, dafür ist sie zu sehr geprägt von der eigenen Biografie. „I got too many homes calling my name.“

Brittani Sonnenberg: Heimflug. Aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky. 336 Seiten, Arche Verlag. 19,95 Euro. Am 28. August liest Sonnenberg in der Autorenbuchhandlung Berlin (ausverkauft).

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