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Eine Szene aus Hao Jingbans Zweikanal-Installation "Opus One" von 2020.

© Hao Jingban, Courtesy of Blindspot Gallery

Ausstellung über Archive von morgen: Was will uns diese Chipstüte sagen?

Das Berliner Times Art Center verbindet asiatische und europäische Positionen. Die Ausstellung „Readings from Below“ zeigt Arbeiten aus Informationen.

Eine Vinyl-Schallplatte als Informationsträger? Klar, das geht. Musik ist schließlich auch Information. Ein Vortrag eines Anthropologen, unterlegt mit Jazzklängen, ist schon seltener auf einer B-Seite anzutreffen. Die beiden in Berlin lebenden Künstler Musquiqui Chihying und Gregor Kasper vereinen beides auf „The Currency“. Sie haben das, was sie im Austausch mit einem Musiker und einem Anthropologen aus Togo gelernt haben, in einen Rap-Song und ein Gespräch gegossen und auf Platte veröffentlicht. Diese wurde während der Berlin Art Week zum ersten Mal vorgestellt.

Die Ausstellung „Readings from Below“ im Times Art Center in Berlin-Mitte erzählt von Archiven, die nicht mehr in statischen Bibliotheken zu finden sind, sie bringt Künstler zusammen, die statt mit Objekten mit Informationen arbeiten. Sie zeigt, wie Informationen gesammelt und neu zusammengesetzt werden.

Musquiqui Chihying und Gregor Kasper sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich aus einer künstlerischen Recherche ein Netz aus Themen ergibt. Zunächst recherchierten sie in Wedding zu den Straßennamen im Afrikanischen Viertel, deren Ursprung in der Kolonialgeschichte liegt. So entstand ein Film. Musquiqui Chihying stieß in der Folge auf die zunehmende wirtschaftliche Einflussnahme Chinas auf dem afrikanischen Kontinent.

Vom afrikanischen Viertel bis Togo

Über den Wedding wurden beide auf Togo aufmerksam, sie lernten dort den Rapper Elom 20ce und den Anthropologen und Tech-Aktivisten Sénamé Koffi Agbodjinou kennen. Und so entspann sich ein Austausch über Themen wie die neue Währung ECO, die bald in acht westafrikanischen Ländern den CFA Franc ablösen soll, über digitale Bezahlsysteme und den desaströsen Rohstoffabbau, der notwendig ist, um elektronische Hardware zu produzieren. All das thematisieren sie auf ihrer goldfarbenen Platte, die wiederum an einen „Wafer“ erinnert, dünne Silikonscheiben, die man bei Herstellung von Mikrochips verwendet.

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Künstlerinnen und Künstler werden gern als Seismografen der Gesellschaft bezeichnet. Dass sie relevante Themen aufspüren, liegt vermutlich auch daran, dass sie dort nachfragen, wo so sonst kaum jemand zuhört und dass sie bei dem, was irritiert, nicht weg- sondern erst recht hinsehen.

Fürs genaue Hinsehen und das Arbeiten mit digitalen Daten, vor allem mit Sound, hat der Beiruter Künstler Lawrence Abu Hamdan 2019 den britischen Turner Preis bekommen. Zusammen mit der Gruppe „Forensic Architecture“ war er an der Aufklärung von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt, die Gruppe rekonstruierte etwa Tatszenarien der NSU-Morde, die vor Gericht verwendet wurden.

Kopperation mit chinesischem Museum

In einer neuen Arbeit hat er sich mit einer Erfindung des Massachusetts Institute of Technology (MIT) beschäftigt. Gegenstände – wie Chipstüten oder Schokoriegelverpackungen – absorbieren Schwingungen, die entstehen, wenn Menschen sprechen. Sie können unter Einsatz der vom MIT entwickelten Technik als Tonaufnahmegeräte eingesetzt werden.

Chipstüten zeigen ein Hörvermögen, das dem Hörbereich des Menschen ähnlich sein soll. Man erlebt das in der Ausstellung über Lautsprecher, die den von Objekten aufgezeichneten Sound wiedergeben. Weißes Rauschen, es raschelt und knackt, verstehen tut man freilich nichts. Menschen müssten erst lernen, diese Geräusche zu entschlüsseln.

Die Berliner Kuratorin Ariane Beyn, die zuvor beim DAAD-Künstlerprogramm tätig war, hat in Kooperation mit dem Times Art Center eine neuartige Ausstellung auf die Beine gestellt. Das Times Art Center, ein Ableger eines südchinesischen Museums, hat in den vergangenen zwei Jahren spannende Positionen aus der asiatischen Kunstszene in Berlin vorgestellt. Das Ausstellungshaus kooperiert zunehmend mit Berliner Kuratorinnen und Institutionen, was den Blick zusätzlich weitet. So hatte Beyn die Möglichkeit, tiefer in die Kunstszene Asiens einzusteigen.

Christine Sun Kim und Thomas Mader nutzen als Ausgangsbasis ihrer Arbeit die Gebärdensprache ASL und eröffnen eine neue Art der Verständigung. Die Künstlerin Hao Jingban folgt in ihrem Film zwei Tanzfans aus China, die versuchen, die Lindy-Hop-Tänze der dreißiger bis fünfziger Jahre nachzutanzen, in dem sie Filmaufnahmen aus der Zeit studieren. Nicht nur physisch geraten sie dabei an ihre Grenzen. Sie stellen fest, dass sich die zeitliche, räumliche und kulturelle Distanz trotz aller Verbundenheit und Empathie nie ganz überwinden lässt.
Times Art Center, Brunnenstr. 9, Di-Sa 12-19 Uhr

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