zum Hauptinhalt

Preisverleihung auf Buchmesse: Was wiegt die Welt?

Der unabhängige Berliner Transit-Verlag feiert30. Geburtstag und wird auf der Leipziger Buchmesse mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet. Ihr Erfolgsgeheimnis: Das stetige Bemühen zwischen Autoren und Verlag, Kleinfamilien entstehen zu lassen und keine Zwangsverwandtschaften.

Das Bild zeigt ein skeptisches Jungengesicht. Fischermütze, unregelmäßige Zähne, blonde Haartolle, windzerzaust. Das könnte er sein, der Schriftsteller als junger Mann: Óskar Árni Óskarsson, geboren 1950 in Reykjavik. Aber er ist es nicht. Gudrun Fröba hat die Aufnahme in einem Archiv des Fotomuseums der isländischen Hauptstadt gefunden.

Hinfliegen musste sie dafür nicht. Island kennt das Verlegerpaar Gudrun Fröba und Rainer Nitsche aus Büchern, und wer hier das Wort „nur“ davor setzt, hat die Literatur nicht verstanden. Vor allem nicht jene, die Fröba und Nitsche meinen, wenn sie von ihren Autoren sprechen. In Óskarssons Band steckt ein ganzer Kosmos. Jede der 60 literarischen Miniaturen entwirft eine eigene Welt, der Ton ist lakonisch, ohne Sentiment, Bilder wie eingefrorene Erinnerungen. Sie fixieren den Moment, in dem das Leben aus dem Lot gerät. Ein Zwölfjähriger erkrankt an Knochentuberkulose, sein linkes Bein wird auf dem Esstisch der Großmutter amputiert. Jahre später ist der Junge ein begehrter Liebhaber der Fischersfrauen,– „und nach den Schäferstündchen“ schreibt Óskarsson, „glitzerte in seiner dunklen Stirnlocke dann und wann eine silbrige Heringsschuppe.“

An der „silbrigen Heringsschuppe“ fanden die Verleger des Berliner Transit-Verlags Gefallen. So sehr, dass sie das Wort in den Titel aufnahmen. „Das Glitzern der Heringsschuppe in der Stirnlocke“ heißt das Buch, und nicht, wie das Original „Schattenbilder einer Reise“. Gudrun Fröba sagt: „Das fanden wir zu dunkel“. Ihr Mann, Rainer Nitsche fügt hinzu: „Und zu pathetisch.“ Das passte nicht zum Buch und nicht zum Programm des Transit-Verlags. Wenn es Töne gibt, die dort auf keinen Fall zu hören sind, dann Pathos und Weitschweifigkeit.

Das Paar sitzt nebeneinander am ovalen Holztisch in der Charlottenburger Altbauwohnung, nicht weit vom Stuttgarter Platz. In der Kreuzberger Keimzelle des Verlags, den Räumen des Mehringhofs, dessen Geschäftsführer Nitsche in den achtziger Jahren war, sind sie nur noch selten. Die Vergangenheit, in der alles möglich schien und jeder neue Verlag begeistert beklatscht wurde, liegt weit weg, ebenso wie die Anekdoten aus rebellischen Zeiten. Nitsche ließ sich nie einsperren ins 68er-Klischee. Auf der Leipziger Buchmesse wird der Transit-Verlag nun mit dem Kurt-Wolff-Preis der gleichnamigen Stiftung ausgezeichnet. Einer mit 26 000 Euro dotierten Anerkennung für unabhängige Verlage.

Seit 30 Jahren arbeiten Gudrun Fröba und Rainer Nitsche zusammen – auf jedem Gebiet. Zwar konzipiert sie die Cover und er das Programm, aber ohne wechselseitiges Einverständnis kommt kein Buch zustande. Sie, die Kunsthistorikerin, liest jedes Manuskript, er, der promovierte Germanist, bestimmt alles Visuelle mit. Im Nebenzimmer spuckt das Fax Papierfluten aus. Rainer Nitsche, große Augen hinter der Lesebrille, sieht ab und zu nach. Gudrun Fröba, grazil, mit zugewandtem Blick und warmem Lächeln, serviert Roibuschtee, aber nur für den Gast.

Beide lassen sich Zeit beim Reden und Zuhören, keiner fällt dem anderen ins Wort. Gudrun Fröba weicht beim Sprechen die Konsonanten auf, Indridi G. Thorsteinsson, noch ein isländischer Autor, bekommt ein fränkisches D, es klingt heimelig, fast familiär, und auch das passt. „Da entstehen Kleinfamilien“, sagt Rainer Nitsche beim Durchblättern des Frühjahrsprogramms.

Es sind keine Zwangsverwandtschaften, eher findet zueinander, was sich ergänzt. Die beiden Isländer, die Katalanen, Maria Barbal und Balthasar Porcel. Maria Barbals 1985 erstmals in Barcelona erschienener Roman „Wie ein Stein im Geröll“ verkaufte sich bei Transit fast 60 000 Mal. Eine Überraschung und ein Rettungsanker für den Berliner Verlag. Das Buch war von mehr als 20 deutschen Verlagen abgelehnt worden, erzählt Nitsche. Schauplatz dieses Romans über den Spanischen Bürgerkrieg ist ein Dorf. Was andere abstieß, zog Fröba und Nitsche an.

„Wir sind beide im Dorf aufgewachsen“, sagt Gudrun Fröba, sie im Fränkischen, er in der Nähe von Flensburg. Mit Heimatdichtung, wie sie manche Vertriebenenverbände schätzten, hat ihre Vorstellung einer regionalen Literatur nichts zu tun. Das gilt auch für die aus Rumänien kommenden Autoren, eine andere Kleinstfamilie. Markus Bauers „In Rumänien“ und den Kindheitsroman „Zweieinhalb Störche“ von Claudiu M. Florian.

Das große alte Bauernhaus in Förbau, einem Dorf, in dem sich Fröbas Vorfahren niedergelassen hatten, ist nicht nur Rückzugsort, sondern für manchen Autor trotz Saale und Wiesen vor dem Fenster vielleicht eine nicht immer nur idyllische Klausur. Wochenlang feilschte Rainer Nitsche hier mit Claudiu M. Florian um den endgültigen Text, denn der wollte die ganze Geschichte Rumäniens ausbreiten und wandte jede Finesse an, um wieder hineinzuschmuggeln, was Nitsche herausoperiert hatte. „Man muss Autoren auch vor sich selbst schützen“, sagt Nitsche. Er könnte die Geburtsschmerzen bei jedem Buch erzählen, aber er spricht lieber über das geglückte Ergebnis.

„Wir sind an Verrücktheiten, an Ausgefallenem interessiert. Und wir machen keine Bücher, bei denen man das Gefühl hat, auch einiges weglassen zu können“, sagt Nitsche. Unprätentiöser kann man ein Verlagsprofil kaum beschreiben. Dass sie seit 30 Jahren von den Büchern leben – und nicht nur für sie – erscheint ihnen immer wieder selbst wie ein Wunder. Wie machen sie das? „Kein Riesenprogramm, kein Riesenbetrieb. Wir bleiben bei dem, was wir gut finden.“

Aber Gudrun Fröba sagt auch: „Die Bücher werden uns nicht mehr aus den Händen gerissen. Wir müssen viel mehr arbeiten als früher.“ Sie haben eine gute Backlist und ein kluges Vertriebssystem, in dem sich fünf Verlage zusammen geschlossen haben. Fröba und Nitsche sehen das Sterben kleinerer Buchhandlungen, sie sehen, wie Universitätsstädte zu literarischen Wüsten verkümmern.

Trotz alledem: Sie stimmen nicht ein in das Klagelied über den Untergang der Kultur. Auch junge Leute lesen, sagt Nitsche, nicht nur der erwachsene Sohn. Gudrun Fröba trauert der alten Foto-Satzmaschine nicht nach. Das Internet hilft ihnen, ja, auch Amazon. Die Transit-Bücher aber bleiben, was sie von Anfang an waren: Individuen innerhalb einer schönen Familie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false