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Suche nach der eigenen Geschichte. Bettina Wegner in Lutz Pehnerts preisgekröntem Dokumentarfilm „Bettina“. 

© Foto: Lutz Pehnert

Was ist von der DDR geblieben? : Wünsche, die sich fast nie erfüllen

Die DDR war eine Illusion, die zu Recht verschwand. Aber die Erinnerung ist auf beiden Seiten verzerrt. Wir haben zu viel auch leichtfertig aufgegeben.

Von Lutz Pehnert

Seit die DDR verschwunden ist, bin ich als Journalist fortlaufend damit beschäftigt gewesen, herauszufinden, was diese DDR denn nun war. Bis heute mache ich – vor allem im Auftrag von RBB und MDR, wo die Ostdeutschen im Wesentlichen unter sich sind – Filme über dieses verschwundene Land. Aber warum? Und warum noch immer?

Warum ist es wert, über ein Land zu erzählen, dass in der Geschichte Deutschlands und in den Geschichtsbüchern der Bundesrepublik keinen respektablen Wert hat? Und wovon rede ich eigentlich in den Filmen, wenn ich über die DDR, den Osten Deutschlands erzähle? Und wem erzähle ich es? Im Westen läuft mein aktueller Film „Bettina“ nicht so gut.

Das Drama der DDR ist, dass die Alten ihrer Jugend nicht vertraut, ihren Widerspruch nicht ertragen haben.

Lutz Pehnert

Ich war immer der Meinung, dass es falsch ist, die DDR von ihrem Ende her zu betrachten. Ein Grundgedanke bei meinen Filmarbeiten war immer: dass man die DDR nur begreift, wenn man sie von ihrem Anfang betrachtet. Und damit meine ich nicht die Gruppe Ulbricht, die 1945 in Berlin abgesetzt wurde, um hier einen Satellitenstaat Moskaus zu eröffnen. Ich meine die, für die das Ende einer grausamen Geschichte die Chance auf etwas Neues war. In diese Zeit wurde Bettina Wegner geboren. Ihre Eltern gehörten zu jenen, die das Neue wollten. Kommunisten, aber unglücklich, weil ihre sechsjährige Tochter eine glühende Stalin-Verehrerin war.

Ich glaube, der Fehler in der Betrachtung der DDR ist, dass man sie oft und allzu leicht aus ihrem Unvermögen, ihren Fehlern, ihren Absurditäten, ihren Brutalitäten buchstabiert.

Aber die DDR war – und nur so versteht man ihre Existenz – nicht nur ein Ort, von dem man abhauen wollte, sondern auch ein Land der Möglichkeiten, ein gelobtes Land. Die DDR-Mächtigen waren leider keine Theatergänger. Statt Shakespeare zitierten sie Lenin. Statt Shakespeare zu lesen, haben sie Shakespeares Dramen gelebt: die Dramen der Mächtigen, die ihre Macht nicht weitergeben wollen.

Lutz Pehnert nimmt den Filmpreis Clio von Marion Brasch entgegen.

© Foto: Andreas Klaer/PNN

Das Drama der DDR ist, dass die Alten ihrer Jugend nicht vertraut, ihr Anderssein nicht verstanden, ihren Widerspruch nicht ertragen haben. „Vor den Vätern sterben die Söhne“ – Thomas Brasch. Dass am Ende, 1989, aus diesem muffigen Salat keine andere DDR wurde, sondern nur ein Anschluss an ein eingeübtes System, hat auch damit zu tun.

Die Alten haben die 21-jährige Bettina Wegner nicht verstanden, die Zettelchen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag schrieb. Sie haben sie diszipliniert und in die Produktion geschickt. Aber sie wurde Sängerin in diesem Land, sang bis sie nicht mehr singen durfte und blieb, bis man sie des Landes verwies. Bettina Wegner verlor so ihre Heimat. Aber die DDR – und das ist genauso schlimm – verlor auch Bettina Wegner.

Wir Ostdeutschen sind störrisch gegenüber dem Vokabular des Westens aus dem Wortschatz des Kalten Krieges.

Lutz Pehnert

Die DDR war nie das bessere Deutschland, nie die bessere Gesellschaft. Aber sie existierte ihre paar Jahrzehnte auch durch die Illusion vieler, dass sie eine bessere Gesellschaft werden könnte. Sie ist zu Recht verschwunden. Oder wie Mad Max in „Fury Road“ sagt: „Hoffnung ist ein Fehler. Wenn du versuchst, etwas zu reparieren, was kaputt ist, also wirklich kaputt, wirst du verrückt.“ Wir Ostdeutschen sind daraus schlau geworden, aber auch störrisch gegenüber dem andauernden Vokabular des Westens aus dem Wortschatz des Kalten Krieges. Ich habe kein Problem, wenn jemand nichts über mein Leben weiß und nichts davon wissen will. Solange er mir nicht erklärt, wie mein Leben gewesen ist.

Gerade habe ich einen Beitrag für das Kulturmagazin des RBB über die Soul-Musik der DDR in den 1970er Jahren gemacht. Manchmal habe ich den Eindruck, von der Popgeschichte der DDR ist im Westen nicht mehr bekannt als der Ulbricht-Ausspruch vom „Yeah Yeah Yeah“ des Westens, das man doch bitte schön nicht kopieren solle. Und das war es, was junge Musiker in der DDR leidenschaftlich betrieben. Sie ahmten ihre Vorbilder nach – Jethro Tull, James Brown, Deep Purple – indem sie ihre Lieder spielten und aufführten. Dann sagten die Kulturfunktionäre, hört mal auf mit diesem Westzeug, erfindet euch doch mal selbst. So locker haben sie es nicht gesagt. Es war auch keine Empfehlung, sondern eine autoritäre Anmaßung, deren Werkzeug die staatliche „Spielerlaubnis“, die sogenannte „Pappe“, war.

Die Sängerin Bettina Wagner glaubte an ihr Land und wurde von den Parteikadern diszipliniert.

© Foto: Jörg Möller

Auf die Bühnen der DDR durfte nicht jeder, der es wollte; sondern nur die, die ihr Handwerk verstanden. Das ist eine absolute Einschränkung von Freiheit. Die andere Seite ist, dass junge Menschen an Musikhochschulen und an der legendären Fachschule in Friedrichshain ausgebildet wurden, die dabei und danach die Popmusik auf deutschem Boden revolutionierten. Ja, es war eine Revolution, es war Avantgarde, und es war grandios. Der Weg zum Blues-Riff und zum Bläsersatz von Funk und Soul führte über die Bach-Fuge.

Die Bundesrepublik hatte irgendwann Udo Lindenberg, den Einzelkämpfer. Aber die DDR hatte schon längst Phanta Rhei, die Modern-Soul-Band, das Joco Dev Sextett, Bayon, Uschi Brüning, Christiane Ufholz, Renft: eine geballte musikalische Kraft und Virtuosität. Nein, wir rechnen nicht auf. Es geht einfach nur um Kenntnisnahme, vielleicht auch um Anerkennung.

In dem Kuddelmuddel von staatlicher Förderung und Bevormundung ist Bettina Wegner entstanden: eine Sängerin, eine Liedermacherin. Eigentlich wollte sie nur Liebeslieder singen. Was sie für mich unnachahmlich macht, ist die Stringenz ihrer Haltung. Sich keinem Staatswesen, keiner Doktrin, keiner Anmaßung anheim zu geben, sondern bei sich zu bleiben und dem eigenen Gewissen treu. Sie ist gewachsen aus einem Mut, der stärker war als ihre Angst. Sie hatte Angst, aber sie hat sich selbst nicht verraten. Das ist eine große Kunst, vielleicht die beste.

Die erste, schönste und auch herausforderndste Arbeit an diesem Film war, mir die Lieder von Bettina Wegner anzuhören. Nächtelang. Immer wieder. Ich habe mich in diese Lieder verliebt, dabei gestrahlt, gekämpft und geheult. Ich bin auch in ihnen zusammengebrochen, weil sie etwas geschafft haben: mein Leben an ihnen zu messen. Oder mich ganz einfach zu fragen: Was ist mit dir, was hast Du gewollt, was hast Du verloren? Das war mein Start in den Film.

Mein Lieblingslied ist ihr „Liebeslied“. Und meine Lieblingszeile: „Fass mich nicht an / ach, fass mich an“. Die ist nicht politisch. Aber sie erzählt von unseren Wünschen, die sich fast nie erfüllen. Und dass wir damit klarkommen müssen.

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