zum Hauptinhalt

Bagger und Bonzen: Was für Künstler in China möglich ist

Wie leben Künstler in Peking? Wolfram Wickert ist Deutscher, Maler und wurde 1941 in Schanghai geboren. Für den Tagesspiegel gibt der Künstler seine Eindrücke aus China wieder.

Von 2007 bis 2009 hielt ich mich mehrfach in Peking auf und hatte dort ein Atelier gemietet. Neben westlichen Künstlern traf ich auf chinesische Kollegen, die nach Auslandsaufenthalten in westlichen Demokratien zurückgekehrt waren. Sie sind selbstbewusst und übermütig, man diskutiert offen über soziale und politische Entwicklungen; oft sind die Gespräche dynamischer als in Berlin.

Künstler haben in China einen privigilierten Status. Sie verdienen gut und werden geachtet. Aber da sie sozial nicht abgesichert sind, haben sie nebenbei oft andere Berufe. Ein mir bekannter Maler betreibt sechs Restaurants; auch Galeristen haben oft ein zweites Standbein. So haben viele Künstler ein hohes Maß an Lebensnähe und Pragmatismus.

Ein anderer Freund besetzte eine leer stehende Fabrik; kaum hatte er 120 Ateliers installiert und vermietet, rollten fünf Bagger an: Der Parteisekretär des Distrikts wollte ein neues Stadtviertel errichten. 20 Ateliers waren in fünf Minuten plattgewalzt. Die Künstler protestierten erfolgreich, die anderen Ateliers gibt es bis heute. Ein anderer Freund, ein Bildhauer, wollte im Museum für Moderne Kunst in Schanghai lebensgroße Bergmannsfamilien aus Kunststoff ausstellen. Lokale Parteibonzen bestanden darauf, dass er verunglückte Bergleute, um die Frauen und Kinder trauerten, nicht zeigen dürfe. Ein hochrangiger Parteisekretär erlaubte es jedoch, auch Kunstzeitschriften zeigten die Skulpturen.

Während meiner Zeit in Peking zog ich abends oft mit anderen Künstlern durch die Ateliers. Sie fragten mich vor allem nach Malern wie Picasso, Kiefer, Richter, Lichtenstein, natürlich auch nach der Avantgarde in Berlin. Viele Künstler, selbst wenn sie jahrelang im Westen gelebt hatten, haben jedoch eher wenig Zugang zur abstrakten, konzeptuellen Kunst – weil sie nicht mit modernen Museen aufgewachsen sind.Die Galerien und Sammler vor Ort bieten hauptsächlich chinesische Künstler an. Die Preise auf dem chinesischen Kunstmarkt explodieren zur Zeit; sie überholen bereits die Umsätze des britischen Markts. Unter den zwölf umsatzstärksten Künstlern der Welt befinden sich zurzeit vier Chinesen.

Wer den Segen eines Parteisekretärs genießt, kann ausstellen, wann und wo er will. Wer aber der Partei im Weg steht, muss mit Gegenwind rechnen. Das habe auch ich erlebt: Im Mai 2008 empfing Angela Merkel den Dalai Lama und löste in China Empörung aus. Eine große Galerie in Peking musste die Ausstellung meiner Gemälde absagen. Die Bezirksversammlung hatte beschlossen, alle Ausstellungen französischer und deutscher Künstler abzusagen. Die westlichen Medien seien auf einer „Betroffenheitswelle“ geritten, ohne Chinas Position zu erklären.

Die Verhaftung von Ai Weiwei hat im Westen Empörung ausgelöst. Ais Unterstützer, Sponsoren und Sammler leben in Europa und den USA, sein Schicksal berührt nur wenige chinesische Bürger. Seine Werke gelten als zu konzeptuell, seine Sozialkritik als zu kompliziert. Außerhalb der Szene ist er kaum bekannt.

Offenbar wurde die Festnahme unter Einhaltung chinesischer Gesetze vollzogen: Die Polizei kann Verdächtige drei Tage in Isolationshaft vernehmen, in Ausnahmen bis zu sieben, in schwierigen Ermittlungsfällen sogar bis zu 30 Tagen. Chinas Politiker haben seit den Olympischen Spielen gelernt. Westliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen versuchen sie zu vermeiden. Ai Weiwei hatte ab 2011 mit härteren Repressalien rechnen müssen – nach dem Ende der 100-Jahr-Feiern für seinen Vater Ai Qing (1910 –1996), den größten chinesischen Volksdichter des 20. Jahrhunderts.

Das Verfahren gegen ihn ist geschickt eingefädelt. Ermittelt wird nicht wegen seiner Kritik am Regime, sondern wegen Verdachts auf Wirtschaftskriminalität. Das Schlimmste ist zu befürchten: Wegen geringerer Vergehen könnte er nicht zu horrenden Strafen verurteilt werden.

Der Autor wurde 1941 in Schanghai geboren, sein Vater war nach Maos Tod deutscher Botschafter in Peking.

Wolfram Wickert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false