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Rasantes Genre- und Epochenhopping. Thorbjörn Björnsson und Jule Böwe in Martons Monteverdi-Adaption. Foto: Davids/O. Zillmer

© DAVIDS

Kultur: Warten auf Papa

David Martons „Die Heimkehr des Odysseus“ an der Schaubühne

Gediegen sitzt die Familie des Odysseus beim Tee. Man deklamiert homerische Hexameter, lauscht den Temperamentsausbrüchen einer italienischen Hausfreundin und übersetzt sie für Mutti Penelope brav ins Deutsche. Plötzlich fragt Sohn Telemach feixend in die Runde: „Wo is’n eigentlich Papa?“

Gute Frage. Mit der Rückkehr des heroischen Irrfahrers, der zwanzig Jahre zuvor in den Krieg gegen Troja gezogen war, scheint hier keiner mehr zu rechnen. Penelope (Jule Böwe) hat sich in einer gepflegten Depression eingerichtet, die auf dem Hometrainer besonders plastisch zum Tragen kommt. Und Sohn Telemach (Matthias Matschke) wäre der Alte nur im Weg. Ohne väterliche Autorität lässt es sich schließlich gemütlicher an der Mutterbrust saugen. Auch die Marke „Odysseus“, die Telemach später als eine Art PR-Chef am Markt zu etablieren sucht, dürfte von der väterlichen Abwesenheit eher profitieren: „Odysseus muss nicht unbedingt heimkehren, er muss nur ankommen – bei unseren Kunden!“

Erklärtermaßen hat der Musiktheater-Regisseur David Marton in seiner sehr frei nach Claudio Monteverdi auf die Berliner Schaubühne getupften Produktion „Die Heimkehr des Odysseus“ den Zustand des Wartens als solchen zum Thema gemacht. Die Bühne sieht aus wie ein Second-Hand-Möbelladen, in dem die Zeitschichten lustig neben- und übereinander lagern: Overhead-Projektoren und alte Telefone finden sich in der Odysseus-Bude genauso wie Metallspinde, alte Sessel oder abgerockte Kinderstühle. Ganz ähnlich ist es um die mentale Verfasstheit des Personals bestellt: Nicht nur Telemach regrediert von einer Sekunde auf die nächste zum bockigen Kleinkind, das Mama zum Händewaschen und Zähneputzen in die Nasszelle schickt. Auch die restlichen sieben Schauspieler, Sänger und Musiker springen rasant zwischen Genres und Epochen hin und her.

Die Monteverdi-Klänge vom Jazz-Gitarristen Kalle Kalima, der Violinistin Nurit Stark und dem Pianisten Michael Wilhelmi werden immer wieder in Richtung Gegenwart gebrochen, und textlich steht Homer unvermittelt neben Péter Esterházy sowie Ergüssen aus dem eigenen Kreativ- und Assoziationsfundus: Da das Warten als Dauerzustand sich ja eher kreisförmig in die Breite zieht als durch lineare Zielstrebigkeit und Logik aufzufallen – so hat sich Marton wohl gedacht – müssen den Improvisationsgelüsten des Ensembles auch keine künstlichen Grenzen gesetzt werden. Sicher: Die Kunst des gebürtigen Ungarn, große Opern nicht bloß auf etablierte Sprechtheaterbühnen herunterzubrechen, sondern sie intelligent und unterhaltsam aus neuen Perspektiven zu erschließen, ist auch an diesem Abend zu beobachten. Wenn die Schauspieler Arien schmettern, während Musiker und Sänger gleichberechtigt als Schauspieler agieren, und wenn sich kanonische Klänge immer wieder denunziationsfrei am Zeitgeist brechen, entstehen fruchtbare Verfremdungen.Dennoch: Bevor der heute 35-jährige Marton selbst Regie zu führen begann und sich zu einem der interessantesten Vertreter seiner Zunft entwickelte, arbeitete er als musikalischer Leiter bei stilprägenden Regisseuren wie Frank Castorf oder Christoph Marthaler. Vor allem an Letzteren fühlt man sich an diesem Abend stark erinnert.

Schon Alissa Kohlbuschs Retro-Bühne provoziert den Vergleich mit den legendären Warteräumen von Marthalers künstlerischer Partnerin Anna Viebrock. Und Marthalers witzig-melancholische Verlangsamungschoreografien schimmern bei Marton in einer eigenwilligen Reduktionsform durch. Vielleicht liegt es ja daran, dass sich der Regisseur und das Ensemble für die Entwicklung einer eigenen Textfassung entscheiden haben, statt – wie ursprünglich geplant – für eine neue Odysseus-Bearbeitung Marius von Mayenburgs. Dass das Team beim kollektiven Improvisieren großen Spaß hatte, steht zwar außer Frage. Und wenn das bei Akteuren wie Jule Böwe, Matthias Matschke oder Ernst Stötzner, der als kriegstraumatisierter Odysseus final freilich doch noch heimkehrt, nicht in einige gelungene Szenen münden würde, müsste man sich um das Theater ernsthaft sorgen.

Aber vieles wirkt beliebig. Um diese Beliebigkeit – was ja theoretisch möglich wäre – genießen zu können, sind Ideen wie die PR-Firmensitzung zur Marke Odysseus nicht originell genug, zumal über die Dauer von zwei Stunden. Schade. Erst im Herbst war David Marton mit Monteverdis „Krönung der Poppea“ am Hamburger Thalia Theater eine klarer konturierte Inszenierung gelungen.

Heute sowie am 30./31.1., 20.00 Uhr und am 1./2.2., 20.30 Uhr

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