zum Hauptinhalt

Kultur: Wanderung in den Wahn

Saisonstart am Deutschen Theater: Kriegenburg inszeniert Jelineks „Winterreise“

Zum Verrücktwerden schön hier. Es blüht und sprießt ganz prächtig aus dieser Heide, auch eine Bank gibt es und ein Klavier, kommt, Muse und Muße. Ein Ort zum Verweilen für fünf Wanderinnen im Blümchenkleid, die ihre Päckchen zu tragen haben. Allerdings, weit her scheint es mit der Idylle nicht zu sein. Schnee haben sie sich mitgebracht in diesen Bühnensommer, überhaupt braut sich am Himmel was zusammen, und schon erklingt der göttliche Schubert „Es zieht ein Mondenschatten als mein Gefährte mit“. Moment, die Zeile wird per Handbewegung noch mal zurückgespult. Wussten wir’s doch. Die Romantik hat ein finsteres Herz.

Andreas Kriegenburg inszeniert zur Saisoneröffnung am Deutschen Theater Elfriede Jelineks „Winterreise“, Nikolaus Frinke hat ihm dazu ein wildwüchsiges Paradies gepflanzt, das den Weg bahnt für eines langen Tages Reise in die Nacht. Denn nichts anderes beschreibt ja der Liederzyklus von Franz Schubert und Wilhelm Müller: eine Wanderung zu den drei Sonnen, also in den Wahn. Jelinek, die Klavierschülerin, hat sich schon immer mit besonderem Furor durch diese Schmerzdichtung zitiert und nun ein eigenes Werk daraus gemacht, gerade erst von Kritikern zum Stück des Jahres gewählt.

Es ist ein großartiger Text. Er wird als einer ihrer persönlichsten gelesen, weil er durch den Mahlstrom der Worte zum eigenen Schreiben dringt, weil er das beladene Verhältnis zur Mutter und den vergessenen, in die Demenz driftenden Vater bespiegelt. Klar, Jelinek mäandert auch wie gewohnt durch die Gegenwart, Natascha Kampusch tritt auf und wird von einem Chor der Aufmerksamkeitsneider verhöhnt, natürlich schont sie das selbstzufriedene, verdrängungsselige Österreich nicht. Aber diese „Winterreise“ schlägt einen Grundton der Entfremdung, der Selbstferne an, der weit tiefer trifft. Schon zu Beginn, wenn da ein Ich erklärt, es stecke bis zum Hals in seinem Scheitern. Nie genügt, in der Schule des Lebens ein Nichtgenügend bekommen.

Kriegenburg, der sich zum ersten Mal ein Stück der Nobelpreisträgerin vornimmt, verteilt diese Prosa auf fünf Spielerinnen, weil erst die Vielstimmigkeit aus der Textfläche Theater macht. Neben den Ensemblefrauen Judith Hofmann, Anita Vulesica und Susanne Wolff hat er Annette Paulmann und die Jelinek-erprobte Maria Schrader als Gäste geholt.

Gut sind sie, keine Frage, und sie finden mit dem Regisseur immer wieder einleuchtende Bilder für die weltwunden Gedanken der Jelinek. Da wird die Klaviatur zur Tastatur und wirft das Netz aus, das Internet, das als Fenster zur Welt geblieben ist. Aber diese Übersetzung stößt an Grenzen. Was in jener ungekürzten Szene augenfällig ist, in der Jelinek den Vater sprechen lässt, den die Frauen in die Psychiatrie abgeschoben haben, eine nie gelöste Schuld. Um Schrader gruppiert, beginnt ein melancholischer Slapstick der entrückten Wanderer im Anzug, eine Illustration, die Harmonie schafft, obwohl Dissonanzen wüten.

Jelinek nur beim Wort zu nehmen, das führt nicht weit. Wo doch die Autorin alles, was ihr in die Finger kommt, und sei es die eigene Biografie, so lange mit Skepsis beäugt, bis es fremd zurückfunkelt. Wenn man den Texten an die Gurgel geht, wie ein Nicolas Stemann in seinen Inszenierungen, spucken sie einem schmerzliche Wahrheiten aus. Wenn man sie zu umarmen versucht, entziehen sie sich.

Wieder 18. September, 19 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false