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Volks-Tanz. Szene aus den „Meistersingern“ in Posen.

© Opernhaus Posen

Wagners „Meistersinger“ in Posen: Einmarsch in Nürnberg

Nach 85 Jahren werden in einem polnischen Opernhaus wieder Wagners „Meistersinger“ gespielt – ein Politikum in Posen.

Es gibt allerlei Mutmaßung darüber, warum Richard Wagners „Meistersinger“ seit 85 Jahren auf keiner polnischen Bühne zu finden sind. „Denken Sie an den großen Aufwand und die enormen Kosten“, sagt vieldeutig lächelnd die Intendantin des Posener Opernhauses Renata Borowska. Natürlich weiß sie, dass man auch aus politischer Abneigung dem Werk aus dem Weg gegangen ist. Die Beschwörungen „der heiligen deutschen Kunst“, von „deutsch und wahr“ und „deutsch und echt“ dürften wie ein tinnitusähnlicher Missklang empfunden werden, nachdem unter diesen Schlachtrufen die Nazis in Polen gewütet haben. Aber jetzt, mitten im nationalistischen Großreinemachen hat das Opernhaus Posen es gewagt, die komisch-melancholische Geschichte um den Altnürnberger Gesangswettbewerb dem polnischen Musikfreunden nicht länger vorzuenthalten.

Es ist ein Coup, der die schmerzliche Lücke in der polnischen Wagner-Rezeption endlich schließt, so Gabriel Chmura, Generalmusikdirektor des Hauses, der als Israeli mit Wagner-Tabus umzugehen versteht. Erwartungsgemäß zeigte sich das rechtsnationale Lager empört, und zog mit dem Aufruf „Verehre die heilige polnische Kunst!“ gegen die Posener Premiere zu Felde. Ihre Polemik gilt Wagner, dem „Inspirator der Nazis“, ebenso wie den Meistersingern, die als Soundtrack von Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm verabscheut werden. Auch dass mit Chmura ein (übrigens in Polen aufgewachsener) Israeli in einem polnischen Opernhaus das Sagen hat, löst Missbilligung aus: So einer benötige Nachhilfe im polnischen Repertoire. Einer erhöhten Aufmerksamkeit durfte sich der Hamburger Opernregisseur Michael Sturm also sicher sein.

In seiner Arbeit ist das Bemühen erkennbar, auf ein vermutetes Wagner-Unwohlsein mit Empathie und Interpretationslust einzugehen. In riesigen Lettern begleiten die Wörter „Wahn“ auf der linken Bühnenwand und „Sinn“ auf der rechten die Aufführung, die in einen sich nach hinten verengenden Kubus eingekapselt ist, womit sich jede Verbindung zu altdeutscher Gemütlichkeit erledigt. Nürnberg ist der zwar mitgedachte aber niemals gezeigte Ort. Stattdessen bewegen sich die Liebe zwischen Stolzing und Eva sowie der mittelalterlich ritualisierte Song Contest in einem politisch entlasteten, universellen Raum.

Bloß keine Klischees

Sturm verzichtet durchgängig auf unmittelbare politische Deutungen, er bietet stattdessen ein mitunter allzu verrätseltes Tableau von kulturgeschichtlichen Hinweisen. Es gibt Bilder vom Sommernachtstraum, von Fabelwesen, von Adam und Eva und dem Paradies, es gibt Anspielungen auf Goethe, Brecht und vieles mehr. In den finalen Massenszenen schreitet Wagner gar selbst und selbstzufrieden das von ihm geschaffene Menschenwerk ab. Die Posener erleben einen Diskurs über die Kunst jenseits aller zeitlichen und nationalen Fixierungen.

Bloß keine Klischees, mag der Regisseur sich jeden Morgen aufs Neue eingebläut haben. So macht er aus dem drolligen Hagestolz Beckmesser einen zwielichtigen Varietékünstler mit Mephistohaube und glitzerndem Gewand, dessen penetrante Arroganz erst im finalen Showdown in eine bizarre Komik umschlägt. Der Norweger Björn Waag singt diese Rolle routiniert und mit steigernder Spielfreude. Sein Gegenspieler Stolzing ist hier aller höfischen Vornehmheit beraubt, eine Art unauffälliger, pummelige Nachbarsjunge, der in sein Glück nur so hineinstolpert. Mit seinem weichen baritonalen Tenor kann sich Christian Vogt allerdings nur schwer gegen das stellenweise zu laute Orchester behaupten.

Eine öffentliche Kontroverse wird erwartet

Star des Abends ist Frank van Hove, der einen distanzierten, intellektuellen Sachs verkörpert und der erleben muss, wie am Ende das Volk seine Mahnungen an das Echte und Deutsche aggressiv zurückweist. Wieland Wagners Bayreuther Versuch von 1951, den Sachs zu „entnazifizieren“, findet hier seine Fortschreibung. Eva, Pogner, David und Magdalene sind, wie die gesamte sonstige Sängerzunft mit polnischen Stimmen besetzt, ihr Pauken des wagnerdeutschen Textes hat sich gelohnt. Chmara dirigiert das Opernorchester flüssig und unpathetisch, um es am Ende des zweiten und dritten Akts ungehemmt aufblühen zu lassen.

In Posen gilt es, mit Vorurteilen aufzuräumen. Mit Woody Allens Bonmot etwa: „Immer, wenn ich Wagner höre, habe ich das Bedürfnis, in Polen einzumarschieren.“ Immerhin schrieb Wagner als „ekstatischer“ Bewunderer des polnischen Novemberaufstands von 1831 seine Polonia-Ouvertüre. Mit den Meistersingern wird nun vor allem das musikkulinarische Angebot erweitert. Politische Deutung hin oder her. „Du fällst in einen Rausch“, sagt Chmara, „das ist der Genuss.“ Dieser Empfehlung ist das Posener Premierenpublikum, darunter viele Deutsche, gefolgt, lang anhaltender Beifall, einige Buhs für die Regie. Die öffentliche Kontroverse wird nun nach der Premiere erwartet. „Ich bin bereit“, sagt Intendantin Borowska.

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