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Vorbesichtigung bei Irene Lehr: Die kalten Geister 

Von Adnan bis Warhol: Das Auktionshaus Irene Lehr startet mit junger Kunst in die Herbstsaison

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„Schreberlaube“: Was für eine entzückende Wortschöpfung. Heutzutage ebenso selten wie die beliebten, dicht an dicht organisierten Gartenparzellen, die mehr und mehr aus dem Stadtbild verdrängt werden und der Versiegelung zum Opfer fallen. 1921 hat Ernst Fritsch die „Schreberlaube I“ als heiter buntes Holzhäuschen, umgeben von ausgedehnten Landschaftselementen, gemalt. Mit den kubo-futuristisch gekippten Flächen in leuchtendem Blau, Grün und Gelb visionierte der 1892 geborene Berliner Maler Weite und deutet zugleich die reale Enge an. Das anmutige Ölbild, dessen Pendant sich in der Sammlung der Berlinischen Galerie befindet, kommt mit 10.000 Euro als eines der Highlights der herbstlichen Versteigerung im Auktionshaus Irene Lehr zum Aufruf.

Die höchsten Erwartungen des insgesamt 420 Losnummern umfassenden Angebots, mit einem oberen Gesamtschätzwert von 1,4 Millionen Euro, weckt Franz Radziwills Bild „Die Mole (Hafeneinfahrt mit der Bremen)“. Den seinerzeit spektakulären Überseedampfer hebt der fantastische Realist im Anschnitt und eingefriedet zwischen abendlich abgedunkeltem Sonnenlicht und mit Schwarz durchsetztem Wasser hervor. Am bewegten Himmel weht ein überdimensionales Blatt, erheben sich surreale Schemen einer fernen Landschaft, während die Weser eine irreale Stadtsilhouette spiegelt. Die magische, den technischen Fortschritt huldigende Hafenszene mit ihrer mächtig feierlichen Stimmung steht mit einer Schätzung von 150<ET>000 Euro an der Spitze der Offerte.

Einen weit weniger mystifizierenden Blick auf den Fortschritt bietet – auf der anderen Seite der Preisskala – ein unbetiteltes Aquarell der 1896 geborenen und 1939 verstorbenen Künstlerin, Zeichen- und Turnlehrerin Margarete Schall. Ihre drei 1926 gemalten, technisch hochmodernen Schiffe vor einem Leichtigkeit und mediterranes Flair versprühenden blauen Hintergrund kommen mit 600 Euro zum Aufruf.

Zu den weiteren Entdeckungen in der Auktion gehören das impressionistisch zarte „Mädchen am Strand von Hiddensee“ der Mitbegründerin des dortigen Künstlerinnenbunds Clara Arnheim, die 1942 in Theresienstadt ermordet wurde. Und ebenso die um 1925 entstandene, schwungvoll kubistische „Tänzerin“ des Malers und Bühnenbildners Sascha Wiederhold zum Schätzpreis von 2500 Euro, dessen Revival derzeit in der Neuen Nationalgalerie gefeiert wird.

Georg Scholz’ Gemälde „Tote Hühner“ verleiht dem gerupften Federvieh mit akribischer Perfektion und feinsäuberlicher Nacktheit eine bissig-skurrile Lebendigkeit, die uns frösteln lässt. Eiskalt drapierte Teile eines Fleischwolfs, wie beiläufig beiseite gelegte Schnüre – die Reste von blank geputztem Gedärm. Lediglich zwei an der Kante des polierten Tischs dahingetupfte rote Flecke verweisen auf den Tötungsakt. Die Schlachtbank als Bühne im Vordergrund und gleich hoch respektive tief wie der angrenzende Raum mit dem Putzeimer. In der Nahsicht und dem geradezu hyperrealistisch gemalten Geflügel werden die Kadaver zu Stellvertretern für den menschlichen Körper. Tatsächlich war ein Aktbild des Malers mit ähnlichen Utensilien aus „Gründen der Sittlichkeit“ aus einer Ausstellung im Folkwang Museum entfernt worden. Aber der Meister der Neuen Sachlichkeit verstand sich ebenso auf die Symbolkraft der Malerei, wovon das faszinierend unheimliche Stillleben (100.000 Euro) zeugt.

Neben der feinen Auswahl an Werken der klassischen Moderne – zudem ein aquarelliertes Selbstporträt des jungen Rudolf Schlichter oder Conrad Felixmüllers aktuell wirkende Federtusche „Wintertag auf der Zeche“ – belaufen sich mittlerweile rund fünfzig Prozent des Katalogs auf Kunst der jüngsten Jahrzehnte. Darunter sind Bilder von Etel Adnan, Gerhard Hoehme und Rainer Fetting, aber ebenso auch eine geschweißte Skulptur von Jean Tinguely oder Peter Vogels interaktives Klangobjekt „Minimal Music. Piece for 6 Players“. Wer auf große Namen setzt, kann Farbsiebdrucke von Yves Klein oder Andy Warhol im unteren fünfstelligen Eurobereich ersteigern. Oder in niedrigeren Regionen Entdeckungen machen.

Auktionshaus Lehr, Sybelstr. 68; Vorbesichtigung: 17.-27. Oktober, täglich von 11–19 Uhr. Die Versteigerung findet am 29. Oktober statt

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