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Vor dem Abschied. Nina Hoss und Lars Eidinger als Zwillinge in "Schwesterlein".

© Vega Film

Vor der Berlinale-Premiere: Blick hinter die Kulissen des Theaterfilms „Schwesterlein“

Nina Hoss und Lars Eidinger über den Theaterfilm „Schwesterlein“, in dem auch Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier eine Version seiner selbst spielt.

Es passiert bestimmt nicht so selten, dass prominente Schauspieler von Menschen angesprochen werden, die unbedingt mal mit ihnen arbeiten wollen. Die ein tolles Projekt planen, ganz auf sie zugeschnitten. Schon seltener dürfte der Fall sein, dass daraus Filme werden, die es in den Wettbewerb der Berlinale schaffen.

Nina Hoss war auf der Suche nach einem Geschenk in einem Laden an der Torstraße, als Stéphanie Chuat und Véronique Reymond sie ansprachen und davon schwärmten, wie großartig sie in Christian Petzolds „Barbara“ sei – und natürlich auch von diesem Drehbuch erzählten, an dem sie gerade arbeiteten. Mit ihr, Nina Hoss, als Hauptdarstellerin im Kopf. 2015 war das.

Es begann mit einem "kurzen Kaffee"

Die Schweizerinnen Chuat und Reymond kennen sich, seit sie zehn Jahre alt waren, sie sind Theaterschauspielerinnen, haben sich selbst Duett-Shows geschrieben und zusammen Kurzfilme entwickelt. 2010 kam dann ihr erster Spielfilm in die Kinos, „La Petite Chambre“, ein mit Preisen überhäuftes Drama, das von Verlust, Tod und einer Freundschaft im Angesicht des Endes handelt.

Als Hoss den Film sah, war sie entflammt davon, „mit was für einer Leichtigkeit und Wärme die beiden Geschichten erzählen“. Ein Grund, weshalb aus dem „kurzen Kaffee“, für den sie sich mit den Regisseurinnen verabredete, schließlich ein dreistündiges Gespräch wurde. Beschlossen mit der Absicht, zusammen „Schwesterlein“ zu machen.

Es hat dann noch mal vier Jahre gedauert, bis der Film gedreht werden konnte, unter anderem in den Schweizer Bergen und an der Berliner Schaubühne. Aus vielen Fassungen hat sich die Geschichte eines Zwillingspaares entwickelt. Lisa ist eine Theaterautorin, die nicht mehr schreiben kann. Ihr Bruder Sven, ein Schauspieler, hat Krebs und sieht dem Tod entgegen. Ein deutscher Produzent hat sich dafür nicht finden lassen. Bühne und Film, das ginge nicht zusammen, hieß es. Kassengift. „Und das in unserer Theaternation“, schüttelt Hoss den Kopf.

Ostermeier sprach das Regie-Duo nach einer Premiere an

Zwei Drehtage hatten sie am Lehniner Platz, erzählen die Regisseurinnen, auf dem Vorplatz, der Bühne, im Foyer und auf dem Dach. Sie kennen die Schaubühne und ihren Leiter Thomas Ostermeier seit über 20 Jahren, der erste Kontakt entstand bei einem Workshop an der Ernst-Busch-Schule in Genf, Ostermeier war damals noch Student. Später hat er seine Arbeiten regelmäßig im Théâtre Vidy-Lausanne gezeigt, nach einer Premiere stand er rauchend vor der Tür, Chuat und Reymond sprachen ihn an.

Die beiden haben sich etliche Arbeiten der Schaubühne in Lausanne und in Berlin angesehen, Inszenierungen wie „Dämonen“, „Richard III.“ und natürlich „Hamlet“, das signature play des Hauses. „Der Spirit dort ist beeindruckend“, sagen Chuat und Reymond. „Und unsere Herzen als Theatermenschen schlagen im gleichen Rhythmus.“ Neben Nina Hoss haben sie Thomas Ostermeier besetzt, der den Leiter der Schaubühne spielt. Und Lars Eidinger als todkranken Schauspieler Sven, der seine große Abräumer-Rolle im „Hamlet“ hat. Ein „dokumentarisches Element“, nennen die Regisseurinnen diesen Zusammenfall von Realität und Fiktion.

„Ich dachte zu Beginn, das könnte heikel sein“, gibt Hoss zu. „Aber es verleiht der Geschichte Tiefe. Wir wissen, von welcher Welt wir da berichten.“

Lars Eidinger verkörpert einen todkranken Schauspieler.
Lars Eidinger verkörpert einen todkranken Schauspieler.

© Vega Film

Nicht wenige Schauspieler würden so einen Part kategorisch ablehnen. Aus Aberglauben, wegen der Furcht, „am Ende wirklich krank zu werden, wenn sie es imaginieren“. Sagt Lars Eidinger. Und versichert: „Von solchen Bedenken bin ich frei.“ Was ihm aber nahegegangen sei: „Dass ich im Film der Umbesetzungsprobe des ‚Hamlet‘ beiwohne“. In „Schwesterlein“ übernimmt der Kollege Moritz Gottwald und setzt sich als Dänenprinz die Krone auf, „im Originalkostüm aus unserer Inszenierung“. Dabei hoffe man in der Kunst doch immer auf eine gewisse Unersetzbarkeit, sagt Eidinger. „Ernüchternd, wenn man merkt: Man ist doch austauschbar.“

Ostermeier würde "Hamlet" nicht ohne Eidinger zeigen

„Wenn Lars krank wäre, würde ich ‚Hamlet‘ absetzen“, versichert Thomas Ostermeier. Anders als der Schaubühnen-Direktor David, den er im Film spielt, würde er niemals den Versuch einer Umbesetzung wagen. Ostermeier hat darüber auch viel mit Stéphanie Chuat und Véronique Reymond diskutiert, konnte sich aber mit der realistischen Variante nicht durchsetzen. „Klar, so ist es dramatischer.“

David sei getrieben vom Druck, die Auslastung seines Hauses hoch zu halten, „er kriegt den Spagat zwischen ökonomischer Verantwortung und menschlichem Entgegenkommen nicht hin“. Früher, sagt der Theaterleiter, sei er bestimmt auch so gewesen. Heute nicht mehr. Schon weil die Schaubühne gar nicht erfolgreicher laufen könnte.

Ostermeier hat ja ursprünglich Schauspiel studiert. Er findet es befreiend, „auf ein Set zu kommen, den Text zu können und nur für sich selbst verantwortlich zu sein“. Auf der Leinwand war er zuletzt schon in Josef Bierbichlers „Zwei Herren im Anzug“ zu sehen, außerdem im russischen Historiendrama „Matilda“, ebenfalls mit Lars Eidinger. In „Schwesterlein“ sollte er ursprünglich den bösen Antagonisten geben, aber hat dafür gekämpft, dass seine Figur „menschlicher wird, besser zu verstehen in seinem Verhalten“.

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Dieser David ist auch „ein erloschener Liebhaber von Lisa“, der Theaterautorin. Mit Nina Hoss – die sich gegenwärtig eine Theaterauszeit nimmt, um sich ganz dem Drehen zu widmen – hat Ostermeier ja unter anderem Yasmina Rezas „Bella Figura“ und „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon inszeniert.

Und mit Eidinger, dem „Hamlet“, dem „Richard III.“, verbindet ihn ohnehin ein besonderes Verhältnis. Im Film sage er über ihre Beziehung sinngemäß: „Wir haben Tausende Stunden zusammen im Probenraum verbracht, uns gegenseitig hochgeschaukelt. Es ging immer darum, wer die verrücktere Idee hatte“, beschreibt Ostermeier. Und das entspreche auch der Realität. Wobei Eidinger da etwas differenziert: „Thomas ist ein Regisseur, der Räume schafft, in denen ein Schauspieler verrückte Ideen haben kann.“

Hoss und Eidinger haben noch nie zusammen Theater gespielt

Da kommt wohl viel Schaubühnen-Vertrautheit zusammen in „Schwesterlein“. Natürlich auch zwischen Hoss und Eidinger, die im selben Jahrgang an der Ernst-Busch-Schule waren – allerdings noch nie zusammen Theater gespielt haben. Aber die Arbeiten des jeweils anderen waren immer wichtig. Eidinger erinnert sich zum Beispiel noch genau, wie er mal „zusammen mit Fritzi Haberlandt und einer Mitbewohnerin von Nina in einem weißen Käfer-Cabrio über die Autobahn nach Stuttgart“ gefahren sei, weil Hoss dort im „Black Rider“ spielte.

Jetzt, so beschreiben sie es beide, spielen sie ein symbiotisch verbundenes Geschwisterpaar, das sich wechselseitig Kraft geben muss. Nina Hoss’ Dramatikerin – die wohl mal eine „mutige Stimme war, in ihren Texten Tabus gebrochen hat“, aber mit der Diagnose des Bruders verstummt sei – findet zum Schreiben zurück, um Sven am Leben zu halten. Ihm Hoffnung zu geben. Das sei eine Idee, mit der er etwas anfangen könne, sagt Eidinger: „Solange ich noch etwas zu erzählen habe, wird es mich geben.“

Die Vorahnung des Verlustes erzeugt eine besondere Intensität

„Sie müssen lernen, sich zu trennen“, sagen die Regisseurinnen Chuat und Reymond. Die besondere Intensität, auch die Abhängigkeit des Verhältnisses von Lisa und Sven resultiere ja aus der Situation des nahenden Endes, der Vorahnung des Verlustes. „Bevor man jemanden gehen lassen kann, muss man ganz in die Beziehung zu diesem Menschen eintauchen“, beschreibt Stéphanie Chuat, aus eigener Erfahrung: „Meine Mutter hatte Krebs, unser Verhältnis war schwierig. Und ich wusste, mir bleiben nur zehn Monate, um die Dinge zwischen uns ins Reine zu bringen, etwas zu heilen. Damit ich nach ihrem Tod mein Leben leben kann.“ Unter diesem Licht betrachten sie auch „Schwesterlein“.

Vom großen Michel Bouquet, mit dem Chuat und Reymond „La Petite Chambre“ gedreht haben, stammt der Satz: „Ein Schauspieler ist nur dann lebendig, wenn er spielt“. Bouquet stehe auf der Bühne, seit er 17 war, und er spiele immer noch, im Alter von 94, am liebsten wolle er im Theater auch sterben, erzählen die Regisseurinnen.

Eine Sehnsucht, die Lars Eidinger, bei aller unbedingten Liebe zu seinem Beruf, dann doch nicht teilt. „Ich war auf der Beerdigung von Gert Voss, den ich über alles verehrt habe“, erinnert er sich. „Der wurde ja tot aus dem Burgtheater getragen“. Und da habe er sich, ganz ehrlich, gedacht: „Vielleicht möchte ich doch lieber aus meiner Haustür getragen werden, als aus der Schaubühne“.

Aber sich überhaupt diesen letzten Fragen widmen und mit ihnen das Leben anders betrachten zu können, das sei natürlich das Privileg der Kunst und des Schauspieler-Berufs, findet Eidinger. Mit einem Film wie „Schwesterlein“, der sich den großen Themen stellt, „Sterben, Verlust, Hoffnung, Kraft“, wie Nina Hoss es auf den Punkt bringt. Chuat und Reymond fällt dazu ein Zitat von Patrice Chéreau ein, das ihnen immer gefallen hat: „Das Spiel hält den Tod auf Distanz“.
24.2., 18.15 Uhr (Berlinale Palast), 25.2., 9.30 Uhr (HdBF) und 13 Uhr (Friedrichstadtpalast), 1.3., 12 Uhr (FSP)

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