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© Yannic Borchert

Von Zwölfton bis Tango: Jüdische Komponistinnen der Goldenen Zwanziger

Ein inszeniertes Konzert im Babylon erinnert an fünf sehr unterschiedliche Komponistinnen, deren Weg ins Repertoire schon viel zu lange dauert.

Von Eleonore Büning

Die Kino-Orgel im Babylon dröhnt volles Rohr. Ein Mix aus Swing und Chachacha stimmt das Publikum ein, das leicht verspätet hereinschlendert, teils noch das Weinglas in der Hand. Ein Hauch von Goldenen Zwanziger Jahren liegt in der Luft. Das ist just die Dekade, gerade hundert Jahre her, in der die fünf jüdischer Frauen, derer in diesem szenischen Konzert gedacht werden soll, noch jung waren: Kinder oder Jugendliche, je nachdem.

Sie heißen: Ursula Mamlok, Maria Herz, Vally Weigl, Hilde Loewe-Flatter und Carla Boehl. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Komponistinnen waren und es schwer hatten, sich in diesem Männerberuf durchzusetzen. Sie alle teilten auch das Migrantenschicksal derer, die früher oder später auf der Flucht vor antisemitischer Verfolgung ins Exil gingen.

Immerhin, persönlich hatten sie das Glück, nicht ermordet zu werden. Aber tiefe Schrunden gibt es in all diesen Biographien, zwischen Aufbegehren und Resignation. Die eine schlug sich mit Klavierunterricht durch, die andere komponierte für den Film, die dritte studierte Zwölftonmusik, die vierte gab auf. Zwei sind inzwischen wieder halbwegs anerkannt, man findet sie auch in der segensreichen und empfehlenswerten, von der Musikwissenschaftlerin Beatrix Borchard initiierten Hamburger Datenbank MUGI (=Musik und Gender im Internet): Mamlok und Weigl.

„Späte Rückkehr“

Gleich zu Beginn wird in einer Google-Maps-Projektion, während Mamloks bläserintensive Kammermusik „Concertino“ erklingt, vorgeführt, was seit Anfang dieses Jahres jeder Berlinbesucher besichtigen kann: Es gibt in Berlin-Schönberg einen Ursula-Mamlok-Park. Im Repertoire angekommen sind ihre Werke deshalb noch lange nicht. Eine Komponistin (Loewe-Flatter) publizierte unter einem Männer-Pseudonym. Von einer anderen (Boehl) weiß man bis heute nicht viel mehr als nur den Namen.

„Späte Rückkehr“ hat die Junge Norddeutsche Philharmonie e.V. dieses abenteuerliche Projekt genannt. Ein Wagnis ist es, weil es sich gleich mit mehreren großen Fragen befasst. Es geht ums Gendern und um Rassismus. Es geht um die Geschäftsgebaren der Unterhaltungsmusik und um die Borniertheiten der klassischen Musik.

Das geht sich nicht immer glatt aus. Zündende Regie-Ideen versickern in subtiler Andeutung. Einmal, zum Beispiel, steht, während ein Streichquintett das elegisch-charmante „Adagietto for Strings“ von Vally Weigl darbietet, auf der Videoleinwand stur und unverrückt die Frage zu lesen: „Wieviele Komponistinnen kennst du?“ Man fragt sich erstens, was soll das. Und zweitens, warum bleibt das Orchester sitzen dabei, wie ein Schutzwall rund ums Quintett herum? Bis man sich erinnert, dass exakt diese Frage vor einiger Zeit provozierend den Berliner Philharmonikern gestellt worden war. Symbolisch-rhetorisch ist das Orchester der Adressat einer unbeantworteten Frage. War es also gemeint?

Schlager folgt auf Zwölfton. Politik auf intime Briefe. Schülertheaterpatzer auf professionellen Posaunenchor. Musiziert wird durchwegs engagiert und mit Verve, sowie einem Quäntchen Anmut. Zwei Dirigentinnen – Xiao Zhou und Maria Keller – teilen sich das Programm. Mit eines der bestkomponierten Stücke: die Suite von Maria Herz. Der größte Knaller: der Miss-Germany-Tango von 1930, arrangiert für Orchester. Komponist ist eben nicht Erich Hopp – ihm wurde das zwar jahrzehntelang zugeschrieben. Doch Hopp lieferte nur den Text: „Jede Frau ist schön, wenn man sie küßt usw.“ Wie gut, dass das weggelassen wurde. Die Musik stammt, wie kürzlich herauskam, von Carla Boehl. Wieder ein kleiner Schritt nach vorn auf dem langen Weg der Richtigstellungen.

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