zum Hauptinhalt
Die norwegische Geigerin Vilde Frang beim Konzert in der Philharmonie.

© Foto: Peter Meisel/RSB

Vilde Frang und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: Die Liebe, vom Tod umfangen

Beim Musikfest Berlin präsentiert das RSB unter Vladimir Jurowski Xenakis, Bartók und Mahlers Fünfte. Großartig: die Geigerin Vilde Frang und der Bariton Georg Nigl.

Was für ein beseelter, schlanker, unwiderstehlicher Ton: Die norwegische Geigerin Vilde Frang sorgt gleich mit den ersten Solotakten von Béla Bartóks Violinkonzert Nr. 1 für einen Stimmungsumschwung beim Saisoneröffnungskonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin.

Nach den apokalyptischen Klanggewittern von Iannis Xenakis’ „Aïs“ spinnt sie feine kammermusikalische Fäden, die zunächst von je zwei Streichern aufgenommen werden, bis das gesamte Orchester affiziert ist. Vrang, 36, hat das Talent, scheinbar Unvereinbares zu verbinden: mädchenhafte Anmut und die Autorität einer souveränen, umtriebigen Virtuosin.

Intimität, Überschwang, Wehmut: Der 26-jährige Bartók war unglücklich verliebt in die 19-jährige ungarische Geigerin Stefi Geyer, der er das unvollendete Werk widmete. Das Konzert fand sich erst 1957 in Geyers Nachlass. Vilde Frangs so natürlicher wie passgenauer Einsatz des Vibratos schafft fragile Momente, ohne dass sie sich ins Ziselieren verlöre oder falsche Gefühligkeit aufkommen ließe. Auch bei ihrer Zugabe, der raffinierten Bearbeitung eines norwegischen Volkslieds, legt sie zugleich Wildheit und Zartheit an den Tag.

Eine Liebeserklärung, die vom Tod umfangen ist, von zwei Riesenwerken an diesem fast dreistündigen Abend in der Philharmonie im Rahmen des Musikfests. Beide, Xenakis zu Beginn und Mahlers cis-moll-Symphonie nach der zweiten Pause, steigen in die Unterwelt hinab. Vladimir Jurowski kehrt auch bei Mahlers Fünfter die Härten hervor, zelebriert das Katastrophische mit langsamen Tempi, fordert hohen Geigendruck und Fiebrigkeit beim Adagietto. Ausdruckswille, Ausdruckskraft, manchmal wird es des Unbedingten zu viel. Superb die Fanfaren des Solotrompeters Martin Wagemann (eingesprungen von der Deutschen Oper Berlin), am Ende vom Publikum bejubelt.

„Aïs“ (1980) spielt auf das griechische Wort für Totenreich an. Iannis Xenakis hat morbide Texte von Sappho und aus Homers „Odyssee“ sowie der „Ilias“ vertont, für Bariton, Schlagzeugsolo und sehr großes Orchester - eine Extrem-Komposition. Mit Stimmgabel am Ohr flüstert und schreit der Sänger Georg Nigl gegen die Soundungetüme, Glissando-Sturzbäche und Trommel-Infernos des griechischen Tonsetzers, Architekten und Corbusier-Schülers an, katapultiert seine Stimme in himmelhohes Fassett und lässt sie im nächsten Moment kontrabasstief raunen.

Nigls Furchtlosigkeit, wenn er es mit dem Perkussionisten Dirk Rothbrust, dessen sechs Schlagzeug-Kollegen und dem wütenden Orchesterapparat aufnimmt, sucht Ihresgleichen. Da trotzt einer der todesmutigen, radikal entgrenzten Musik und teilt seine Qual, seinen Schmerz mit der ganzen Welt.

Ein lauter, ungestümer Abend,, wir leben ja auch in ungestümen Zeiten. Vilde Frangs Geige hat Erbarmen mit uns. Am 18. Dezember tritt die Norwegerin wieder in der Philharmonie auf, mit dem DSO und Edward Elgars Violinkonzert. Hingehen!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false