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Kultur: Vier Farben Weiß

Meister der kommunizierenden Röhren: der Lichtkünstler Dan Flavin in London

Von Patricia Wolf

Leuchtstoffröhre trifft Betonklotz. Zusammengenommen ergibt das die gegenwärtig aufregendste Ausstellung in London. Gleich am Eingang stößt man auf einen hüfthohen Zaun aus grün leuchtenden Lichtröhren: eine Barriere, die den Raum teilt, ihn zugleich aber mit flirrendem, giftig-grünem Licht durchflutet. Der Betrachter wird zum Beteiligten: Er sieht förmlich das Blut durch die eigenen Adern pulsieren, die Sommersprossen der Begleiterin erscheinen lila. Verweilt man ein wenig vor der Installation, wird man allerdings stutzig und fragt sich, ob man einer Sinnestäuschung erlegen ist, denn die Röhren selbst erscheinen nun weiß. Wo ist das Grün geblieben?

Die am Themseufer gelegene Hayward Gallery, eine Ikone der Sechziger-JahreBetonarchitektur, zeigt mit über 50 Arbeiten die umfangreichste Retrospektive des amerikanischen Künstlers Dan Flavin in Europa nach dessen Tod vor 10 Jahren. Flavin, dessen märchenhaft blau und grün leuchtende Lichtinstallation den Hamburger Bahnhof in Berlin nachts illuminiert, hatte seine erste Einzelausstellung in Europa 1966 in einer Kölner Galerie. 1996 starb er im Alter von 63 Jahren in Riverhead, N.Y.

Die raumgreifendste Arbeit der Ausstellung, die grüne Barriere von 1973, vereint die Themen, die Flavins gesamtes Werk bestimmen: das Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters ebenso wie mit Gegensätzen, Vergänglichkeit und der Beziehung zwischen Kunstwerk und Umgebung. Flavin zeigt uns ein technisches Erzeugnis, das er durch den Akt des Ausstellens in den Rang eines Kunstwerks von betörender Intensität erhebt. Dazu benutzt er profane Leuchtstoffröhren – ein Material, mit dem man kaum Begriffe wie Schönheit, Kontemplation oder Sinnlichkeit assoziieren würde.

An einem Frühlingstag 1963 hatte Flavin eine Erleuchtung: Er nahm eine gelbe Leuchtstoffröhre und brachte sie an der Wand seines Studios an, als Diagonale im 45-Grad-Winkel. Ohne konventionellen Rahmen und Sockel – ein radikaler Akt. Dieses Werk, das seinen Durchbruch markiert, nannte er „the diagonal of May 25, 1963“ und widmete es Constantin Brancusi, dem großen rumänischen Bildhauer. Und wie Brancusi sein Thema in endlosen Variationen wiederholte, arbeitete Flavin ab jetzt ausschließlich mit fluoreszierenden Röhren. Dabei benutzte er stets industriell gefertigte Leuchten in den Standardmaßen von 2, 4, 6 und 8 Fuß. Die Farbpalette umfasste zehn Töne, vier davon weiß: Tageslicht sowie kühles, warmes und weiches Weiß.

Wegen seiner Verwendung des industriell hergestellten Materials und dessen serieller Anordnung gilt Flavin als Mitbegründer der Minimal Art. Dabei lehnte er diese Zuschreibung ausdrücklich ab. Auch verwahrte er sich gegen die Bezeichnung seiner Werke als Skulpturen – lieber sah er sich als Techniker und zog es vor, seine Installationen als situationsbezogene Kunst zu bezeichnen. Denn in dem Maße, in dem sich Farben und Formen im Lauf des Tages wandeln, strukturieren und verändern sie den sie umgebenden Raum. Zugleich wird der Betrachter Teil des Prozesses, nicht zuletzt, weil sich auch sein Erscheinungsbild verändert – alles kommunizierende Röhren!

Das Spiel mit der Wahrnehmung von Perspektive und Farbe zeigt sich besonders eindrücklich in einer Arbeit von 1973. „Ohne Titel – für Jan und Ron Greenberg“ ist ein Korridor, in dessen Mitte sich eine Art Vorhang aus vertikalen Röhren befindet. Auf der einen Seite des Korridors strahlen sie grün, auf der anderen Seite gelb. Durch einen Spalt neben der Röhrenwand scheint die Farbe der anderen Seite durch. Mit erstaunlichen Effekten: auf der gelben Seite ergibt das ein von Türkis nach Smaragd changierendes Grün. Neben der grünen Wand, die allmählich zu verblassen scheint, erhebt sich ein Lichtstreifen aus sattem Orange. Gleich daneben eine weitere irritierende Arbeit: ein von weißen Leuchtkörpern erhellter Durchgang. Beim Durchschreiten erscheint dieser Korridor weiß, blickt man zurück, ist er überraschend in zartrosafarbenes Licht getaucht. Sehen – nur eine Illusion?

Zart und doch kraftvoll wirkt eine Arbeit aus den Jahren 1966-68. Fast ein Quadrat – eines von Flavins bevorzugten Formaten: Zwei weiße Röhren überspannen eine Ecke, bilden einen hell leuchtenden Rahmen. Verbunden werden sie auf beiden Seiten durch je eine vertikale Leuchte, die nur nach hinten abstrahlt – rosa und gelb. So ergibt sich ein zauberhaftes Apricot, eine Stimmung, als ob die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen über den Ort werfen würde. Durch die Rahmen der Leuchtstoffröhren entsteht ein zierlich wirkender, antiker Tempel: Wo könnte man besser über Schönheit und Vergänglichkeit nachsinnen?

London, Hayward Gallery, bis 2. April. Ende 2006 kommt die Ausstellung auf Europa-Tournee nach München.

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