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Zwischen den Fronten. Die schwer beschädigte Umayyaden-Moschee in Aleppo, eine der ältesten der Welt, wurde um 715 n. Chr. errichtet. Auf das Gotteshaus nehmen weder die syrische Armee noch die Rebellen Rücksicht. Foto: AFP/Tauseef Mustafa

© AFP

Weltkulturerbe: Viel Ehr’, viel Feind

Der Titel ist überall begehrt. Aber er schützt nicht vor Bomben und Granaten. Seit 40 Jahren gibt es das Welterbe-Programm der Unesco. Ein Grund zum Feiern?

Kultur wird immer häufiger zum Spielball weltpolitischer Konflikte. Als Palästina vor einem Jahr in die Unesco aufgenommen wurde – anders als für die UnoVollversammlung reicht dort eine qualifizierte Mehrheit –, stornierten die USA wie angekündigt ihre Zahlungen, immerhin 22 Prozent des Gesamtbudgets der „Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur“. Auch Israel zahlt nicht mehr; mittlerweile fehlen im zweiten Jahr des Zahlungsverzugs 144 Millionen Dollar.

Nun entfällt nur ein winziger Teil des ohnehin schmalen Unesco-Budgets auf das Welterbeprogramm, dessen bescheidener Etat auch nach den Kürzungen bei rund vier Millionen Dollar stagniert. Das genügt kaum für Feuerwehreinsätze. Zum Vergleich: Allein das vom Bundeskulturstaatsminister aufgelegte Sonderprogramm „Deutsche Welterbestätten“ weist einen Umfang von inzwischen 240 Millionen Euro auf. Dennoch ist die Aufnahme in die Welterbeliste hoch begehrt und zur sichtbarsten Aktivität der in Paris residierenden Unesco herangereift.

Vor 40 Jahren, im November 1972, wurde die Konvention verabschiedet. Zum Jubiläum lassen sich eine Fülle von Erfolgszahlen vermelden. 190 Staaten sind der Konvention mittlerweile beigetreten, mehr als die UN Mitglieder zählen. 962 Eintragungen umfasst die Liste, davon 745 Kulturstätten, 188 Naturstätten und 29 weitere, die zu beiden Kategorien gehören – kulturelles Erbe aus insgesamt 157 Staaten. Hinzu kommt das „immaterielle Erbe“, darunter Volksmusik und -gebräuche. Hierzu werden die Neuaufnahmen Anfang Dezember bekanntgegeben.

Anträge können nur von Nationalstaaten gestellt werden. Sie allein verantworten denn auch den Schutz ihrer Erbstücke und verpflichten sich, für die Einhaltung der Unesco-Auflagen zu sorgen. Kümmert sich ein Staat nicht um seine bedrohten Kultur- oder Naturdenkmale, kann auch die Unesco nichts für sie tun. Jüngstes Beispiel ist Syrien. Hier hat der von den schwer bewaffneten Truppen des Assad-Regimes geführte Bürgerkrieg die Stadt Aleppo aufs Schwerste beschädigt. Die als Welterbe anerkannte Altstadt mit der prachtvollen Umayyaden-Moschee fiel weitgehend dem Granathagel zum Opfer.

„Die Unesco verfügt weder über Armeen noch über viel Geld“, räumt Dieter Offenhäußer, stellvertretender Generalsekretär der Unesco, ein: „Ihre wichtigste Waffe ist das Wort: ihre Expertise und ihr moralisches Gewicht, mit dem sie die Staaten zur friedlichen Zusammenarbeit bewegt.“ Eine Waffe, die in Kriegszeiten schnell stumpf wird.

Das traurigste, berühmteste Beispiel für die Ohnmacht der Weltgemeinschaft ist Afghanistan. Aufgrund der jahrzehntelangen Kriege existierte keine handlungsfähige Staatsmacht mehr, schon gar keine, die sich den Schutz entlegener Örtlichkeiten zur Aufgabe machte. Als das Tal von Bamiyan mit seinen beiden gewaltigen Buddha-Statuen 2003 endlich auf die Unesco-Liste kam, war es bereits zu spät. Zwei Jahre zuvor hatten die fundamentalistischen Taliban die aus den Kalkfelsen herausgehauenen Statuen gesprengt. Jahrelang war die Schutzbedürftigkeit der Statuen angemahnt worden; stattdessen führten die Islamisten mit unverhohlenem Zynismus die Ohnmacht „des Westens“ und seines Kulturverständnisses auf allen Fernsehkanälen vor.

Guter Wille lässt sich auf den Unesco-Tagungen – für gewöhnlich an touristisch reizvollen Orten der Erde – leicht verkünden. Katastrophal wirkt sich der Zerfall von Staaten aus. So verhält es sich nicht nur in Syrien, sondern auch in Mali, wo sich die instabilen Machtverhältnisse nach der im Westen zunächst euphemistisch als „Arabellion“ gefeierten Welle von Umstürzen auf dramatische Weise auswirken. Die radikalislamistischen Rebellen haben in Mali nicht nur den machtlosen Staat faktisch geteilt, sondern vor allem die Kulturstätten der vom Sufismus geprägten Bevölkerung ins Visier genommen. Die im trockenen Wüstenklima üblichen Lehmziegelbauten, einzigartige Grabmäler und Heiligtümer des Volksglaubens, wurden zur leichten Beute für die Bulldozer der Rebellen, vor allem in der Metropole Timbuktu.

Bedroht sind auch die Dokumente einer uralten Wissens- und Schriftkultur auf der geografischen Scheidelinie zwischen Nord- und Zentralafrika, die in Timbuktu aufbewahrt werden: rund 300 000 Handschriften, die zumeist in privaten Bibliotheken, aber auch in dem von Südafrika errichteten Ahmed-Baba-Institut gehütet, restauriert und digitalisiert werden. Ganz ähnlich hat sich in libyschen Städten der Furor eines extrem dogmatischen Islamismus gegen Moscheen und Grabmäler gerichtet, die als Zeugnis vermeintlicher Glaubensabweichungen attackiert werden.

Aber auch in friedlichen Gegenden lässt die Einhaltung der vorgegebenen Schutz- und Pflegemaßnahmen zu wünschen übrig. Ausgerechnet der Musterschüler Bundesrepublik sorgte für negative Schlagzeilen, als Dresden seine verniedlichend „Waldschlösschenbrücke“ genannte Stadtautobahn quer über die Elbe plante. Die als Weltkulturerbe ausgezeichnete Kulturlandschaft Dresdner Elbtal geriet 2006 auf die „Rote Liste“ des bedrohten Erbes. Als Dresden dann ungeachtet aller Einsprüche zu bauen begann, war der schöne Titel 2009 dahin. Seither lebt Deutschland mit dem Makel, neben Oman das einzige Land zu sein, dem ein Welterbe-Titel aberkannt wurde.

Geschadet hat das Dresdner Debakel allerdings weder dem Tourismus noch den übrigen Bestandteilen des Welterbes Mittlere Elbe. Geschadet hat es nur der aufs Autobahnbauen versessenen Stadt, denn von den Welterbe-Millionen des Bundes bekommt Dresden keinen Cent. Eben wegen dieser indirekt dann doch reichlich fließenden Gelder ist die Aufnahme in die Unesco-Liste heute so begehrt und ein Traumziel aller Kommunalpolitiker, dessen Erreichen mit Broschüren und Sonderbriefmarken gefeiert wird. Seit diesem Jahr neu dabei ist das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth.

In anderen Weltgegenden haben von der Unesco geadelte Kulturstätten noch nie einen Cent gesehen, zumal in Staaten, die kaum das Nötigste für ihre Bevölkerung bereitstellen können. Die weltweit ungerechte Ressourcenverteilung spiegelt sich auch in der Unwucht der Liste. Gotische Kathedralen und barocke Schlösser der abendländischen Nationen sind darauf bestens vertreten, Deutschland allein mit 37 Einträgen; Stätten Asiens, Lateinamerikas oder gar Afrikas tauchen hingegen nur vereinzelt auf. Und als 1993 der heilige Berg der Maori, der Vulkan Tongariro, auf Vorschlag Neuseelands anerkannt werden sollte, verwahrten sich einzelne Delegierte gegen die Kategorisierung als Kulturerbe. Solch abendländische Arroganz ist weitgehend Geschichte. „Inzwischen“, so die bei der Unesco für Europa und Nordamerika zuständige Mechthild Rössler, „stehen 70 Kulturlandschaften auf der Welterbeliste“. Wobei Europa und die USA auf der Liste der Baudenkmale nach wie vor allein die Hälfte stellen.

Kultur ist ein Spielball politischer Konflikte. Wie unter einem Brennglas bündelt sich die Problematik des Welterbes derzeit in den palästinensischen Gebieten, bei der Geburtskirche Jesu in Bethlehem. Sie wurde am 1. Juli auf Antrag des Neumitglieds in die Liste aufgenommen – was von den Palästinensern als Meilenstein auf dem Weg zur politischen Souveränität gefeiert wurde. Die christlichen Kirchen, im Alltag über Pflege und Nutzung des Heiligtums heillos zerstritten, zeigten sich einig in der Sorge um die Wallfahrten zu dem Bauwerk, dessen Geschichte bis ins Jahr 335 und Roms Kaiser Konstantin zurückreicht. Mitten in einer chronischen Unruhezone der Weltpolitik gelegen, dient die Geburtskirche als Fanal – und womöglich als Geisel im aktuellen Konflikt mit Israel.

In Zeiten von Terroranschlägen, asymmetrischen und unerklärten Kriegen wie auch von materieller Ausbeutung ist das Unesco-Gütesiegel bisweilen eher Fluch denn Segen. Die Trennlinie ist dünn. 40 Jahre nach der Verabschiedung der Welterbekonvention ist es höchste Zeit, statt quantitativer Ausweitung auf den Kerngedanken zu achten. Was als Welterbe anerkannt sein soll, muss auch wirksam geschützt werden können. Vor Anschlägen wie vor Autobahnbrücken.

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