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Musikdramatiker. Der britische Dirigent Antonio Pappano.

© imago stock&people

Antonio Pappano und die Staatskapelle: Verschüttet im Granatkrater

Überraschend blass: Dirigent Sir Antonio Pappano und die Staatskapelle spielen Brittens War Requiem.

Im neu gewebten Feldgrau zogen die deutschen Soldaten in den Ersten Weltkrieg. Die Farbe, die eigentlich keine ist, weil sie jeden Lichtreiz zu unterdrücken sucht, wurde bis zur Mobilmachung geheim gehalten. Das Zeitalter bunter Uniformen, ihrer rudimentären Individualität, ihrem irrlichternden Glanz inmitten des Tötens, war zu Ende. Der erste industrialisierte Krieg begann in Feldgrau und führte zu unfassbarem Grauen. Benjamin Brittens War Requiem ist ein Meisterwerk in Grau, das die lateinische Totenmesse mit den Gedichten des im Alter von 25 Jahren gefallenen Lyrikers Wilfried Owen verflicht. Erst Freiwilliger, dann verschüttet in Granatkratern, gepackt von Kriegsneurosen und wieder hinausgeschickt, stirbt er eine Woche vor Waffenstillstand im November 1918.

Der Apparat, den Britten für sein War Requiem auffährt, ist gewaltig, auch wenn er seine Gewalttätigkeit höchst kontrolliert einsetzt: Großes Orchester, Kammerensemble, gemischter Chor, Knabenchor, Orgel und drei Gesangssolisten verteilen sich spielend auf den Ebenen der Philharmonie. Man möchte sich aber lieber nicht vorstellen, wie der zweite Abend in der Enge der Staatsoper Unter den Linden klingen mag. Dort spielt die Staatskapelle Berlin die Wiederholung ihres letzten Abokonzerts dieser Saison. Mit Sir Antonio Pappano steht ein ausgewiesener Musikdramatiker auf dem extrahohen Dirigentenpodest. Im Januar war er nach zwölf Jahren wieder zu Gast bei den Berliner Philharmonikern und musste feststellen, wie schwer entflammbar dieses Orchester sein kann. Am Montagabend saß Daniel Barenboim im Publikum, die aufgeschlagene Partitur im Schoß.

Grau sind die Geister, die ruhelosen Toten. Um ihnen ewigen Frieden zu schenken, reicht der Glaube nicht aus. Britten zweifelt an jeder Art von billigem Trost, auch wenn er Mahlers Jenseits-Harfe im „Libera me“ anschlagen lässt. Für echte Pazifisten gibt es kein Ruhekissen. Stockend und stammelnd geht der Puls des War Requiems, Pappano misst ihn umsichtig, hält seine Musikerschar aus Staatskapelle, Staatsopernchor und Kinderchor der Staatsoper beisammen, will niemanden verlieren auf diesem nebelverhangenen Schlachtfeld. Ian Bostridge und Matthias Goerne sind zutiefst vertraut mit den Versen Owens und wissen ihre Wirkung zu bewahren, während sich Anna Nechaeva beeindruckend aus der Chorschar heraus verausgabt. Wenn man aber aus aktuellem Anlass daran denkt, in welchen Farben Simon Rattle mit den Philharmonikern Brittens Grau auszuleuchten wusste, dann klingt Pappanos Lesart überraschend blass.

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