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Die weiße Folter der Isolation. Josef Bartok (Oliver Masucci) vertreibt sich die quälende Langeweile in der Haft mit Schachpartien.

© Julia Terjung/Studiocanal

Verfilmung von Stefan Zweig: In dieser „Schachnovelle“ trifft dunkles Genie auf hellen Wahnsinn

Philipp Stölzl macht aus dem Werk von Stefan Zweig einen doppelbödigen Mystery-Thriller. Er ist durchdrungen von einer morbiden Opulenz.

Ein Ozeandampfer im nebligen Abendlicht, grau in grau drängen sich am Rotterdamer Pier Menschen, die nicht wie Passagiere einer Ferienfahrt aussehen. Ein Paar begegnet sich wie zufällig, der Mann sonderbar verstört, wie von kürzlich erfahrenen Schrecken gezeichnet. Doch bald blendet Philipp Stölzls Verfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ zurück.

Wien, im März 1938. Der Notar und Lebemann Dr. Bartok, in dem man das spätere Gespenst im Hafen von Rotterdam kaum erahnt, schlägt alle Warnungen in den Wind, dass die Machtübernahme Österreichs durch Nazi-Deutschland unmittelbar bevorstehe. Bartok, Verwalter großer Vermögen, deren Besitzer sich den neuen Herren entziehen, tanzt mit seiner Frau noch Walzer auf einem Ball; in derselben Nacht müssen sie fliehen. Bahn- und Schiffstickets liegen schon bereit.

Opulente Bilder zunächst. Bartoks Jugendstilvilla, gesellschaftlicher Prunk in Fräcken und Roben, das Bartok-Paar fährt im chromblitzenden Benz durch die Wiener Innenstadt, bedrängt von Nazihorden. Fährt zum Walzer auf dem Vulkan. Wenig später drängt auch Bartok seine Frau zur nächtlichen Abreise, versucht selbst noch in seinem Büro, Papiere mit Kontonummern zu verbrennen.

„Die Welt von gestern“ – so hieß das 1942 posthum erschienene Erinnerungsbuch des Wieners Stefan Zweig. Ein Rest jener Welt scheint noch auf im funkelnden Foyer des Luxushotels Metropol. Doch die Gestapo hat das Haus übernommen und quartiert den festgenommenen Bartok in einem fast licht- und luftlosen Innenhofzimmer ein. Zu dem Mann in seinem Ball-Frack dringt nicht mehr als die Schreie Gefolterter. Während er zwischen den Verhören nur die „weiße Folter“ der Isolation erfährt: ohne Bücher und Nachrichten von außen, ohne Stift oder Papier. Eingeschlossen in Angst und marternder Langeweile.

Vor fünf Jahren ist Maria Schrader mit ihrem stillen Film „Vor der Morgenröte“ eine feinsinnige, ganz eigenständige Annäherung an die letzten Jahre, Tage und Stunden des vor den Nazis in die USA und dann nach Brasilien geflohenen Stefan Zweig geglückt. Jetzt, in seiner wuchtigen, von der Dämmerung einer Epoche zunehmend in Nacht- und Nebelbilder getauchten Version der „Schachnovelle“, sucht Philipp Stölzl den freien Umgang mit Zweigs letzter Erzählung.

Schon die Entstehung der Novelle glich einem Roman. Zweig und seine Frau fuhren im Sommer 1941 mit dem Schiff von New York nach Rio de Janeiro. Auf See kommt dem jüdischen Emigranten die Idee einer doppelten Spiegelung: Der Ich-Erzähler, Zweigs Alter Ego, begegnet auf ebenjener Route einem Emigranten aus Wien. Dieser Dr. B. hat seine monatelange Gestapo-Haft nur mit einem Trick überlebt: durch Selbstbeschäftigung beim Nachspielen von Schachpartien im eigenen Kopf, die schizoide Aufspaltung in zwei schattenhafte Ichs. Schwarz und Weiß.

Das bringt ihn an den Rand des Wahnsinns, doch es hilft, in den Verhören über die ihm anvertrauten Vermögen zu schweigen. Der Gefangene wird schließlich wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit entlassen und kann nach Amerika entkommen.

[Ab Donnerstag in den Kinos]

Vor 80 Jahren, im September 1941, an seinem ersten Tag im brasilianischen Städtchen Petrópolis, dem letzten Wohnort, berichtet Zweig erstmals von dieser geplanten „Schachnovelle“. Am 21. Februar 1942 schickt er drei Typoskripte des eben vollendeten Textes an seine Verlage, spielt am nächsten Abend mit einem Freund und Berater in Schachfragen noch zwei (von ihm verlorene) Partien. Und in derselben Nacht bringt sich der depressive, unter den Nachrichten der frühen faschistischen Kriegsgewinne leidende Autor mit seiner Ehefrau um. Ein König fällt und mit ihm die Dame. Aber die „Schachnovelle“ wird ein Welterfolg.

Eine Geschichte auf doppeltem Boden

Dr. B. heißt nun Josef Bartok. Wobei der Vorname auf Kafkas Helden Josef K. verweist, Philipp Stölzl sieht in dem Stoff einen „kafkaesken“ Mystery-Thriller. Zusammen mit dem lettischen Autor Eldar Grigorian bricht er Zweigs formal eher schematische Geschichte dramaturgisch geschickt auf. Bartok begegnet auf dem Schiff noch dem mitreisenden Schachweltmeister, der es vom slawischen Bauernkind als Analphabet zum Champion gebracht hat. Die Rahmengeschichte des Ich-Erzählers lässt der Film weg, deutet den von Zweig ausführlich beschriebenen Werdegang des bäurischen Weltmeisters bloß an und schildert das Geschehen allein durch Bartoks Augen.

Das Ingeniöse dieser zweiten Verfilmung, nach einem heute altbacken wirkenden Versuch mit Curd Jürgens, Hansjörg Felmy und Mario Adorf aus den 1960er Jahren, ist der Umschlag einer vermeintlichen Realität ins wahrhaft Irreale. Trotz kleiner Irritationen schon anfangs im Hafen von Rotterdam, glaubt man lange an eine wirkliche Flucht des Ehepaars B.

Erst als Anna Bartok in Gestalt der zwischen Zartheit und Resolutheit schön changierenden Birgit Minichmayr wie in Hitchcocks „The Lady Vanishes“ verschwindet, ahnt man den doppelten Boden. Doch Oliver Masucci als Bartok verrät in seiner wachsenden Schwermut nie vorschnell den eigenen Wahn. Wie beim Schach ohne Brett und Figuren geschieht alles nur in seinem Kopf.

Dunkles Genie trifft auf hellen Wahnsinn

Der Ozeandampfer mit seiner bizarren Gesellschaft verwandelt sich allmählich in ein Geister- und Narrenschiff. Rolf Lassgård als reicher Spieler, der Bartok in ein fatales Duell mit dem Schachweltmeister lockt, agiert dabei so komödiantisch wie dämonisch: im Machtmenschenstil eines Orson Wells. Und Albrecht Schuch genießt eine Doppelrolle. Bei den Verhören Bartoks ist er als Nazi ein melancholischer Sadist, dazu gibt er im virtuosen Wechsel den zottelbärtigen, elefantiös verkleideten Champion. Dunkles Genie trifft auf hellen Wahnsinn.

Ein Manko nur, dass der Gegeneinanderschnitt der Verhör- und Schachszenen und die in Bartoks Augen analoge Bedrängnis von Schiff und Folterhotel eine gewisse Stereotypie in den Bildern erzeugt. Und dass schon beim ersten Blick auf Wien ein Walzer ertönt und Bartok noch „Solange Wien tanzt, geht die Welt nicht unter“ säuselt, ist halt geschenkt. Stark dagegen die Schlusswendung, nach der Bartok vielleicht doch entkommen ist. Ein Geheimnis, das man hier nicht verraten darf. Zumal man es selbst nicht ganz errät.

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