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Karge Schönheit. Hans Baluschek malte 1895 „Neue Häuser“ am Berliner Stadtrand.

© Stiftung Stadtmuseum Berlin

„Vereinigung der XI“ im 19. Jahrhundert: Als die Berliner Malerei rebellierte

Schock der Moderne: Die „Vereinigung der XI“ verweigerte sich den Konventionen des Kunstbetriebs. Das Bröhan-Museum widmet der ersten deutschen Künstlergruppe eine Schau.

Die „Vereinigung der XI“? Als die erste Künstlergruppe Deutschlands im April 1892 an die Öffentlichkeit trat, rätselte das Berliner Publikum, was es mit dem geheimnisvollen Namen auf sich habe. Die Elf – unteilbar, dazu in römischen Ziffern geschrieben? Das wirkte anmaßend, Misstrauen weckte auch der erklärte Willen der elf Maler, sich vom akademischen Betrieb zu lösen.

Erstaunlicherweise ist die Vereinigung der XI heute fast vergessen, Kunsthistoriker behandeln sie als kurze Episode auf dem Weg zur Berliner Secession. Erstmals honoriert nun eine Ausstellung im Bröhan-Museum die bahnbrechende Rolle der Elf bei der Entwicklung neuer Ausstellungs- und Vermarktungskonzepte. Die beiden Kuratorinnen Sabine Meister und Anna Grosskopf konnten die Anmutung der ersten Ausstellung in Teilen rekonstruieren. Das Museum setzt damit seine spannende Reihe zu den Geburtswehen der Moderne fort (Schlossstraße 1 a, bis 15. September).

Viele Besucher waren schockiert

Die Elf waren keine Umstürzler, aber sie wollten vieles anders machen. Bis dahin glichen die Jahresausstellungen der Akademie einem Schaulauf, bei dem sich viel zu viele Bilder Rahmen an Rahmen drängten. Über die Auswahl entschied das Meinungsmonopol des konservativen Hofmalers und Akademiedirektors Anton von Werner. Als einer der Ersten ergriff der damals 26-jährige Walter Leistikow die Initiative zur Gründung einer unabhängigen Künstlergruppe. Vorbild waren die „Nabis“ in Paris und „Les XX“ in Brüssel. In ihrem Gründungsmanifest verpflichteten sich die elf Berliner Maler, Ausstellungen zu organisieren und die Mitgliederzahl elf nicht zu überschreiten.

Selbstbewusst wählten sie einen Galeristen, den jungen Hermann Schulte, dessen Räume sich im Palais Redern Unter den Linden befanden, in provozierender Nähe zur Akademie am Pariser Platz. Für einen Monat durften die Elf den Oberlichtsaal der Galerie bespielen und erhielten 90 Prozent des Verkaufserlöses. Viele Besucher waren schockiert von dem, was sie sahen. Auf rotbraunem Untergrund hingen rund sechzig Werke in loser Ordnung. Neben noch heute bekannten Größen wie Walter Leistikow und Max Liebermann gehörten auch der Marinemaler Hugo Schnars-Alquist oder Jacob Alberts mit seinen Ölstudien vom Leben auf ostfriesischen Halligen zu den Avantgardisten.

Die Künstler verweigern sich der Repräsentation

Im Gründungsjahr der Elf brodelte es in der Berliner Kulturwelt. Im März 1892 wurde die Aufführung von Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“ verboten. Im Herbst schloss der Verein Bildender Künstler eine Ausstellung mit Werken von Edvard Munch nach Protesten aus den eigenen Reihen. Liebermann kommentierte beide Ereignisse auf seine Weise. Er malte ein Porträt von Hauptmann, in dessen Gesicht die Erschütterungen der Zeit vibrieren. Später präsentierte er ein Bildnis des Lübecker Augenarztes und Kunstsammlers Max Linde, der mit Munch befreundet war. Während Liebermann, der in Deutschland bis dahin wenig Anerkennung gefunden hatte, sich mit seinen Porträts etablieren konnte, wurden andere Künstler von der Kritik vernichtet. Als „poetischen Maler ohne Arme“ beschimpfte ein Rezensent Ludwig von Hofmann, dessen von Feen bevölkerte Idyllen heute kitschig wirken.

Die elf Künstler verweigerten sich der Repräsentation. Stattdessen schufen sie seelische Landschaften, Traumszenen wie Franz Skarbina oder erotische Abgründe wie der Leipziger Max Klinger, der 1894 hinzukam. Der wechselseitige Einfluss spornte zu Experimenten an. Acht Ausstellungen organisierte die Vereinigung, bis zum Schluss wurde ein neues Mitglied nur aufgenommen, wenn jemand ging. So trat Dora Hitz als erste Malerin 1897 bei. Hans Baluschek nahm in der letzten Ausstellung als Gast mit seinem Gemälde „Neue Häuser“ die Kargheit der Neuen Sachlichkeit vorweg.

Die Gruppe brachte eine Lawine ins Rollen

Ein Skandal beendete die Geschichte der Gruppe – oder zumindest der Mythos von einem Skandal. 1898 verbreitete sich das Gerücht, Leistikows „Grunewaldsee“ sei von der Jury der Großen Berliner Kunstausstellung abgelehnt worden. Zwar wurde das Bild wohl doch angenommen, aber Leistikow widersprach der Falschmeldung nicht. Das Missverständnis beflügelte die Gründung der Berliner Secession. Mit ihrem Beharren auf Unabhängigkeit hatte die Gruppe eine Lawine ins Rollen gebracht, 1899 trat sie geschlossen der Secession bei.

Das Geheimnis des Namens war da längst gelüftet. Vereinigung der XI – die römischen Ziffern wählten die Künstler aus ästhetischen Gründen, die Elf war Zufall.

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