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Van Morrison

© picture alliance/dpa

Van Morrison in Berlin: Liebesgrüße vom Griesgram

Van Morrison gibt in der Mercedes-Benz-Arena ein Konzert, das mehr Jazz als Blues ist. Die Fans feiern ihn trotzdem.

Es ist altgedienten Musikern hoch anzurechnen, wenn sie live nicht nur ihre Greatest Hits, sondern auch unbekanntes und neues Material spielen. Im Falle Van Morrisons hätten es in der Mercedes-Benz-Arena durchaus ein paar Klassiker mehr sein können: Mehr als 50 Jahre mit 40 Alben umfasst die Karriere des Nordiren, die Auswahl ist groß. Doch er konzentriert sich auf die letzten 30 Jahre, die nicht schlecht, aber auch nicht die spannendsten seiner Laufbahn waren. Immerhin ist Morrison an diesem Abend gut aufgelegt – für seine Verhältnisse. Der notorische Griesgram bestreitet das komplette Konzert mit Hut, Sonnenbrille und Anzug, macht keine Ansagen, lässt nur hin und wieder ein „Danke“ fallen.

Der Romantiker kommt zur Ruhe

„Let’s get lost“ gibt die Richtung vor: Es wird ein Jazzkonzert, passend zum 2018 erschienenen Album „The Prophet Speaks“. Anders, als der Titel suggeriert, erlebt man nicht den Naturbeschwörer, der auf seinen Klassikern „Astral Weeks“ und „Into the Music“ Folk, Jazz und Soul spirituell vereinte. Der späte Morrison zeigt sich als Romantiker, der in seiner Musik zur Ruhe gekommen zu sein scheint. Auch wenn die Stimme des 73-Jährigen weicher geworden ist – gewaltig ist sie noch immer. Er croont, wispert, dröhnt, wimmert, scattet sich durch alle Genres, bei einigen Bluesnummern meint man, Muddy Waters stehe auf der Bühne.

Bei „Moondance“ und „Magic time“ schwimmt sich der Meister stimmlich frei. Er singt seine Songs nicht bloß, er lebt sie. Etwas bricht aus ihm heraus, und er gibt ihm Gestalt. Auch die schunkeligen Nummern, von denen es einige gibt, werden durch seinen Gesang vor der Beliebigkeit gerettet. Nicht nur durch seinen: Backgroundsängerin Dana Masters ist ein hervorragender Gegenpart zur Stimmgewalt des Bandleaders, die Duette zwischen den beiden gehören zu den großen Momenten des Konzerts.

Der Sänger verliert sich in seiner Stimme

Der eigentliche Höhepunkt ist jedoch „In The Afternoon“. Die sechsköpfige Band verstummt beinahe, während sich Morrison fast zehn Minuten lang in seine Stimme verliert. Bis zum letzten Ton schafft es der hypnotische Geschichtenerzähler, die Spannung zu halten. Solche Momente zeigen, welche Klasse Morrison noch immer besitzt. In seinen jüngsten Veröffentlichungen ist davon wenig zu spüren. Seit 2016 sind fünf Alben erschienen, alle geschmackvoll, keines zwingend. Das große Spätwerk lässt auf sich warten. Vielleicht reift es, wenn Morrison die Schlagzahl verringert.

Bei "Gloria" tanzt der ganze Saal

Kurz vor Schluss gibt es doch noch den Trip in die Vergangenheit. „Brown Eyed Girl“ ist fast nicht wiederzuerkennen, im Gegensatz zum Them-Hit „Gloria“, der zum abschließenden Triumph gerät. Der ganze Saal steht, es wird getanzt, im Refrain übertönt das Publikum Morrison fast. Der hat keine Lust, sich feiern zu lassen, verbeugt sich kurz und geht mit dem Mikro in der Hand singend von der Bühne, während seine Band noch ein paar große Soli spielt. Wie wäre das wohl gewesen, wenn er mit dieser Begleitung und dieser gut gealterten Stimme noch Großtaten wie „Cyprus Avenue“ oder „Domino“ als Zugabe gespielt hätte? So bleibt am Ende das Gefühl: Da ginge noch mehr, live wie im Studio.

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