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Ein musikalisch überraschend gleichrangiges Paar. Uschi Brüning (hinten) und Susanne Betancor singen Jazz-Songs.

© C. Fenzl

Uschi Brüning und Susanne Betancor: Duett aus Ost und West

Uschi Brüning ist der Star des DDR-Jazz. Zusammen mit Liedermacherin Susanne Betancor nimmt sie jetzt ein Live-Album mit eingedeutschen Standards auf.

Montagabend in Köpenick. Handwerker auf dem Nachhauseweg bevölkern die Straßenbahn in Richtung Wendenschloß. „Gibt’s hier wirklich ein Schloss?“ fragt eine Dame mit Blick auf die fast erreichte Endhaltestelle. Das nicht, aber dafür den in einer Villa direkt am Wasser angesiedelten Kiezklub im Haus der Begegnung. Der hat heute Speakeasy-Funktion. Oben, in dem Saal, wo sonst allwöchentlich das Kiezorchester Wendenschloß probt, sind außer Instrumenten auch Profi-Equipment und eine Videokamera aufgebaut.

Neulich erst hat Uschi Brüning mit ihrem Billie-Holiday-Programm in der Elbphilharmonie in Hamburg gastiert. Jetzt gibt sie gemeinsam mit Kollegin Susanne Betancor ein Wohnzimmerkonzert für das Laienorchester ihrer alten Freundin Margit Nagorsnik. Es ist zugleich Videosession und Generalprobe für das Konzert am kommenden Sonntag in der Bar jeder Vernunft. Da nehmen die eher frisch gebackenen Freundinnen Uschi Brüning und Susanne Betancor ein Live- Album auf. Jazzstandards verdeutscht ist das musikalische Thema ihres Programms „Ich mein Dich“.

Beide aus abgehängten Gegenden

Brüning und Betancor – das ist ein Duo, das von der Weltgeschichte nie vorgesehen war. Uschi Brüning, Jahrgang 1947, ist die Heroine des DDR-Jazz. Ihr langjähriger Bühnenpartner Manfred Krug schwärmte ebenso von ihrer Stimme, wie Ulrich Plenzdorf, der der damaligen Sängerin der Klaus-Lenz-Band in „Die neuen Leiden des jungen W.“ ein Denkmal setzte.

„Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt. Ich glaube, sie ist nicht schlechter als Ella Fitzgerald“, lässt der Schriftsteller seinen Helden Edgar Wibeau sagen. Ein auch in Brünings Autobiografie „So wie ich“ nachzulesendes Zitat, das der in der Messestadt geborenen Tochter einer Kaltmamsell immer wieder den Ehrentitel „Ella Fitzgerald aus Leipzig“ einbringt.

„Wir kommen beide aus abgehängten Gegenden“, scherzt Susanne Betancor, um zu erklären, warum Brüning und sie sich als Bühnenpartnerinnen mit Ost- und West-Prägung so gut verstehen. Die Musikerin, Texterin, Komponistin und Kabarettistin, Jahrgang 1964, wurde in Essen geboren und hat in Berlin eine 25 Jahre währende, vielfach preisgekrönte Kleinkunstkarriere als Popette hingelegt. Die dann 2015 beendet und zwischenzeitlich ein Studium für zeitgenössische Komposition in Luzern absolviert.

Ein für Zwei eingerichtetes Programm

Brüning habe sie zurück auf die Bühne und aus der Unterhaltungsfalle gelockt, erzählt Susanne Betancor. Ihre Stimme lappe mehr ins Ironische. „Uschis Stimme gibt meinen Texten Tiefe.“ Ursprünglich hatte sie nur Künstler gesucht, die ihre Lieder singen wollen und auf Vermittlung des Jazz-Schlagzeugers Michael Griener dann 2017 Uschi Brüning kennen gelernt.

Griener hat viel mit Uschi Brünings Mann, dem Saxofonisten Ernst-Ludwig Petrowsky gespielt, dem Brüning in ihrer Biografie nebenbei ein Denkmal als Ur-Freejazzer des Ostens errichtet. Dank gegenseitigen Gefallens wurde aus dem Kontakt dann ein ganzes, für Zwei eingerichtetes Programm.

Tatsächlich haben die verspielten Texte und reduzierten Arrangements von „Ich mein Dich“ wenig mit populären Eindeutsch-Projekten wie Stefan Gwildis’ Deutschsoul zu tun. Das liegt auch an Christian von der Goltz am Klavier und Martin Klingeberg an Trompete und Euphonium, die die phrasierenden und scattenden Ladies in Köpenick so lyrisch wie kontrapunktisch begleiten.

Jazzstandards verdeutscht

Ob „Ornithology“ von Charlie Parker, Miles Davis’ „All Blues“ oder die Titelnummer „I Mean You“ von Thelonious Monk – in Betancors und Brünings Interpretation bekommen die nunmehr betexteten einstigen Instrumentals eine mal kuriose, mal poetische Frischzellenkur verpasst. Die ernsthafte Brüning und die schalkhafte Betancor, sie sind ein herzliches, heute generalprobenhaft wuschiges und musikalisch überraschend gleichrangiges Paar.

Amüsant auch deshalb, weil Betancor ihren Plan, als einstige Komödiantin dem Unterhaltungsdruck zu entsagen, dann doch immer wieder sausen lässt und „Ursula“ charmante Moderationen widmet: „Bei Uschi Brüning wird jeder Buchstabe zum Alphabet.“

Dass die so umworbene am liebsten solo auf der Bühne steht, hat sie zugunsten von Betancors Eindeutschungen zeitweilig beiseite gestellt. Sicher habe auch sie ihr Leben lang der These angehangen, dass Deutsch eine sperrige Gesangssprache sei, erzählt sie vor der Show. Doch Betancors um die Ecke gedachten Texte hätten sie überzeugt. „Jetzt muss ich zum ersten Mal in meiner Muttersprache Farbe bekennen.“ Die zum Klingen zu bringen, wolle nicht nur gelernt, sondern müsse auch empfunden werden. Und zwar besser gemeinsam mit der Autorin und nicht allein auf der Bühne.

Die sonst so introvertierte Uschi Brüning wirkt amüsiert und gelöst. Auch wenn es den Schmerz nicht mildert, dass ihr Partner in Musik und Leben – „Luten“ Petrowsky – inzwischen zu gebrechlich ist, um aufzutreten. Brüning selbst ist seit 50 Jahren im Geschäft, tourt mit mehreren Programmen und freut sich über die Resonanz auf ihre gemeinsam mit Krista Maria Schädlich verfasste Biografie.

Ein Schlaglicht auf DDR-Jazz

„So wie ich“ hat ein neues Schlaglicht auf die Nischenexistenz des zuerst als dekadent und westlich verfemten und schließlich mit einer gewissen Narrenfreiheit ausgestatteten DDR-Jazz gelenkt. Die Besprechungen sind freundlich. Und die Tatsache, dass Brüning sich als „Reisekader“ einen privilegierten Status ersungen hat und Ernst-Ludwig Petrowsky gar zehn Jahre Mitglied der in aller Welt konzertierenden Big Band des Schweizers und langjährigen Berliner Jazzfest-Leiters George Gruntz war, weckt 30 Jahre nach Mauerfall Interesse statt Neid oder Häme.

[Uschi Brüning: „So wie ich“. Ullstein Verlag, 280 Seiten, 20 €]

Auch Brüning beschämtes Geständnis, den legendären Künstlerprotestbrief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 erst unterschrieben und dann die Unterschrift auf Stasi-Druck hin wieder zurückgenommen zu haben, löst inzwischen eher Verständnis für individuelle Gewissensnöte in totalitären Systemen aus. Zumal Brüning in ihren weder das Musikgeschäft noch die DDR beschönigenden Erinnerungen selbstkritisch mit sich ins Gericht geht.

Sie habe sich in den vierzig dort verbrachten Jahren zu sehr in der DDR eingerichtet, schreibt sie. Habe allzu angepasst gelebt, während andere ihre Existenz, ja sogar ihre Freiheit riskierten. Aber: „Ich habe mich nie angebiedert, war kein Liebling der Kulturbürokraten, wurde nicht von den DDR-Medien getragen und gemacht.“ Übrigens auch nicht von den männlichen Kollegen, die von den Bandleadern Klaus Lenz und Günther Fischer bis hin zum Bühnenpartner Manfred Krug ihren Geschichten nach gewaltige Platzhirsche waren.

Uschi Brüning lacht, nickt und glaubt, dass junge Sängerinnen heute einen selbstbewussteren Stand in der Band-Hierarchie haben. „Mir fehlten immer die Ellenbogen.“

Ihr Erweckungserlebnis in Sachen improvisierter Musik war übrigens ein Konzert von Louis Armstrong 1965 in Leipzig. Der Abend elektrisiert sie und „bläst das Grau des DDR-Alltags weg“. Sie weint vor Glück und Ergriffenheit und ist von Stund an vom Jazz infiziert. Obwohl sie zuerst Schlager singt, bevor sie 1970 Berufssängerin wird. „Der Jazz hat meine Kruste aufgebrochen.“ Er ließ sie auch als Künstlerin sein, wie sie ist. Keine Mätzchen, nur Mikro, Brille, Hose und Stimme. Ein bisschen Blödeln, wie mit Susanne Betancor, das ist Uschi Brünings Maximum in Sachen Bühnenshow.
[So 19. & 1., 19 Uhr, Bar jeder Vernunft + Sa 1.& 2., 20 Uhr, Ratskeller Köpenick]

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