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Iossif Kobson (rechts) singt im Oktober 2014 mit dem Separtistenführer Alexander Sachartschenko.

© Mikhail Pochuyev/TASS/Imago

Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch (12): Unterwegs zum Konzert von Kobson

Der ukrainische Autor und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Wie er von hier aus den Krieg in der Ukraine verfolgt, schreibt er in diesem Tagebuch.

22. März 2022
Knapp dreieinhalb Jahre nach seinem Tod ist der „russische Frank Sinatra“ Iossif Kobson zu einem beliebten Meme-Thema auf ukrainischen Social-Media-Accounts geworden. Warum?

Kobson kam 1937 in einer jüdischen Familie im Donbass zur Welt. In den Sechzigern ist er mit seinem Repertoire, das hauptsächlich aus sowjetischen Propagandaschlagern bestand, zum Superstar aufgestiegen und war dann jahrzehntelang omnipräsent. Versuche ich, mich an seinen größten Hit zu erinnern, so muss ich sofort an den Song mit dem Titel: „Zur sonnigen Welt – Ja! Ja! Ja! Zur Atomexplosion – Nein! Nein! Nein!“ aus den frühen Achtzigern denken, der damals auf Dauerschleife im Fernsehen und Rundfunk lief. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb Kobson ein erfolgreicher, ewig tourender Nostalgie-Act – und seit 1997 auch ein Abgeordneter der Duma.

Der Sänger bekam Einreiseverbot in der Ukraine

2014 hat er zuerst die russische Okkupation der Krim befürwortet und dann die Gründung der sogenannten Donezker und Lugansker Volksrepubliken enthusiastisch begrüßt. Die Ukrainer waren empört, schließlich galt Kobson als großer Freund ihres Landes, der immer stolz auf seine Herkunft war und oft ukrainische Lieder gesungen hatte. In diesen für die Ukraine bitteren Monaten war es zwar nicht der einzige, aber doch ein Verrat.

Iossif Kobson blieb konsequent bei seinen neuen politischen Sympathien, selbst nachdem er Einreiseverbot für die Ukraine und Lettland erhielt und auf Sanktionslisten landete – umso mehr Auszeichnungen bekam er dann von den Separatisten. Mit einem ihrer Anführer, Alexander Sachartschenko, ließ er sich gern blicken und fotografieren, die beiden haben sogar bei Kobsons Konzerten in Donezk zusammen gesungen.

Am 30. August 2018 erlag Kobson einem Krebsleiden. Nur einen Tag später folgte ihm Sachartschenko, der bei einem Bombenanschlag in einem Donezker Restaurant ums Leben kam. Ein ukrainischer Blogger kommentierte: „Herr Sachartschenko muss wohl zum Konzert von seinem Lieblingssänger Kobson geeilt sein“.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

In die jüngste Geschichte der Ukraine ging Kobson als Feind und Verräter ein. Und seit dem Beginn der neuen Kriegseskalation vor vier Wochen erinnert man sich plötzlich an ihn. In zahlreichen neuen Memes ist das #KonzertvonKobson nun wieder ein Thema. Um die Musik geht es hier natürlich nicht, das Konzert von Kobson bedeutet im Jahr 2022 eigentlich nur noch eins – die Hölle. Und es ist erstaunlich, wie viel kreativer Content zum Thema gerade produziert wird.

Fake-Plakat, auf dem Kobson in den Mund gelegt wird: “Russischer Soldat, ich hoffe, Dich bei meinen Konzerten in Charkiw, Sumy, Mariupol sowie in anderen Städten der Ukraine bald zu begrüßen!”
Fake-Plakat, auf dem Kobson in den Mund gelegt wird: “Russischer Soldat, ich hoffe, Dich bei meinen Konzerten in Charkiw, Sumy, Mariupol sowie in anderen Städten der Ukraine bald zu begrüßen!”

© Facebook

Sobald die ersten Nachricht über Verluste der russischen Armee auftauchten, wurde das Meme „Immer mehr russische Soldaten auf ihrem Weg zum #KonzertvonKobson“ generiert. Der intensive Putin-Hass der Ukrainer transformierte sich in ein oft geteiltes Bild, auf dem Kobson und Sachartschenko den Präsidenten Russlands anrufen, um mitzuteilen, dass sie für ihn bereits eine Eintrittskarte fürs #KonzertvonKobson hinterlegt haben.

Es werden digitale Fake-Tourplakate fleißig entworfen und geteilt – mit dem lächelnden Kobson und seiner Ansprache: „Russischer Soldat, ich hoffe, Dich bald bei meinen Konzerten in Charkiw, Sumy, Mariupol sowie in anderen Städten der Ukraine zu begrüßen!“

Populäres Meme: alle Wege führen nach Tschornobajiwka.
Populäres Meme: alle Wege führen nach Tschornobajiwka.

© Facebook

Weitere populäre Kriegsmemes der letzten Wochen beziehen sich auf das Dorf Tschornobajiwka bei Cherson, wo die russische Armee gestern bereits zum achten Mal eine Niederlage erlitt. Gern geteilt wird eine aktualisierte Version der Landkarte der Ukraine, wo jeder Wohnort Tschornobajiwka heißt, man berichtet von überklebten Wegweisern auf den ukrainischen Autobahnen – Tschornobajiwka links, rechts, geradeaus. Und man spekuliert, dass Netflix vorhat, demnächst mit den Dreharbeiten zu einer Serie mit dem Titel „Tschornobajiwka“ zu beginnen.

Der Kriegshumor ist oft brutal und nicht immer lustig, aber gerade unglaublich wichtig – um weiter zu kämpfen. Um zu überleben.

Lesen Sie hier die anderen Teile von Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch:

Yuriy Gurzhy

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