zum Hauptinhalt
Bayreuth

© Willenbrand

Bayreuther Festspiele: Unter uns Betschwestern

Langer Kampf, schneller Sieg: Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier übernehmen die Bayreuther Festspiele.

Wagnerhand aufs Wagnerherz: Gewusst haben wir es seit letzten Donnerstag, spätestens. Das war der Tag, an dem Wolfgang Wagner sich noch einmal im Kreise seiner Lieben ablichten ließ. Zum letzten Mal wahrscheinlich, so kurz vor seinem 89. Geburtstag und nach 57 Jahren Festspielleitung. Mittig also und sesselweise auf Löwenfüßen thronend der Prinzipal, daneben seine Schwester Verena, rechts und links die Töchter Eva und Katharina und, etwas dezenter im Hintergrund, Bayerns Kunstminister Thomas Goppel, Mäzenatenchef Karl Gerhard Schmidt sowie der Dirigent Christian Thielemann.

Man müsste blind sein oder wenigstens fränkische Tomaten auf den Augen haben, um die Ikonographie dieses Bildes nicht zu entschlüsseln: Meine Damen und Herren, liebe Weltwagnergemeinde, we proudly present den alten und die neuen Herrscher über den Grünen Hügel. Und schöne Grüße an Bund, Bezirk, Stadt oder wer satzungsmäßig noch so alles seinen Senf dazu zu geben hat.

Genau so ist es jetzt gekommen, und genau so wurde es gestern Nachmittag im Bayreuther Rathaus vom Stiftungsrat mit 22 zu zwei Stimmen beschlossen und verkündet: Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner werden die Bayreuther Festspiele zukünftig als Doppelspitze leiten, Christian Thielemann wird die beiden musikalisch beraten. Konkurrentin Nike Wagner sprach anschließend enttäuscht von einer "befremdlichen Prozedur" (der Wieland-Stamm hatte sich angesichts des zu erwartenden Ergebnisses der Stimme enthalten). Mit Eva (63) und Katharina (30) wird nun verhandelt, die mutmaßliche Vertragsdauer beziffert sich auf fünf bis sieben Jahre.

Einer der spannendsten, peinlichsten, vertracktesten, ermüdendsten und symptomatischsten deutschen Kulturkrimis des 20. und 21. Jahrhunderts geht zu Ende – und die halbe Republik hat vorher gewusst, wie es ausgeht?

Zwanzig Minuten hatten die beiden Tandems, um ihre eingereichten Konzepte vor dem Stiftungsrat darzustellen und zu erläutern. Ob dieses Schaulaufen das Zünglein an der Waage noch einmal hat erzittern lassen, darf allerdings bezweifelt werden. Zwar hatten Nike Wagner und Gérard Mortier das bestehende Nike-Papier fristgerecht überarbeitet und konzentriert, und auch Eva und Katharina sollen noch einmal nachgefeilt haben; die Allianzen aber waren längst geschmiedet, die Meinung „gemacht“. Für besonders attraktiv, so heißt es in einer ersten Begründung, erachte man den Altersunterschied der beiden Damen.

Am Ende funktioniert Demokratie wohl so. Bei jeder anderen Entscheidung jedenfalls hätte der Stiftungsrat ein moralisches Problem gehabt. Denn natürlich wollte man den Alten nicht düpieren, sich vor allem selbst im Glanze seiner Lebensleistung sonnen – und darüber vergessen machen, welch herbe Schlappen die Politik über die Jahre in der leidigen Angelegenheit hat einstecken müssen. Dass Wolfgang Wagner Ende Mai tatsächlich seinen Rücktritt erklärte, mag an die informelle Zusicherung gebunden gewesen sein, seinen „dynastischen Wünschen“ (Nike) zu entsprechen. Justiziabel ist das nicht. Eher ein gentlemen's agreement unter altvertrauten Feinden.

Christian Thielemann wird wohl gefragt worden sein, ob er sich ein Kapellmeister-Leben auch neben Nike und Gérard Mortier vorstellen könne – was er mindestens zur Hälfte verneint haben dürfte. Dass Mortier von Thielemann nicht viel hält und dazu auch steht, ist bekannt. Thielemanns unverbrüchliche, ja unverwüstliche Erfolge im „mystischen Abgrund“ seit nunmehr acht Jahren aber sind künstlerisch unverzichtbar und wiegen ungleich schwerer als ein Intendant, der sich in Wagnerfragen bislang explizit nicht hervorgetan hat. Überhaupt war die Musik gewiss ein Schwachpunkt im Nike-Mortier-Papier: Wen hätten sie Thielemann entgegen zu setzen gehabt? Boulez ist zu alt, Barenboim Bayreuth-müde, Rattle (vorerst) an Aix gebunden. Und Namen wie Sylvain Cambreling oder Lothar Zagrosek nimmt man hier besser erst gar nicht in den Mund.

Nike Wagner und Gérard Mortier waren am 28. August nicht zugegen (wie es ja überhaupt viel schwerer ist, ohne politischen Willen eine Burg zu stürmen, als deren Zinnen zu bewachen). Zwar hat die Wieland-Tochter Recht, wenn sie im aktuellen „Spiegel“-Interview zu bedenken gibt, dass „die Erlöser“ immer von außen kommen; just dieses Trabantentum scheint die beiden aber zu einer ganzen Reihe von taktischen Fehlern verleitet zu haben, die ihre Aussichten noch in letzter Sekunde vereitelten.

Nicht nur, dass Gérard Mortiers Mitbewerbung reichlich spät kam. Der Belgier hatte zudem nichts Eiligeres zu tun, als zu untermauern, dass „Teile der Familie“ ihn förmlich gedrängt hätten, Nike zu unterstützen; dass er die Erfüllung seiner Pflichten an der New York City Opera (ab 2009/10) durch Bayreuth keineswegs gefährdet sehe; und dass die New Yorker – die mit seinem Spielplan unglücklich sind – mal hübsch aufmerken sollten, welche internationalen Eisen er, Mortier, so alles im Feuer habe. Die Pariser Oper schließlich hat von den Plänen ihres noch amtierenden Intendanten gar nichts erfahren. Klug war das alles nicht. Fast liest es sich wie ein einziger strategischer Verhinderungsparcour.

Nike ihrerseits bemüht sich konkret seit 1991 darum, einen Fuß in die Tür des Festspielhauses zu bekommen. Besonders konziliant hat sie dies gewiss nicht angestellt, indem sie sich stets vordringlich mit der Sache befasste – und dann erst mit Politikern, Interessenvertretern und potenziellen Gegnern. So ehrbar diese Haltung ist: Zum Erfolg hat sie (leider) nicht geführt.

Außerdem muss man schon sehr naiv sein (was ja nett ist!), um ernsthaft zu glauben, dass eine schwächelnde CSU-Spitze im Jahr der bayerischen Landtagswahl ausgerechnet auf dem Grünen Hügel ein umstürzlerisch-progressives Exempel statuieren würde. Allen Chéreaus und Schlingensiefs zum Trotz: Bayreuth und seine Wagnerianer sind konservativ. Insofern kam Nikes besagtes „Spiegel“-Interview, in dem sie das Konzept ihrer beiden Kusinen heftig attackiert, vor Ort sicher nicht besonders gut an. Ein weiterer taktischer Fauxpas? Was blieb ihr anderes übrig, als so viel Wind zu machen wie möglich. Bitter, aber wahr: Erst dieser Wind, erst ihre Bewerbung mit Gérard Mortier hat dem Nachfolgeverfahren für Wolfgang Wagner die nötige Seriosität verliehen. Wäre es bei der alleinigen Eva-Katharina-Nummer geblieben, die Festspiele hätten weit mehr unter dem Kungel- und Klüngel-Verdacht gestanden, als dies jetzt der Fall sein wird.

Gleichwohl ist es jammerschade und traurig, dass Nikes Hirn in Bayreuth für Bayreuth nun fehlen wird. Die Wieland-Linie bleibt so mindestens eine weitere Generation vom Hügel-Geschehen ausgeschlossen, das auch. Vor allem aber wird der „genetische Zufall“ (so Nike über das Talent ihres Vaters), der dem Wagner-Clan mit ihrer Person unter all den Schauspielern, Maklern, Anwälten und Nur-Querulanten eine gewiefte Intellektuelle bescherte, nicht genutzt. Für die bereits 2001 politisch gewollte Eva Wagner-Pasquier mag sich der Tod ihrer Stiefmutter Gudrun im vergangenen November gerade noch rechtzeitig ereignet haben, um über den einen oder anderen familiären Schützengraben und den eigenen Schatten zu springen. Für die skrupulöse, streitbare Nike war die Zeit dafür zu kurz.

Entsprechend dürfte sich die unbestrittene Authentizität der Wagner-Nachfahren auch weiterhin in Tugenden wie Bodenständigkeit und Pragmatismus erschöpfen, ergänzt, seit zwei Jahren, durch eine reichlich militante PR-Offensive mit Medienschätzchen Katharina im Mittelpunkt. Diese Mischung ist nicht ungefährlich. Denn was bedeutet die gestrige Entscheidung für Eva & Katharina? Ein Händchen für die Dirigenten und Regisseure der Zukunft, Ideen, wie man den Sängernotstand lindern könnte, das dürften die Halbschwestern genauso haben oder nicht haben, wie Cousine Nike und Gérard Mortier es gehabt hätten oder eben nicht. Und das Wort von einer gültigen Ästhetik nimmt im 21. Jahrhundert ohnehin niemand mehr in den Mund.

Nein, die Frage ist eine andere und reicht weit über alles Tages- und Besetzungspolitische auf dem Grünen Hügel hinaus. Die Frage ist, so einfältig das klingt, ob die Substanz des Wagnerschen Werks unter der angestrebten Popularisierung und Kommerzialisierung des Unternehmens Bayreuther Festspiele Schaden nehmen wird oder obsiegt. Schmälern Public Viewings, Livestreams und ebay-Versteigerungen von Drei-Liter-Weißbiergläsern die Tiefe und schillernde Ambivalenz eines „Tristan“ oder „Parsifal“? Höhlen sie ein Opus Magnum wie den „Ring“ aus, über kurz oder lang?

Blickt man auf Katharina Wagners eigene (Wagner-)Inszenierungen, so befällt einen zunächst der Eindruck eines Lumpensammlerinnentums, das wenig Aufschluss darüber gibt, ob man es hier mit einer veritablen Künstlerin zu tun hat oder doch nur mit der handwerklichen Herstellung von Opernaufführungen. Auch das Team, das sie frühzeitig um sich geschart hat (vom Dramaturgen Robert sogleich bis zum Öffentlichkeitsarbeiter Alexander Busche) ist bislang eher durch lautstarke Blässe aufgefallen. Welchen Einfluss die stille Eva hier nehmen wird, bleibt abzuwarten. Auf Thielemanns Schultern jedenfalls ruht eine Last, deren Druck er erst noch zu spüren bekommen wird.

Bereits getätigte oder in Rede stehende Engagements wie die von Hans Neuenfels, Andris Nelsons, Sebastian Baumgarten oder Kirill Petrenko für die nächsten Jahre mögen die besorgten Gemüter vorerst beruhigen. Außerdem hat Wolfgang Wagner, bisher alleiniger Gesellschafter der Festspiele GmbH, gestern seine Anteile zu gleichen Teilen an die Vertreter von Bund, Land, Stadt und „Freunden“ abgetreten. Damit ist Bayreuth kein Wagnersches Familienunternehmen mehr. Ab sofort gilt’s der Demokratie.

Christine Lemke-Matwey

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false