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Michael Watson (Maurice McRae) und seine Frau Tiffany (Afton Williamson) haben die Hoffnung auf Hilfe aufgegeben.

© Kinostar

Das Drama "Still here" im Kino: Unsichtbares Leben in Amerika

In "Still here" sucht ein Familienvater seine verschwundene Tochter. Regisseur Vlad Feier wirft einen Blick auf die Gesellschaft und ihre Institutionen.

Von Andreas Busche

Im New Yorker Viertel, in dem die Watsons leben, verrichtet die Polizei Dienst nach Vorschrift. Hier leben überwiegend afroamerikanische Familien. Sozialkomplexe dominieren die Silhouette, auf den Spielplätzen hängen Jugendliche ab. Vermisstenanzeigen landen nach einer Routineuntersuchung auf einem Aktenstapel. Die meisten Fälle bleiben ungeklärt, das öffentliche Interesse ist gering. Die Eltern und Geschwister fühlen sich mit ihrem Schmerz alleingelassen.

Tagsüber läuft Michael (Maurice McRae) durch seine Nachbarschaft und klebt Plakate mit dem Bild seiner seit zwei Wochen verschwundenen Tochter Monique an Häuserwände und Laternenpfähle. Er wirkt getrieben, zeigt Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Das Familienleben der Watsons ist zur Hölle geworden, seine Frau Tiffany (Afton Williamson) und Sohn Andre (Jared Kemp) sind innerlich gebrochen. Abends sucht Michael eine Selbsthilfegruppe auf, aber in ihm brodelt es. Die Tatenlosigkeit der Polizei und der Medien lässt ihn wieder spüren, dass er in diesem Amerika nur Bürger zweiter Klasse ist.

Von der Polizei ist keine Hilfe zu erwarten

Regisseur und Autor Vlad Feier bedient sich für sein Debüt „Still here“ bei FBI-Statistiken: 450 000 Kinder und Jugendliche werden in den USA aktuell vermisst. Der Journalist Christian (Johnny Whitworth) sagt diese Zahl am Ende, er nennt Namen, macht aus den anonymen Fällen wieder menschliche Schicksale. Endlich hat er seine große Geschichte, auf die er so lange warten musste. Gleichzeitig hat er Demut erlernt.

Christian ist nicht der Einzige, der sich am Ende von „Still here“ geläutert zeigt. Die Journalisten, die nur auf Schlagzeilen aus sind, die Polizisten, die ihre rassistischen Vorurteile pflegen (einer der beiden Ermittler ist schwarz), sie alle werden schließlich zu besseren Menschen.

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Feiers versöhnliche Bilanz steht über seinem Film – und ihm in vielen Szenen auch im Weg. „Still here“ versucht einen panoramischen Blick auf eine Gesellschaft und ihre Institutionen: Familie, Polizei, Medien. David Simon hat das mit „The Wire“ über fünf Staffeln getan, 100 Minuten sind im Vergleich gerade mal genug, um an der Oberfläche zu kratzen. Am Ende kann Feier keiner seiner Figuren gerecht werden.

Der Journalist als weißer Ritter

Dass im Mittelpunkt ein weißer Journalist steht, ist der guten Absicht dabei auch nicht förderlich. Indem Christian gegen alle Widerstände – seines Redakteurs, der Polizei, selbst der desillusionierten Familie – im Fall des verschwundenen Mädchens ermittelt, schwingt er sich zum Retter auf. Man ist diese Perspektive inzwischen – nicht nur im Kino – leid.

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Anfangs strömt ihm die Arroganz aus allen Poren, erst ein folgenschwerer Fehler rüttelt ihn wach. Auch die Polizisten (Jeremy Holm, Danny Johnson) bleiben Charakterskizzen, eher Spielbälle eines strukturellen Rassismus.

So sind die Konflikte sauber abgesteckt, „Still here“ belässt es bei exemplarischen Szenen: in den Dialogen mit den jeweiligen Vorgesetzten, die Resultate um jeden Preis fordern, in den Gesprächen zwischen den Eheleuten, die mit dem Gefühl der Ohnmacht kämpfen. Dass Christian sich für die afroamerikanische Lebenswirklichkeit nur interessiert, wo er eine gute Story wittert, zeigt, was für ein Reporter er ist.

Regisseur Feier ist da nur bedingt weiter, vielleicht hat er sich mit seinem Debüt auch einfach zu viel vorgenommen. Dass diese Geschichten im US-Kino zu lange fehlten, ist schon das Beste, was sich über „Still here“ sagen lässt.
In den Kino b-ware!Ladenkino, Cinemaxx Potsdamer Platz, Neukölln Arcaden (auch OmU), OV: Sputnik

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