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Der Industrielle. Alfred Krupp 1963 in seiner Fabrik in Essen.

© (c) Getty Images/Newman

Fotografie: Umgebung und Eingebung

Monroe, Warhol, Grosz, Capote: Die Galerie C/O Berlin zeigt eine Retrospektive des Porträtfotografen Arnold Newman.

Das Eigenlob fällt aus. „Okay“, steht da, „this area only“ – nur dieser Teil. Und, ein paar Aufnahmen weiter: „Must drop out“ – muss ausscheiden. Arnold Newman hat die Kommentare mit Rotstift auf drei schwarz-weiße Kontaktbögen geschrieben. Drei mal 36 Bilder, die einige Stunden im Leben von Marilyn Monroe dokumentieren. Die meisten sind rot durchgestrichen, verworfen. Januar 1962, die Schauspielerin besucht in Beverly Hills den Produzenten Henry Weinstein, der sie für ihren letzten Film „Something’s Got to Give“ engagiert hat. Sie tanzt mit Carl Sandburg, einem von ihr verehrten Dichter. Der Pulitzer-Preisträger, ein Herr von über 80 Jahren mit schlohweißen Haaren, flirtet und albert mit der Diva und zeigt ihr Gymnastikübungen, die gegen Schlaflosigkeit helfen sollen. Ein ulkiges, rührendes Paar.

Ein gutes halbes Jahr später, am 5. August 1962, stirbt Marilyn Monroe, und die Dreharbeiten für „Something’s Got to Give“ müssen abgebrochen werden. Die Kontaktbögen sind jetzt im ehemaligen Berliner Postfuhramt zu sehen, sie vermitteln einen Blick in die Werkstatt von Arnold Newman, den die Galerie C/O Berlin mit einer großen Retrospektive ehrt. Über den Bögen hängt das Bild, das der Fotograf aus der Monroe-Serie ausgewählt hat. Eine körnige Nahaufnahme, die die Schauspielerin im Halbprofil zeigt. Eine Haarsträhne hängt ihr ins Gesicht, sie hat alle Posen hinter sich gelassen und wirkt zerbrechlich. Man glaubt eine Todesahnung zu spüren. Oder ist die Monroe – sie hatte eine Operation an der Gallenblase überstanden, nahm Medikamente, litt an Schlafstörungen – einfach erschöpft?

Die Ausstellung mit dem Titel „Masterclass“ umfasst 200 schwarz-weiße und farbige Vintageprints des Fotografen. Nach dem Auftakt in Berlin wird sie nach Den Haag, Texas und Kalifornien wandern. Arnold Newman, 1918 in New York geboren und 2006 dort verstorben, hat fast 70 Jahre lang fotografiert, für Magazine wie „Life“, „Harper’s Bazaar“ oder den „New Yorker“ gearbeitet und viele Preise erhalten. Ihn als wichtigsten Porträtfotografen „der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ zu preisen, wie C/O das tut, ist trotzdem kühn. Denn da gab es unter anderem noch Cecil Beaton, Irving Penn und Richard Avedon. Letztere kamen aus der Modefotografie, ihre im Studio entstandenen Porträts verbinden Glamour mit Sachlichkeit. Newman verstand sich als ihr Antipode.

„Penn oder Avedon haben die Situation in ihren Studios unter Kontrolle, ich gehe aber stets ein Risiko ein“, hat er gesagt. Newman wollte mit den Porträtierten auch eine Sicht auf ihre Arbeit oder ihr Leben zeigen. Das heißt aber nicht, dass er auf Kontrolle verzichtete. Denn seine Bilder waren zumeist perfekt arrangiert. Igor Strawinsky – eine herrliche Aufnahme – sitzt mit aufgestütztem Kopf an seinem Flügel. Der Flügel ist riesig, der Komponist in der linken unteren Ecke sehr klein. Frank Stella, eingekeilt zwischen Großformaten, scheint verschluckt zu werden von seiner Op-Art. Truman Capote liegt, bekleidet nur mit Jacke und Hut, auf einem Neo-Rokoko-Sofa, um sich den Großnippes seiner Wohnung. Und Generalmajor Robert White, ein Testpilot, steht im Astronautenanzug neben der spitznasigen X-15-Maschine, mit der er bald darauf die sechsfache Schallgeschwindigkeit durchbrechen sollte.

Arnold Newman war dennoch nicht damit einverstanden, „Father of the Environmental Portrait“ genannt zu werden, Vater des in die Umgebung eingebetteten Porträts. Die Bezeichnung unterschlage die symbolischen und psychologischen Komponenten seiner Arbeit. Vielleicht hat der Fotograf darunter gelitten, seinem Ansatz nicht mehr entkommen zu können. Denn nicht immer, das demonstriert die Retrospektive, waren seine Bild-Erfindungen auf der Höhe ihrer Objekte. Die Aufnahmen changieren zwischen Originalität und Masche.

Der Biochemiker James Watson sitzt vor einer Kreidetafel mit Formeln. Edward Hopper ist, wie eine Figur seiner Gemälde, von einem Nebenzimmer aus in der Einsamkeitshöhle eines Interieurs zu sehen. Eine Fotocollage mit Andy Warhols Kopf wirkt unbeholfen. Neon-Künstler Dan Flavin hält Neonröhren. Und George Grosz posiert mit puttenartigen Kleinskulpturen. Wer Zeichnungen oder Texte von Grosz kennt, weiß, dass er so nicht war. Er war derb und böse, nicht barock.

Es ist vor allem eine Männerwelt, die Newman abgebildet hat, die Welt der Originalgenies und Macher. Der Architekt und Stadtplaner Robert Moses steht auf einem Metallsteg in einem künstlichen See, hinter sich die Skyline von New York. Manager eines Unternehmens in Hannover versammeln sich in einem Neonbüro zum Gruppenbild vor Wirtschaftsgrafiken. Er wolle das „Imponiergehabe“ der Menschen „überwinden oder ausgleichen“, hat Newman gesagt. Gelungen ist ihm das nicht immer. Spannender als manches Porträt sind die Fotos aus Newmans Anfängen, als er sein Malereistudium abbrach, um mit der Kamera zu experimentieren. Anfang der vierziger Jahre fotografiert er, ganz in der sozialkritischen Tradition von Walker Evans, Straßenszenen, Shotgun-Houses in Florida und Schwarze auf der Veranda. Picasso, Braque und Man Ray huldigt er, indem er in Werkstätten surreale Objekte aus Eisenrohren und Autoteilen entdeckt. „Good possibilities“, hat er neben eine Aufnahme geschrieben. Alles war möglich.

C/O Berlin, Oranienburger Str. 35/36, bis 20. Mai, tgl. 11–20 Uhr. Katalog 33 €.

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