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Das Cover der Zerno-Compilation.

© Klikerklub

Ukrainisches Kriegstagebuch (194): Heiko und sein „Klikerklub“

Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.

Eine Kolumne von Yuriy Gurzhy

1.3.2024
Ich kann einfach nicht anders, selbst wenn mein Gast mir gegenüber eigentlich nichts Lustiges erzählt hat, breche ich in Gelächter aus. In meiner Küche sitzt ein Deutscher, der bestens über die Underground-Szene Charkiws der frühen Neunziger Bescheid weiß und dabei Bandnamen nennt, von denen die wenigsten Ukrainer*innen überhaupt gehört haben. Und als ob es nicht genug wäre, erwähnt er noch ständig Musiker*innen und Künstler*innen, die selbst ich nicht kenne! Wie ist das nur möglich?

Auf den „Klikerklub“-Podcast wurde ich 2022 aufmerksam und war tief beeindruckt von der Hingabe und dem umfassenden Wissen seiner Initiatoren. Die dreistündigen Mixe zeitgenössischer ukrainischer Musik, die in regelmäßigen Abständen ins Netz gestellt wurden – so etwas kann nur ein echter Enthusiast leisten!

Menschen mit einer solchen Leidenschaft ziehen mich immer besonders an, vielleicht weil ich sehr ähnlich fühle. Also schrieb ich die Macher des „Klikerklubs“ an. Wie sich herausstellte, hieß die Person hinter dem Insta-Profil Heiko – und er wohnte gleich um die Ecke von mir. Wir versprachen uns, in Kontakt zu bleiben, doch es dauerte eineinhalb Jahre, bis wir uns tatsächlich trafen.

Nun schlürfen wir Kaffee bei mir und quatschen, natürlich über Musik. Ich frage mich, warum wir uns früher nicht kennengelernt haben. Wir haben nicht nur im gleichen Kiez gewohnt, Heiko hat auch jahrelang in der Torstraße Partys organisiert – nur wenige Blocks vom Kaffee Burger entfernt, wo Wladimir Kaminer und ich zweimal im Monat die Tanzfläche mit osteuropäischen Sounds zum Beben brachten.

In den frühen 2000ern haben Heiko und seine Kumpels im Klik, dem Kontaktladen für obdachlose Jugendliche an der Ecke Kleine Hamburger Straße, eine wilde Mischung aus Exotica und Ska der frühen 60er bis zum Postpunk und Twee-Pop aufgelegt.

Das DJ-Team war ständig auf der Suche nach neuer Musik, und die Entdeckungen, die sich nicht zum Tanzen eigneten, wurden dann in ihrem Podcast für EuRadioNantes vorgestellt. Das ging bis 2013. Dann wurde es für einige Jahre still. Erst im Januar 2022 gelang es Heikos Mitbewohnerin, ihn zu überreden, die musikalischen Schätze seiner Sammlung nicht nur mit ihr, sondern auch mit dem Rest der Welt zu teilen. So kam es zur Wiederauferstehung des Podcasts.

Eine Compilation mit 50 Songs

Heikos Gefühle nach dem Beginn der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine führten zu einer „Klikerklub“-Episode mit dem Thema Ukraine. „Für mich war klar, dass ich jetzt irgendwas tun muss, es irgendwie verarbeiten muss, und es war das Naheliegendste“, erzählt er. Sein erster Schritt war, Google zu fragen – und die Ergebnisse haben alle seine Erwartungen übertroffen. Auf Internet-Foren und Soundcloud entdeckte er in den folgenden Wochen mehr und mehr neue Musik für sich.

Wenn Heiko von Bands wie Cukor Bila Smert’ oder Foa Hoka erzählt, die ich als Jugendlicher hören durfte, werde ich ganz emotional. Heute bin ich überzeugt, dass diese Erfahrung einen großen Einfluss auf meine musikalische Entwicklung hatte . Aber mit jemandem darüber auf Deutsch zu sprechen und zu wissen, dass mein Gesprächspartner genau weiß, wovon ich rede, ist für mich neu.

Nach zahlreichen Podcast-Folgen, die sich in den vergangenen zwei Jahren durchgehend mit ukrainischer Undergroundmusik beschäftigen, sowie einer Kooperation mit dem „Gasoline Radio“ hat Heiko nun ein weiteres Projekt umgesetzt. Zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine veröffentlichte er eine Compilation mit dem Titel „Зерно“ (dt. Korn).

Als jemand, der selbst einige Compilations produziert hat, gratulierte ich ihm von ganzem Herzen – und bedankte mich zugleich als Musikfan. Auf „Зерно“ bekommt man 50 exklusive Tracks von aufstrebenden sowie bereits etablierten Künstler*innen unterschiedlicher Genres zu hören, begleitet von einem digitalen zweisprachigen Booklet – 134 Seiten mit tollem Artwork, Songtexten und Kommentaren zu jedem Lied. Alle Erlöse aus dem Verkauf der Compilation gehen an Musicians Defend Ukraine und Repair.together.

Zwei Stunden sind wie im Flug vergangen, Heiko muss los. Ich komme nicht mehr dazu, ihm zu sagen, dass er für mich mehr als bloß ein Musikexperte ist – auch wenn es pathetisch klingen mag, egal! Er ist ein Held, der mit seinen Podcasts und der Compilation einen umfassenden Einblick in die ukrainische Indie-Szene in diesen schwierigen Zeiten gewährt, ukrainische Stimmen promotet und parallel dazu äußerst wichtige Initiativen finanziell unterstützt. Heiko, ich danke Dir!

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